Von Stuttgart nach Dachau

Begegnung mit dem ehemaligen KZ-Dachau.
Von Richard Bachmann

Die Anreise

Ein geschichtsträchtiger Tag, den ich mir da ausgesucht habe. Ausgerechnet am 11.09.2003 entschloss ich mich zu einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Es war aber mehr ein Zufall, dass ich ausgerechnet am Donnerstag, den 11 September, die Reise nach Dachau antrat. Vor zwei Jahren, fast auf den Tag genau, am 10.09.2001, fuhr ich mit meinem Sohn nach Oranienburg, um die Gedenkstätte Sachsenhausen zu besuchen. Im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen war mein Vater fast fünf Jahre als politischer Häftling inhaftiert. Wir waren damals für den 11.09, einen Dienstag, im dortigen Archiv angemeldet. Also genau an dem Tag, als das World Trade Center in New York von Terroristen in Schutt und Asche gelegt wurde.
Es bahnten sich also Parallelen an, sogar was das Wetter anbetraf, die der Reise vor zwei Jahren nach Sachsenhausen ähnelten. Überraschenderweise traf die Wettervorhersage nicht zu, die noch einen Tag vor meiner Abreise nach Bayern heftige Regenfälle voraussagte. Ich hatte mich auf der Homepage der KZ-Gedenkstätte Dachau schon umgeschaut und nützliche Informationen gesammelt. Ich entschied mich für die Bahn und fuhr mit dem Inter-City nach München. Mit der S-Bahn fuhr ich weiter bis Dachau-Bahnhof. Eine Gruppe junger Menschen, im Alter zwischen 13 und 15 Jahren, vermutlich eine Schulklasse, war ebenfalls im Münchner Hauptbahnhof zugestiegen. Am Busbahnhof in Dachau wartete schon abfahrbereit der Linienbus 724, der unter anderem auch am Eingang zur Gedenkstätte hielt. Ich hatte Glück und bekam einen Sitzplatz. Mir gegenüber saßen zwei junge Mädchen, die wahrscheinlich zu der Schülergruppe gehörten. Ihrer Unterhaltung, aber noch mehr ihrem gelangweilten Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass sie das bevorstehende Ereignis (Besuch in der KZ-Gedenkstätte) kaum interessierte. Aus dem Gespräch erfuhr ich, dass Gute am heutigen Tag sei einfach - keinen Matheunterricht zu haben. Dann wandten sich die beiden wichtigeren Dingen zu, sie kicherten und lachten, aus welchen Gründen auch immer, das blieb ihr Geheimnis. Inzwischen war eine ältere Dame zugestiegen, die sich unsicher nach einem Sitzplatz umsah. Da ich annahm, eines der beiden Mädchen würde der Frau ihren Sitzplatz anbieten, erhob ich mich nicht gleich von meinem Platz. Die aber flüsterten sich gegenseitig etwas ins Ohr und kicherten weiter. Ich erhob mich und bot somit der älteren Dame meinen Sitzplatz an. Obwohl kaum älter als ich (68 Jahre), war sie sichtlich froh, dem heftigen Schlenkern und Schaukeln im Mittelgang entkommen zu sein. Die pubertierenden Mädchen sahen mich für einen kurzen Augenblick erstaunt an, kicherten dann aber wieder weiter. War der Blick der beiden zu mir auch nur kurz, glaubte ich doch, Spott darin erkannt zu haben. Ich versuchte mich so gut es ging auf den Beinen zu halten und sah durchs Fenster die Häuser von Dachau und deren Vorgärten vorbeigleiten. Es war mein erster Besuch in der Kreisstadt Dachau. Mir erschien alles sehr sauber und ordentlich. Der Bus bog nun in eine Seitenstrasse. Durch das Fenster konnte ich, wenn auch nur kurz, eine schmale Tafel mit schwarzem Pfeil erkennen: "Zur KZ-Gedenkstätte" war mit schwarzen Buchstaben dort geschrieben. Der Bus hielt an, irgend ein Straßenname tönte aus dem Lautsprecher, den ich aber nicht verstand. Mindestens zwei Drittel der Fahrgäste stiegen aus, dann fuhr der Omnibus weiter. Ich hatte außer meiner Kameratasche kein weiteres Gepäck dabei. Ich ging nun in eine Richtung, wo ich das Schild vermutete, das ich durchs Busfester gesehen hatte. Den Weg zur Gedenkstätte konnte man aber nicht verfehlen, die meisten Leute, die ausgestiegen waren, wollten auch dorthin. Vor mir gingen mehrere Personen, die nicht Deutsch sprachen. Außer Englisch wurde auch in irgendeiner asiatischen Sprache gesprochen. Nach etwa 150 Metern stand ich dann am Eingang zur Gedenkstätte.

