Autorenporträt

Helga Kurz

Helga Kurz, Jahrgang 1957, sieht sich selbst vor allem als leidenschaftliche Leserin. Zu fern scheint ihr die Größe großer Autoren, um damit jemals in Wettstreit zu treten. Zu ungeheuerlich die Leistung eines gelungenen Buches, um selbst literarisch aufzutreten. Liebe, auch die zur Literatur, hat wohl etwas Überwältigendes, was man nicht in Frage stellen will.

Doch ganz im Stillen, gleichsam unter der Hand, und ganz sicher ohne bewusste Absicht, hat sich Helga Kurz immer wieder zu aktiver literarischer Produktion hinreißen lassen. Besonders Reiseberichte, tagebuchartige Reflexionen und auch zahlreiche Rezensionen über Bücher, zum Beispiel auf Amazon.de. Und dennoch bleibt ihr Schreiben so eingenommen von der Verehrung des jeweiligen Gegenstandes, dass sie erst gar nicht auf die Idee kommt, selbst eine Autorin zu sein.

Das verleiht ihren Texten einen besonderen Reiz: Sie sind authentisch, nicht geplant oder artistisch vorbedacht. Das ist an sich natürlich noch kein Qualitätsmerkmal für Literatur. Professionelles Schreiben wird nicht umsonst so minutiös geplant wie ein Verbrechen. Das Schreiben aus dem Bauch heraus ist oft nur Naivität, die den kompositorischen Aspekt der Kunstform Literatur nicht erkennen kann.

Authentizität ist literarisch nur erreichbar, wenn zwei Grundbedingungen gegeben sind: Leidenschaftliches Interesse und sprachliche Ausdruckskraft. Eigentlich gehört noch ein Drittes dazu: die passende Form. Helga Kurz hat sie mit intuitiver Präzision längst schon gefunden: Reiseberichte sind locker gefügt und lassen assoziativen Spielraum. Kombiniert mit einem Leitmotiv, kann diese Form dem Text die notwendige Dichte und inneren Zusammenhang verleihen.

"Befürchten Sie das Beste!" ist ein Musterbeispiel für ein literarisches Reisebild. Die Liebe zur US-amerikanischen Schriftstellerin Patricia Highsmith ist das Leitmotiv. Diese Leseliebschaft kommt nicht nur beim Besuch der Highsmith-Ausstellung in Zürich deutlich zum Ausdruck. Auf diese Liebe, ein anderes Wort wäre zu schwach, konzentriert Helga Kurz ihre gesamte Wahrnehmung: Ob im Züricher Bahnhof, ob beim Betrachten von Werbeplakaten, Schaufensterauslagen und Graffitis, ob beim Kaffeeklatsch oder bei der Zeitungslektüre: Alles ist spürbar von der Gegenwart Patricia Highsmiths geprägt. Jedes Wort.

Man könnte sogar noch weiter gehen, könnte fragen, was hinter dem Motiv Patricia Highsmith ("PH") steckt. Glücklicherweise ist Helga Kurz nicht so unnahbar wie Patricia Highsmith. Sie verrät uns ihren Schreibansatz selbst:

Anfang der 1970er Jahre, zu Beginn meiner Jugend, fand ich heraus, dass ich mein plötzlich ins Schlingern geratenes Innenleben durch das Lesen stabilisieren und in ruhigeres Fahrwasser bringen konnte. Ich entdeckte, dass Bücher Schlüssel zum Universum waren, das sich schwindelerregend hoch über meine enge, kleinbürgerliche Alltagswelt spannte. Ich entdeckte vor allem, dass ich durch das Abtauchen in sie die unangenehmen oder auch nur langweiligen Seiten des realen Seins abfedern konnte und dass ich beim Lesen dem Glück verdammt nahe kam. Letzteres war meine wichtigste Entdeckung.

