Autorenporträt

Richard Bachmann

Richard Bachmann, Jahrgang 1935, kam erst spät zur Computertechnik und zum Schreiben. Kein Wunder: Die Lebens- und Arbeitswelt seiner Generation war noch nicht durch Digitalisierung geprägt. Umso erfreulicher ist, wie engagiert er sich den neuen Medien geöffnet hat: Seine ersten Schriften publizierte er sogleich im Internet.

Warum Richard Bachmann so spät zum Schreiben kam, ist auf den ersten Blick weniger offensichtlich. Als sudetendeutsches Kriegskind aus einfachen Verhältnissen geriet er in die Irrungen und Wirrungen der Vertreibung. Seine sozialdemokratische Familie wurde während des Krieges von den Nazis diskriminiert, der eigene Vater im KZ Sachsenhausen interniert. – Von Schulbildung konnte da nicht viel die Rede sein: Anfangs war die Schule deutsch, dann tschechisch – und meistens fand sie gar nicht statt. Auch Ende der 40er und in den 50er Jahren herrschte ein erbarmungsloser Überlebenskampf: Gerade in der Zeit, wo höhere Schulbildung und Entwicklung von Begabungen am notwendigsten sind, konnte sich seine Familie eine teure Schulausbildung schlicht nicht leisten. Richard Bachmann erlernte gleich nach der Hauptschule das Glasmacher-Handwerk. Darauf wechselte er in die einfache Beamtenlaufbahn bei der Bahn und arbeitete sich mühsam vom Rangierer bis zum mittleren Dienst empor. Als das Wirtschaftswunder bei den kleinen Leuten ankam, Ende der 60er und die 70er Jahre, hatte er seine Familie durch schwieriges Fahrwasser manövriert. Und erstmals in seinem Leben hatte er etwas Muße für Bildung. Sofort erwachte sein literarisches Interesse: Er begann, Geschichten aus der mündlichen Überlieferung zu sammeln und erzählte sie in Gesellschaft so wirkungsvoll nach, dass er schließlich selbst Geschichten erfand. Von Kinder- bis Gespenstergeschichten, oft aus dem Stegreif heraus. Aber natürlich war das noch keine geschriebene Literatur. Richard Bachmann musste ja immer noch Vollzeit arbeiten. Und man wird es ihm nicht verdenken, dass er noch einer weiteren Beschäftigung nachging, die ihm seit Kindheit Freude machte, aber bislang immer zu kurz geraten war: dem Lesen.

Zum eigentlichen Schreiben kam es für Richard Bachmann also erst nach der Berufsarbeit -

„Wir Alten haben die Pflicht, unsere Erfahrungen weiterzugeben. Und wie könnte das anders geschehen, als durch ein Erzählen des eigenen Lebens? Ich will sagen, was war. Ohne gleich die eigene Moral aufzudrängen. Die jungen Leute sind selbst in der Lage, ihre Schlussfolgerungen zu ziehen. Und wahrscheinlich sogar bessere, als wir damals selbst ziehen konnten. Wenn man etwas unmittelbar erlebt, dann gibt es ja nichts, was über das Erlebnis hinausreicht. Da ist man viel zu sehr verstrickt. Erst der Abstand bringt die Erkenntnis.“ - Richard Bachmann

Im Jahr 2001 erschien Richard Bachmanns Erlebnisbericht „Besuch im KZ Sachsenhausen“ auf der Homepage textuniversum.de. Darin schildert er die schmerzhafte Begegnung mit dem Ort, wo sein Vater Karl Bachmann über vier Jahre (1939-1944) interniert worden war. Der Besuch fand ausgerechnet am 11. September 2001 statt. Als die Türme des World Trade Centers fielen, stand Richard Bachmann im strömenden Regen auf dem Appellplatz des Konzentrationslagers und dachte über die Abgründe der menschlichen Seele nach. Er wusste aus den Erzählungen seines Vaters, was die Häftlinge dort zu überstehen hatten. Am Spätnachmittag erst erfuhr er, was in New York geschehen war.