Rundgang in der Gedenkstätte

Was mir als erstes beim Betreten des ehemaligen Konzentrationslagers auffiel, war ein Wachturm. Wer, wie ich, schon mehrere KZ-Gedenkstätten besucht hat, wird feststellen, dass sie sich im Prinzip alle ähnlich sind. Ein Unterschied besteht meistens nur darin, was die einzelnen Bundesländer nach der Befreiung der Lager später daraus gemacht haben. In der damaligen DDR ist zum Beispiel im KZ-Lager Sachsenhausen fast alles abgerissen worden. Ein Monument in Form eines Turms wurde errichtet und vieles aus Gründen der Propaganda einfach verändert.
Jetzt aber war ich hier in Dachau. Dieser Name wurde, neben Auschwitz, zum Inbegriff aller KZ-Lager während der Nazi-Diktatur. In Dachau wurde nämlich das erste Konzentrationslager, wenn man von den sogenannten "wilden Lagern" der SA (Sturmabteilung) einmal absieht, von den Nazis errichtet. Nach dem Reichstagsbrand am 27.Februar 1933 eröffneten bereits einen Tag später die Nationalsozialisten die Jagd auf ihre Gegner. Kommunistische Reichstags- sowie Landtagsabgeordnete und andere Funktionäre kamen ins Gefängnis. Die Unterdrückungsmaschinerie, unterstützt durch die SA und SS, lief nun auf Hochtouren. Haftanstalten und Gefängnisse waren hoffnungslos überfüllt. Regionale Polizeibehörden brachten auf eigene Initiative Häftlinge an verschiedenen Orten unter. Später bezeichnete man diese als Konzentrationslager. Die Zahl der regelrechten Konzentrationslager, die die SA errichtete und verwaltete, war nicht groß. Die SA musste nämlich feststellen, dass es viel Geld kostete, Hunderte von Menschen (wenn auch erbärmlich) zu ernähren und zu bewachen. Die Lager wurden meistens aufgelöst oder in die Zuständigkeit regionaler Behörden gegeben, die auch ihre Finanzierung übernahmen.
Am Mittwoch, dem 22. März 1933, wird in der Nähe von Dachau "das erste Konzentrationslager für etwa 5000 Menschen gebaut!" Die ersten Häftlinge waren zum größten Teil Angehörige des Reichsbanners, kommunistische und auch andere sozialdemokratische Funktionäre. Das Lager wurde etwa drei Kilometer von Dachau, auf der Werksanlage der früheren Munitionsanstalt errichtet. Die Zeitung "Münchner Neuste Nachrichten" vom Dienstag, dem 21. März 1933, berichtet wie folgt:

Ein Konzentrationslager für politische Gefangene

In einer Pressebesprechung teilte der kommissarische Polizeipräsident von München Himmler mit:

Am Mittwoch wird in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager eröffnet. Hier werden die gesamten kommunistischen und - soweit notwendig -Reichsbanner und marxistische Funktionäre, die die Sicherheit des Staates gefährden, zusammengezogen.

