Der Besuch des Generals

(US-Army 1947)

Im Jahr 1947 verdiente ich mein Brot in der US-Army bei der 6. Ordnance-Kompanie der 1. US-Division auf dem ehemaligen Flugplatz der deutschen Luftwaffe in Würzburg. Um keine falschen Vorstellungen zu erwecken: Ich erhandelte meinen Lebensunterhalt auf dem schwarzen Markt, denn für 175,- Reichsmark Lohn im Monat konnte man in dieser Zeit etwa 20 Zigaretten kaufen. Kurz und gut, ich hatte eine Bonanza entdeckt.

Im Sommer dieses Jahres heulte eines Tages in der großen Flugzeughalle, die unsere Werkstatt war, die Sirene zum Betriebsappell. Mister Offley, der amerikanische Werkstattleiter, verkündete vor versammelter Mannschaft, der Oberkommandierende der US-Streitkräfte in Europa und Militärgouverneur für die amerikanische Zone in Deutschland, General Lucius D. Clay, habe sich zu einer Inspektion unseres Areals angekündigt, die in zwei Wochen stattfinden sollte.

Am gleichen Tag brach eine unbeschreibliche Hektik in unserem sonst beschaulich dahinplätschernden Reparaturbetrieb für Armeefahrzeuge aus. Die Halle wurde von allen Fahrzeugen geräumt. Eine Unmenge Fässer mit grauer und weißer Ölfarbe wurden angekarrt; Besen und Pinsel wurden ausgegeben, um den Betonboden der riesigen Halle grau zu streichen. Ein Teil der Mannschaft wurde mit Kompressoren und Spritzpistolen ausgerüstet, um die Wände und die Decke der Halle mit weißer Farbe zu besprühen. Alle Fahrzeuge, auch die auf der "Deadline" (so nannte man den Platz mit den noch nicht reparierten Fahrzeugen), mussten gewaschen und entrümpelt werden! 4 Tage lang herrschte ein Chaos sondergleichen.

Ich hatte einen vergleichsweise ruhigen Posten, weil ich inzwischen in den C & I-Shop (Carburators and Ignition) eingestiegen war. Ich reparierte, in einen weißen Mantel gekleidet, Tachometer. Eher eine Uhrmacherarbeit, die ich erst mühsam erlernen musste und die mir übrigens erhebliche Nebeneinnahmen bescherte. Aber auch dort brach nun der Farbenwahn aus. Zwei Tage konnten wir den Shop nicht betreten, weil der grau gestrichene Betonfußboden noch trocknen musste. Das war aber nur der Anfang. Die Wände zwischen den vier Werkbänken wurden mit weißer Ölfarbe gestrichen. Mr. Offley hatte die Idee, die Silhouetten der dort an Haken aufgehängten Werkzeuge mit schwarzer Farbe an die weißen Wände zu malen. Diese Aufgabe wurde mir, als abgebrochenem Studenten des Maschinenbaus, übertragen, Zeichnen könne ich ja wohl, meinte Mr. Offley. Ich pinselte also 12 Tage lang die Silhouetten von Hämmern, Zangen und anderen Werkzeugen an die weißen Wände. Ich hatte meine Freude daran. Mr. Offley war über meine Arbeit hellauf begeistert.

Am Tag vor dem großen Event erhielt jeder von uns anstelle des sonst mit Öl, nun aber mit Farbe beschmierten Arbeitsanzuges einen neuen, frisch gebügelten, olivgrünen Anzug und eine neue Mütze mit den in der Army üblichen Kniffen. Mr. Offley erteilte in der letzten Betriebsversammlung vor dem großen Ereignis die Anweisung, beim Eintreten des Generals in die Halle habe jeder in strammer Haltung an seinem Arbeitsplatz zu stehen. In der Halle, wo die Reparaturboxen inzwischen durch breite gelbe Linien abgegrenzt worden waren, habe je ein Mann an jeder Ecke zu stehen.

An dem großen Tag, an dem Kaiserwetter herrschte, verspürte unser Kompaniechef, ein Major, dessen Namen ich vergessen habe, den wir aber wegen seiner Körpergröße von etwa 165 cm nur "Napoleon" nannten, ein menschliches Rühren, als ihm vom Posten am Tor die Ankunft des hohen Besuches gemeldet wurde. Er verschwand in Windeseile in der Toilette. Dort hat er in seiner Aufregung wohl das zweisprachige Schild "Achtung, frisch gestrichen!" übersehen. Mit zornrotem Gesicht, klapperndem Gebiss - es klapperte immer - und farbverschmierter Hose rannte er durch die Halle, suchte einen GI in seiner Größe und gab diesem den Befehl: "Hose aus!" Der arme Kerl musste sich seiner Hose entledigen und wurde in das Ersatzteillager verbannt, mit der Weisung, sich hinter den dort stehenden Regalen zu verstecken.

Der General trat, begleitet von einem Rattenschwanz von mit Orden behangenen Offizieren, durch das eine Hallentor, eilte ohne einen Blick nach rechts oder links zu verschwenden, schnellen Schrittes durch den Mittelgang der Halle und verschwand mit seiner Entourage aus dem zweiten Tor. Das war es dann.

Über den hohen Besuch und seine Vorbereitungen haben wir uns, Deutsche und US-Soldaten, vom GI bis zum Captain, lange amüsiert.

Das ist eine andere Geschichte, die ich demnächst erzählen werde.