Von altem wie neuem Terror zutiefst betroffen, beschloss Richard Bachmann, etwas für die Aufarbeitung der Vergangenheit zu tun. Auf diese Weise sind KZ-Besuche zu einem wiederkehrenden Thema geworden, womit Richard Bachmann gegen die Erneuerung des Terrors in der Gegenwart anschreibt. Auf Textuniversum finden Sie seine Arbeiten über Sachsenhausen, Flossenbürg und Dachau.

Die Reportage über das KZ Sachsenhausen sollte ursprünglich nur eine Vorstudie zu einem Buch sein, das Richard Bachmann 2005 abgeschlossen und veröffentlicht hat:

Betrogen und vergessen

Die Geschichte des Kriegskindes Reinhard Bachner

Dies ist die erzählerische Chronik seiner Kindheit und Jugend während der Kriegs- und Nachkriegszeit. Durch die Erfindung der literarischen Figur Reinhard Bachner gelang dem Autor der reflexive Abstand zu seinen traumatischen Erlebnissen. Vor allem wollte er nicht ausschließlich über sein persönliches Innenleben schreiben, sondern ein aussagekräftiges Beispiel für die Generation der Kriegskinder schaffen. Egozentrische Selbstbeweihräucherung und Schönfärberei, wie sie heute viele sogenannte Autobiografien kennzeichnen, lagen ihm fern. Deshalb ist Richard Bachmanns Lebensgeschichte bemerkenswert ehrlich – indem sie von vornherein eingesteht, dass jeder Biograf sein Leben unweigerlich „dichterisch“ behandelt, dass es so etwas wie keimfreie Objektivität gar nicht gibt, dass wir alle unser Leben immer auch interpretieren und zurechtbiegen, wenn wir es anderen mitteilen wollen. Aber gerade durch die literarische Befreiung vom allzu selbstverliebten Ego enthält die Geschichte des Kriegskindes Reinhard Bachner sehr viel erlebte Wahrheit und möglichst authentische Fakten.

Die Generation der Kriegskinder ist zwischen der eigentlichen Kriegsgeneration und den Achtundsechzigern publizistisch fast vollständig in Vergessenheit geraten. Besonders über das Alltagsleben der Kriegskinder wussten wir vor Richard Bachmanns Buch herzlich wenig. Die Thematik der Kriegskinder und der Vertreibung wird seit kurzem zwar verstärkt aufgegriffen. Aber die Bücher stammen meist von Autorinnen und Autoren mit akademisch-großbürgerlichem Hintergrund. Auch der bekannte Fernsehfilm „Die Flucht“ behandelt das vergleichsweise milde Schicksal einer privilegierten Gutsbesitzer-Familie. Richard Bachmann gebührt das Verdienst, dass er den Alltag der Kriegskinder von ganz unten, aus der Perspektive der einfachen Leute – und damit der überwältigenden Mehrheit und Lebensrealität dieser Zeit schildert. Sehr bemerkenswert ist außerdem seine Richtigstellung der Vertriebenen-Problematik. In seinem Buch kommen endlich einmal die von der Hitler-Diktatur verfolgten Familien zu Wort. Auch sie wurden nach Kriegsende ohne Ansehen der Person vertrieben. Trotzdem pflegen sie keinen Revanchismus. Denn sie haben am eigenen Leib erlebt, wie begeistert und überschwänglich sich die deutschen Minderheiten fast vollständig zu den einmarschierenden Nazis bekannten, mindestens als Mitläufer, manchmal auch aktiv als Denunzianten.

Warum mussten wir auf Richard Bachmanns Buch warten, um endlich einmal eine literarische Darstellung dieser historischen Sachverhalte zu bekommen? – Die Antwort wurde eingangs schon gegeben: Der Autor ist ein Glücksfall, weil die Angehörigen seiner Generation, die Angehörigen vor allem der unteren Gesellschaftsschicht, kaum eine Chance hatten Bildung zu erwerben, geschweige denn ein episches Prosawerk zu schreiben. Als einer der ganz wenigen ist es Richard Bachmann gelungen, überhaupt die entsprechenden Worte zu finden. Betrogen und vergessen spannt den zeitgeschichtlichen Bogen von den 30er bis zu den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Ein weiteres wichtiges Fazit zieht Richard Bachmann übrigens auch für die Nachkriegszeit und Gegenwart: Wenn heute junge schnöselige Wohlstandszöglinge in Politik und Wirtschaft „Opfer“ von den Kriegskindern verlangen, um die Folgegenerationen nicht zu sehr zu „belasten“, dann wissen sie im Grunde gar nicht, wovon sie reden: Die größten Opfer im Krieg und auch im Wiederaufbau haben gerade die Kriegskinder längst schon doppelt und dreifach gebracht.