Langsam ging ich am Wachturm vorbei. Immer, egal in welcher Gedenkstätte ich auch war, flößten mir diese Türme Unbehagen ein. Es ist ziemlich kalt heute an diesem 11.September und ich war froh, die Informations-und Museumsbaracke erreicht zu haben. Vor der Baracke stand eine Gruppe von Schülern herum, die auf den Beginn der Führung durch das Lager warteten. Sie schienen mir nicht sonderlich interessiert zu sein. Eher gelangweilt als neugierig standen sie herum, zumindest hatte ich diesen Eindruck.
Ich ging nun selbst, um mich zu informieren, in die Baracke. Es gab sogenannte "Audioguides," die sehr praktisch sind. Man drückt eine Nummer und auf Band gesprochene Texte und Erklärungen sind zu hören. Alles, was in der Gedenkstätte zu besichtigen ist, ist mit Nummern versehen. So ist dieser Audioguide ein gutes Mittel, um Informationen über die Gedenkstätte zu bekommen. Ich hatte mich schon in Sachsenhausen mit einem solchen Audiogerät informiert. Da ich kein Neuling bin, was Besuche in Gedenkstätten anbelangt, benutze ich diese Geräte nicht mehr. Ich nehme einen Gedenkstättenführer zur Hand und erkunde alles mit meinen Augen. Da ich schon viel einschlägige Literatur über Konzentrationslager gelesen und viele Zeitzeugen gesprochen habe, komme ich auch so gut zurecht. Meine Digital- und Videokamera schussbereit, mache ich mich auf dem Weg durch die KZ-Gedenkstätte Dachau.

Wie schon erwähnt, gab am 21. März 1933 Heinrich Himmler den Auftrag, ein Konzentrationslager in Dachau zu errichten.

Unter anderem berichtet "Der Völkische Beobachter" am Dienstag, den 21.März 1933:

"Am Mittwoch wird in der Nähe von Dachau das erste
Konzentrationslager mit einem Fassungsvermögen für
5000 Menschen errichtet werden"

Damit begann in Dachau ein Terrorsystem, das mit keinem anderen staatlichen Verfolgungs-und Strafsystem verglichen werden kann. Im Juni 1933 wurde Theodor Eicke zum Kommandanten des Konzentrationslagers ernannt. Dieser Theodor Eicke entwickelte ein Organisationsschema und Regeln, mit detaillierten Bestimmungen, wie sie später für alle Konzentrationslager gültig waren. Auch die Einteilung des Lagers in die Bereiche Wachtürme und Sicherungsanlagen und den sogenannten Kommandanturbereich mit Verwaltung und Kasernen für die SS stammte von ihm.

Eicke wurde später zum Inspekteur für alle Konzentrationslager ernannt, das KZ-Dachau wurde somit Modell für alle übrigen Lager und zur Mörderschule für Angehörige der SS.

Mein Rundgang - Das Jourhaus!

Das Jourhaus war der Ein-und Ausgang des Häftlingslagers. Dieses Torhaus war die Grenze zwischen der Welt draußen und dem Eingesperrtsein im Lager. Das Jourhaus war auch Sitz der SS im Lager. Die Lagerführer hatten ihre Büros hier eingerichtet.
Auf der anderen Seite des Jourhauses befand sich das Lager der SS und die gesamte Organisation zur Bewachung des Konzentrationslagers. Es war zugleich der Ausbildungsplatz der SS-Bewacher für andere Konzentrationslager. Zur Zeit wird das Gelände hinter der Mauer von der Bayerischen Bereitschaftspolizei genutzt.

Nachdenklich stehe ich vor den an den Wänden im Torbogen angebrachten Gedenktafeln, die an die Befreiung des Lagers durch die amerikanischen Truppen am 29.April 1945 erinnern. Trotz des Tageslichts brannte in einem der Räume, wo sich die Büros der SS befunden haben mussten, eine Kugellampe. Ich schaute durch das Fenster und sah, dass da nur Gerümpel herumlag. Die an einer langen Stange herunterhängende Lampe mit schwachem Lichtschein erweckte in mir ein komisches Gefühl. Die Häftlinge in den Arbeitskommandos mussten jeden Tag bei diesem Torhaus an ihren Peinigern vorbeimarschieren. Wenn die Räume und Mauern sprechen könnten, sie hätten wohl einiges an Grausamkeiten zu erzählen.

Der Schubraum!

Im Schubraum vollzog sich die Einlieferungsprozedur in das Konzentrationslager Dachau. Für die Gefangenen bedeutete dies den Verlust aller persönlichen Rechte, Freiheiten und menschlichen Eigenständigkeit. Die Ausstellung hier in Dachau zeigt sehr anschaulich die Raumaufteilung des ehemaligen Schubraums.
An der Fensterseite standen die eingelieferten Häftlinge. Dort mussten sie sich entkleiden. Hinter den Tischen saßen die SS-Männer und Funktionshäftlinge, die alle Neuzugänge registrierten, und ihre persönlichen Habseligkeiten entgennahmen.

