Ein Soldat, der weint

1945

Es war im Juni des Jahres 1945, in dem der größte Krieg der Weltgeschichte (am 8. Mai) sein Ende genommen hatte. Über dem böhmisch-bayerischen Wald schien die Sonne. Es war einer jener sommerlichen Tage, an dem der „böhmische“ Wind die Hitze heranwehte.

Wir, die deutschen Böhmen in Eisendorf, wo die letzten Häuser schon so nahe an der bayerischen Grenze standen, dass man nach einem Schritt durch die Hintertür schon leibhaftig in Deutschland war, lebten in Unsicherheit. Würde man bleiben können, oder müsste man gehen? Die Nachrichten, die die meisten mit dem „Volksempfänger“ abhörten, klangen bedrohlich. Noch war nichts entschieden. Die US-Soldaten an der „Tillyschanz“ interessierten sich für die Dorfmädchen, die einer Liaison mit ihnen nicht abgeneigt waren. Sonst herrschte Ruhe im Dorf.

Es war eine Zeit zwischen den Zeiten. Die alte Zeit war zu Ende. Eine Neue hatte noch nicht begonnen.

Was fochten die Sorgen der Alten einen Siebzehnjährigen an? Er träumte von Abenteuern in einem anderen Land und von schönen Mädchen, die er dann kennen lernen würde.

Zur Untätigkeit verdammt, strich ich durch die Landschaft. Es gab noch keine bewachte Grenze nach Bayern hin. Es war also kein Problem, durch den „Deutschen Wald“, wie wir ihn nannten, zu streifen. Zu dieser Zeit war der Norden der „Tillyschanz“ noch mit halbhohen Fichten bewachsen. Als ich um einen dieser Bäume ging, stand dort ein junger US-Soldat, der eine großkalibrige Pistole in der Hand hielt und hemmungslos schluchzte.

Der mit Fichtennadeln bedeckte Waldboden hatte meine Schritte fast unhörbar gemacht. Als ich aber etwa zwei Meter neben dem Jungen stand, hat er mich wohl bemerkt. Er erhob die Pistole und richtete sie gegen meine Brust. Seine Tränen liefen weiter. Ich ging einen Schritt näher und schob die Pistole zur Seite. Die Erleichterung, keinem „Wehrwolf“ in die Hände gefallen zu sein, war ihm anzusehen. Ich war nicht bewaffnet. Ich brachte ihn zur „Tillyschanz“ zu seinen Kameraden. Von diesem Moment an war ich bei ihnen eine „persona grata“.

Was den jungen Soldaten bewogen hat, sich in einen ihm unbekannten Wald zu begeben, weiß ich nicht. Ich weiß aber durch einen seiner Kameraden aus Minnesota, der Deutsch sprach, dass er sich verirrt hatte. Dabei hätte er, egal in welcher Richtung, nach jeweils 300 Metern den Wald hinter sich bringen können.