Betrogen und vergessen. Die Geschichte des Kriegskindes Reinhard Bachner ist im Verlag Monsenstein und Vannerdat, Münster 2005, erschienen.
ISBN: 3-86582-139-1. Erhältlich z.B. bei Amazon oder im Buchhandel.
2007 erschien „Betrogen und vergessen“ auch im Archiv der Zeitzeugen, ebenfalls bei Monsenstein und Vannerdat. Die beiden Ausgaben unterscheiden sich nur in der Aufmachung, nicht in Preis und Inhalt. Vgl. Amazon.
„Betrogen und vergessen“ wird auf dieser Seite eigens vorgestellt. (Siehe unten: „Vorwort des Lektors“.)

Ein weiterer Themenkreis, in dem sich Richard Bachmann bewegt, ist die mündlich überlieferte Erzählkultur aus Bayern, dem Böhmerwald und der Oberpfalz. Und auch hier zeigt sich unser Gastautor als fleißiger und natürlich darstellender Bewahrer, der einige Bruchstücke dieser jetzt untergehenden Kunst schriftlich festhalten und retten will. (Vgl. unten die Dichter-Lesungen in Pleystein.)

2006 veröffentlichte Richard Bachmann seinen ersten Erzählband Geschichten aus dem Grenzwald. Das mündliche Erzählgut, das in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im Böhmer- und Oberpfälzer Wald noch frei kursierte, wurde zu Papier gebracht. Die mündliche Erzählsituation ist noch spürbar nahe, die Geschichten sind echte Miniaturbilder einer vergangenen Lebensform. In diese gewohnte Welt dringt plötzlich das Übernatürliche ein und lässt die Menschen schaudern.
Richard Bachmanns

Geschichten aus dem Grenzwald.
Erzählungen aus Bayern und Westböhmen
sind erschienen bei Monsenstein und Vannerdat, Münster 2006.
ISBN 3865823092
Der Erzählband ist im Buchhandel oder auch bei Amazon erhältlich.
Das Vorwort des Lektors finden Sie ebenfalls bei den unten stehenden Links.

Inzwischen hat Richard Bachmann seinen zweiten Erzählband vorgelegt:

Zwischen Weiden und Eslarn
Geschichten aus der nördlichen Oberpfalz
Erschienen bei Monsenstein und Vannerdat, Münster 2011
ISBN 978-3-86991-306-3

In diesem Buch wendet sich Richard Bachmann sehr eindringlich auch persönlichen Erfahrungen zu. Die nördliche Oberpfalz wurde nach der Vertreibung aus seinem Geburtsort Eisendorf (Zelezna) – direkt an der heutigen Grenze zwischen der Oberpfalz und dem tschechischen Westböhmen – seine zweite Heimat. Die Erzählungen zeigen eine seit frühester Kindheit vertraute Region mit ihrer mündlichen Erzählkultur, die den letzten Höhepunkt noch in den 50er Jahren erlebte: Die Oberpfalz erscheint darin als ein abenteuerlicher, entschieden mystischer Ort. „Zwischen Weiden und Eslarn“ bewahrt nicht nur ein Stück volkstümlicher Kultur. Richard Bachmann schildert auch seine unheimlichen Begegnungen mit Erzählern und Erzählungen, einschließlich selbst erlebter Geschichten, die er erstmals der Öffentlichkeit bekannt macht. Das Vorwort des Autors sowie das Nachwort des Lektors finden Sie bei den unten stehenden Links. Das Buch können Sie auf Amazon und natürlich auch im Buchhandel erwerben.

Textuniversum, im Mai 2011

Direktkontakt zu Richard Bachmann: richard.bachmann@web.de