Diese "Aufnahmeprozedur" schildert Stanislav Zámecník, - selbst Häftling in Dachau - , in seinem Buch "Das war Dachau":
Ein Schock sollte schon die erste Begegnung mit den SS-Männern beim Aussteigen aus dem Zug auslösen. Mit Schreien, Flüchen, Faustschlägen ins Gesicht und Fußtritten warfen sich diese auf die Neuankömmlinge. Ältere Menschen, denen das Aufsteigen auf die Ladefläche des Lastautos Schwierigkeiten bereitete, wurden erbarmungslos geschlagen. Nach der Ankunft im SS-Areal nahmen die Neulinge zunächst vor der niedrigen Baracke der politischen Abteilung rechts vom Häftlingslagereingang Aufstellung. Dort wurden sie zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der jungen Kerle mit dem Totenkopf an Kragen und Mütze. Zu allererst wurden die Juden bis aufs Blut geschlagen, dann kamen die anderen an die Reihe: "Und was hast du ausgefressen, du Rindvieh?" Wenn der Angesprochene den Grund für seine Haft nannte, erhielt er Schläge für das, dessen er sich schuldig gemacht hatte, und noch mehr Schläge, wenn er sich die Bemerkung erlaubte, er wisse nicht, warum er verhaftet worden sei. Jeder Büttel in genagelten Halbstiefeln wurde in diesem Augenblick zum großen Herren, während der Neuling feststellen musste, dass er ein "Sauhund", ein "Kretiner", ein "Untermensch", der "Abschaum" der Menschheit, ein "Arschloch", "ein Arsch mit Ohren" und ein "Stück Scheiße sei"...

An diese Zeilen im Buch von Stanislav Zámecník musste ich denken, als ich die Ausstellung "Schubraum" verließ und mich auf dem Weg in Richtung zum Häftlingsbad mache.

Das Häftlingsbad

Nun stand ich mit meinem Informationsheft in der Hand da, wo sich einst das "Häftlingsbad" befand. Aus dem Informationsblatt ist zu erfahren, dass das Bad die letzte Station der Einlieferungsprozedur war. Da wurden die Neuzugänge kahlgeschoren, desinfiziert, geduscht und danach in Häftlingskleidung zu den Baracken geschickt. Nach Kriegsbeginn und der Zunahme von Willkür und Brutalität wurde im Häftlingsbad eine zusätzliche Exekutionsstelle eingerichtet. Zwischen 1941 und 1942 wurde hier das "Pfahlhängen" und die Prügelstrafe vollzogen. Das Bad war auch die letzte Station der Häftlinge, die als so genannte "Invaliden" von den Ärzten selektiert und ab 1942 in die Gaskammer nach Schloss Hartheim geschickt wurden.
Nach einigen Fotoaufnahmen setzte ich mich , um eine kurze Pause zu machen. Ich musste das Gesehene und Gelesene erst einmal verarbeiten. Zumal ich durch Schilderungen meines Vaters, der lange Jahre im KZ-Sachsenhausen einsaß, viel über die brutalen Schikanen und Folterungen der Häftlinge aus erster Hand wusste. Gerade aber weil ich über dieses Wissen verfüge, konnte ich an den schauerlichen Plätzen, wo Menschen bis zum Tod gemartert wurden, alles noch schlimmer empfinden, als die meisten der anwesenden Besucher. Da ich noch am gleichen Tag wieder zurück nach Stuttgart fahren wollte, brach ich wieder auf, um den ehemaligen Appellplatz aufzusuchen.