Offensichtlich ist der Text eine einzige Hommage an das Kulturgut Buch. An die Liebe zum Lesen schlechthin. Patricia Highsmith ist die größtmögliche Verdichtung dieser Liebe, deren Leidenschaft "Befürchten Sie das Beste" in den Rang einer gelungenen literarischen Selbstaussage erhebt.

Helga Kurz bietet einen guten Feuilleton-Stil, essayistisch angereichert mit Subjektiv-Persönlichem, satirisch gewürzt mit kultivierter Welt- und Reisekenntnis. Außerdem hat sie keinerlei Berührungsängste mit einem klaren kritischen Urteil:

Tom Ripley ist unter uns. Der Antiheld ist ihr Vermächtnis an die menschliche Gemeinschaft und ihre Abgründe.

Wer Highsmiths Romanfigur Ripley kennt, der liest über solche Sätze nicht einfach hinweg. - Es gibt übrigens nur selten Sekundärliteratur, also Literatur über Literatur, die so unzweideutig Stellung bezieht. Wer einen Gedanken nicht so weit differenziert, dass er nicht auch das glatte Gegenteil bedeuten könnte, gilt heute schnell als verkappter Ideologe, der die Postmoderne verschlafen hat. Die starken Aussagen verdämmern im Zwielicht grenzenloser Beliebigkeit.

Beeindruckend in "Befürchten Sie das Beste" ist auch das Misstrauen gegen den Kult um Prominente. Helga Kurz sieht darin nur eine Projektion der Bewunderer. Der Respekt, mit dem sie sich Patricia Highsmith nähert, gewinnt eben dadurch etwas Paradox-Persönliches: Sie, die Leserin, fühlt sich in der Ausstellung wie ein zudringlicher Voyeur. Sie fühlt sich sogar selbst von der Schriftstellerin beobachtet. Und mit diesem unsichtbaren Blick im Rücken schreibt sie ein Reisebild über Zürich.

Behutsam, eben weil sie die Projektion scheut, fasst Helga Kurz auch zusammen, was sie aus den Büchern der Patricia Highsmith gelernt hat:

"Alle Erwachsene haben Geheimnisse." Aus ihren Büchern habe ich gelernt, dass der Mensch im Kern allein und auf sich gestellt ist. In seinem Zentrum existiert, unberührt von der Außenwelt, sein nacktes Selbst. Patricia Highsmith war sich dessen immer bewusst.

Was bedeuten aber literarische Erfahrungen für das "nackte Selbst" der Leserin oder des Lesers? Warum übt ein Roman von Patricia Highsmith einen derart großen Zauber aus? - Vielleicht ist Literatur eine Möglichkeit, unser nacktes Selbst immer wieder neu einzukleiden. Eine Möglichkeit, hautnah zu erleben, wie viele Existenzmöglichkeiten für den Einzelnen tatsächlich möglich sind. Lesen ist nicht nur eine Identifikation mit dem fremden Ich des Autors. Lesen ist immer auch ein Entwurf des eigenen Ich in ein Reich der unbegrenzten Möglichkeiten. Was Tom Ripley zum Verbrechen treibt, das passiert auch mit jedem Leser, der ernsthaft mit einem Roman in Berührung kommt: das Proben und die Annahme einer fremden Identität.

Hätte die fremde Identität rein gar nichts mit unserer eigenen zu schaffen, dann könnte sie uns auch nicht ansprechen. Eine dunkel geahnte Möglichkeit in uns selbst stiftet erst den wirklichen, den existenziellen Zusammenhang. Bücher, die wir lieben, sind Leben, die wir nie gelebt haben. Lesen heißt ein ganzer Mensch sein, wie er in dieser Daseinsfülle nie real gelebt werden kann.

Textuniversum heißt Helga Kurz als Gastautorin herzlich willkommen.

Günter Bachmann
Textuniversum.de

Zu "Zu Befürchten Sie das Beste!"
Zur Werkausgabe von Patricia Highsmith im Diogenes Verlag.