Der Appellplatz

Das heutige Gelände der Gedenkstätte veranschaulicht die damalige Dimension des Appellplatzes. Der Appellplatz - ein schreckliches Wort, in mir löst dieser Name immer Unbehagen aus. Gerade hier in Dachau, wo ein Cousin meines Vaters zwei Jahre inhaftiert war. Wenn dieser nach dem Krieg bei uns zu Gast war, konnte ich des öfteren Gespräche zwischen ihm und meinem Vater mithören.
Was ich da zu Ohren bekam, ließ mich oft nachts nicht einschlafen und wenn doch, bekam ich Albträume. An solche Gespräche musste ich denken, als ich auf dem riesigen freien Platz stand. Auf dem Appellplatz wurden die Häftlinge morgens und abends abgezählt und in die Arbeitskommandos eingeteilt. Zur Abschreckung wurden hier Strafmaßnahmen vollzogen. Der Appellplatz, noch heute zu erkennen, wird durch die Wirtschaftsgebäude begrenzt. Auf dessen Dach, zur Verhöhnung der Häftlinge, prangt die Inschrift:

"Es gibt einen Weg zur Freiheit, seine Meilensteine heißen Gehorsam, Fleiß, Ordnung, Sauberkeit, Nüchternheit, Wahrhaftigkeit, Opfersinn und Liebe zum Vaterland."

Auf diesen Spruch mussten die Häftlinge bei jedem Appell blicken! Als die Häftlingszahl im Lager immer mehr anwuchs, desto länger dauerte auch das "Appellstehen." Die Zahl der Häftlinge musste beim Zählappell stimmen, daher mussten zu diesem auch die Toten und Todkranken mitgebracht und gezählt werden. Ich weiß von meinem Vater, dass das "Appellstehen" oft mehrere Stunden und länger dauern konnte. Ob bei Hitze oder Kälte, besonders aber, wenn eine Strafe, wie zum Beispiel Erhängen, vollzogen wurde, mussten die Häftlinge gegenwärtig sein und zusehen. Eine besondere Vorliebe der SS-Leute war, an christlichen Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern das Appellstehen über den ganzen Tag hin anzuordnen. Wer umfiel, wurde zur Strafe getreten und verprügelt.
An all diese Dinge musste ich denken, als ich die ehemalige Lagerstraße langsam hinunterging.

Die Lagerstraße

In der zentralen Achse des Lagers befand sich die Lagerstraße, an der links und rechts die Baracken standen. Am Übergang der Lagerstraße zum Appellplatz stehen heute zwei rekonstruierte Baracken. Die übrigen 32 Baracken sind nur noch durch Fundamente markiert und zu erkennen. Die heute noch gut erkennbaren Grundrisse des Lagers mit seiner symmetrischen Ausrichtung und Funktionsaufteilung wurde fast in allen anderen Konzentrationslagern ausgeführt.
Der heutige Geländeeindruck gibt nicht die Enge und Dichte der Barackenanlage wieder. Ursprünglich war das Lager für ca. 6.000 Häftlinge konzipiert, war aber in den letzten Jahren ständig überbelegt. Immerhin wurden am 29.April 1945 über 30.000 Menschen von den Amerikanern befreit. Am Ende der Lagerstrasse befinden sich heute konfessionelle Mahnmale. Die 1960 eingeweihte "Todesangst-Christi-Kapelle", in unmittelbarer Nähe die jüdische Gedenkstätte und die evangelische Versöhnungskirche, die beide bis 1967 errichtet wurden. Diese religiösen Gedenkstätten befinden sich auf dem ehemaligen Areal hinter den Häftlingsbaracken. Ein Blick auf meine Uhr lässt mich etwas schneller in Richtung des Bunkers gehen.

Der Bunker/Lagergefängnis

Das Lagergefängnis, der so genannte Bunker, wurde errichtet im Zuge des Neubaus des KZ in den Jahren 1937/38 und ersetzte frühere Gefängnisbauten.
Dieser Bunker diente zur Bestrafung der Häftlinge und zur Erpressung von Geständnissen. Von Zeitzeugen habe ich erfahren, welch menschliche Tragödien sich hier in diesem Lagergefängnis abgespielt haben. Folter und übelste Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Ein ehemaliger Häftling, der selbst einige Tage in diesem Bunker verbracht hatte, berichtete mir, dass ihn die fürchterlichen Schreie unbekannter Zellengenossen noch heute verfolgen. Jetzt findet man in den einzelnen Zellen Zeitzeugenberichte von Gefangenen aus dem Bunker. Froh, diesen unheimlichen Ort verlassen zu können, mache ich mich zu einem anderen schrecklichen Ort auf - dem Krematorium.

Das Krematorium

Die Anlage des Krematoriums war vom Häftlingslager strikt getrennt. Vor dem Jourhaus zweigte der Weg innerhalb des SS-Lagers zum Krematoriumsbereich ab. Nur Häftlinge des Arbeitskommandos Krematorium durften das Gelände betreten. Was heute noch erhalten ist, ist das erste Krematorium aus dem Jahr 1940 und die so genannte Baracke X, die im Jahr 1942/43 errichtet wurde. Die in der Baracke X installierten Gaskammern wurden für den geplanten Zweck der Massenvernichtung nicht in Betrieb genommen. Das gesamte Areal aber diente als Hinrichtungsstätte. Häftlinge, die im Arbeitskommando "Krematorium" arbeiteten, waren meistens dem sicheren Tod geweiht. Das war in allen Konzentrationslagern so. Niemand sollte erfahren, was sich dort zugetragen hat.

Die Häftlinge

Die ersten Häftlinge in Dachau waren politische Gegner des Regimes, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, vereinzelt auch Mitglieder konservativer und liberaler Parteien.
Auch erste jüdische Häftlinge wurden auf Grund ihrer politischen Gegnerschaft ins KZ-Dachau eingeliefert. In den Folgejahren wurden immer neue Gruppen nach Dachau verschleppt: Juden, Homosexuelle, Zigeuner, Zeugen Jehovas, Geistliche u.a. Als Folge des Novemberpogroms, der so genannten Kristallnacht, wurden mehr als 10.000 Juden in Dachau eingeliefert.
Nach dem "Anschluss" im Frühjahr 1938 kamen auch österreichische Gefangene nach Dachau. Im selben Jahr folgten Häftlinge aus sudetendeutschen Gebieten, im März 1939 tschechische Häftlinge und nach Kriegsbeginn Häftlinge aus Polen, aus Norwegen, aus Belgien, aus den Niederlanden, aus Frankreich usw. Die deutschen Gefangenen wurden schließlich zu einer Minderheit; die größte nationale Gruppe waren die polnischen Häftlinge, gefolgt von Häftlingen aus der Sowjetunion.
Insgesamt waren über 200.000 Häftlinge aus mehr als 30 Staaten in Dachau inhaftiert.
Nun ging ich, um mich im Lagermuseum weiter zu informieren. Auch auf der Homepage der Gedenkstätte Dachau habe ich über das Internet vieles in Erfahrung bringen können. Ich möchte nicht versäumen, den "Machern" dieser Webseiten mein Lob auszusprechen. Vieles, was ich da erfahren habe, konnte ich in meinen Bericht einbinden.

Ich hatte Glück, dass im Filmraum gerade die Vorführung begann. Ich muss sagen, ich war erschüttert. Sogar die jungen Leute, die mit mir die Vorstellung sahen, waren bestürzt ob dieser Bilder. Ich lege hiermit jedem Besucher der Gedenkstätte nahe, sich diesen Film ("Das KZ Dachau") anzusehen. Sollte dies, aus welchen Gründen auch immer, nicht machbar sein, empfehle ich, die Videokassette zu kaufen. (Beim Buchladen in der Gedenkstätte.) Ich selber habe sie gekauft und zu Hause in aller Stille den Film nochmals angesehen.

Sklavenarbeit

In der Vorkriegszeit mussten die Häftlinge in verschiedenen SS-eigenen Betrieben, beim Straßenbau, in Kiesgruben uvm. Arbeiten. In den Kriegsjahren aber immer mehr für die deutsche Rüstungsindustrie. Ab etwa 1942 entstand ein weitverzweigtes Netz aus Außenlagern und Außenkommandos, in denen über 30.000 Gefangene ausschließlich für die deutsche Rüstungsproduktion arbeiteten.
Durch die Luftangriffe der Alliierten wurde zunehmend die Flugzeugproduktion und die Herstellung wichtiger Waffen, wie etwa Flugzeuge und Raketen, in riesige unterirdische Fabriken verlegt. Dazu wurden unter anderem zwei große Lagerkomplexe als Außenlager von Dachau gegründet: Kaufering und Mühldorf.
In Mühldorf und vor allem in den elf Kauferinger Lagern bei Landsberg am Lech lebten und arbeiteten mehr als 30.000 Häftlinge unter mörderischen Bedingungen. Nachweislich handelte es sich zum größten Teil um Juden aus Ungarn, Polen und Litauen. Was ich von Zeitzeugen (u.a. von meinem Vater und dessen Cousin) über solche Arbeitskommandos erfuhr, gäbe ein ganzes Buch und würde den Rahmen meines Berichts sprengen. Ich war nun schon seit 5 Uhr früh auf den Beinen, außer einem Frühstück hatte ich noch nichts zu mir genommen. Ich wollte aber meine Zeit nicht durch eine Mahlzeit verschwenden. Und wenn ich ehrlich bin, war mir, nach dem, was ich bisher gesehen hatte, auch der Appetit vergangen.

Leiden und Sterben

Im weiteren Verlauf des Krieges wurde das KZ Dachau zu einer Stätte des Massenmordes. Im Oktober 1941 wurden mehrere tausend sowjetischer Kriegsgefangener nach Dachau gebracht und dort erschossen. Auch andere, von der Gestapo (Geheime Staatspolizei) zur Exekution bestimmte Gefangene, brachte man nach Dachau und ließ sie hinrichten.

Viele Häftlinge wurden von den SS-Ärzten für medizinische Experimente missbraucht. Zum Beispiel: Unterdruckversuche, Unterkühlungsversuche, Versuche mit Malaria und andere Experimenten. Eine unbekannte Zahl von Häftlingen starb einen qualvollen Tod. Auf sogenannten "Invalidentransporten" wurden ab Januar 1942 mehr als 3.000 Häftlinge in die Landesanstalt Schloss Hartheim bei Linz gebracht und dort mit Giftgas ermordet.

Die Befreiung

Mit dem Vorrücken der alliierten Truppen wurden immer mehr Konzentrationslager von der SS evakuiert. Auf diesen oft wochenlangen Transporten, häufig zu Fuß, kamen Tausende der Häftlinge ums Leben. Sie starben an Krankheiten, Schwäche, Unterernährung, und den Schlägen der SS. Wenn sie nicht mehr transportfähig waren, wurden sie einfach erschossen. Die Häftlingszahl in Dachau stieg um ein Vielfaches. Im Dezember 1944 herrschten dort katastrophale Verhältnisse. Die Baracken waren hoffnungslos überfüllt. Eine Typhusepidemie kostete Tausenden das Leben. Ende April begann die SS damit, die mehr als 100 Außenlager von Dachau zu evakuieren. Eine nicht mehr feststellbare Zahl von Gefangenen kam auf den Märschen ums Leben. Sie wurden von Tieffliegerangriffen auf Eisenbahntransporte getötet oder noch vor dem Abtransport von der SS ermordet.

Noch am 27. April 1945 wurden vom Hauptlager Dachau rund 7.000 Häftlinge auf einen Marsch in Richtung Süden geschickt.

Einen Tag später, am 28. April 1945, verließ der größte Teil der SS das Lager. Tags darauf, am 29. April 1945, wurde das Konzentrationslager Dachau von Einheiten der US-Armee befreit. Bei der Befreiung befanden sich im Konzentrationslager Dachau über 67.000 Häftlinge, davon etwa die Hälfte im Hauptlager.

Alle Zahlen und Angaben in meinem Bericht stammen aus Informationsblättern, öffentlich zugänglichen Unterlagen, Broschüren über das Lager Dachau und Informationen auf der Homepage der Gedenkstätte im Internet. Texte und Zahlenmaterial in den Ausstellungen des Museums der Gedenkstätte wurden ebenfalls berücksichtigt.

Zum Schluss möchte ich mich an die jüngere Generation wenden: Seid wachsam und wehret den Anfängen. Lasst so etwas wie Dachau niemals wieder zu! Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber das Gute kann man öfter sagen, ja muss es oft sagen. Auch viele der Alten, die in dieser Schreckenszeit lebten und jung waren, haben nichts getan. Bis es zu spät war. Sie haben verdrängt, geleugnet, gelogen. Teilweise tun sie das heute noch. Macht es nicht ebenso!

Stuttgart, im September 2003

Richard Bachmann