Richard Bachmann

Geschichten aus dem Grenzwald

Erzählungen aus Bayern und Westböhmen
Erschienen bei Monsenstein und Vannerdat, Münster 2006
ISBN 3865823092
Siehe auch: www.amazon.de

Vorwort des Lektors

Richard Bachmann (Jahrgang 1935) hat in diesem Erzählband Geschichten aus der mündlichen Überlieferung zusammengetragen, die in der Oberpfalz und Westböhmen schon seit Jahrhunderten Ausdruck einer volkstümlichen Erzählkultur sind. Gespenstergeschichten etwa kursieren – nicht nur in dieser Region - schon seit dem Zeitalter des Barock (17. Jahrhundert). Nichtsdestotrotz ist die schriftliche Aufzeichnung und damit die Bewahrung jener Tradition höchst spärlich und unzureichend. Die frei schwebende mündliche Überlieferung, die nur durch Wiedererzählen und Weitererzählen fortlebt, läuft Gefahr, sich im Medienzeitalter restlos zu verflüchtigen. Wir haben verlernt zu erzählen und zuzuhören. Und soziale Einrichtungen wie die „Hutschaabende“, bei denen Nachbarn, Freunde und Verwandte regelmäßig zusammentrafen, um wilde fantastische Geschichten vorzutragen, gehören bereits der Vergangenheit an.
Umso erstaunlicher ist das große Engagement des Autors, der seit seiner Kindheit nicht nur als begeisterter Hörer von Geschichten, sondern stets auch als ein fleißiger Weiter-Erzähler und Bewahrer dieses Erzählguts in Erscheinung getreten ist. Durch direkte Teilhabe an der Tradition konnte er deshalb aus seiner eigenen Erinnerung viele Geschichten rekonstruieren. Und durch Nachfragen und Recherchieren bei seiner eigenen Generation und der seiner Eltern wurde er im Laufe der Jahrzehnte ebenfalls mit allerlei Erzählungen belohnt, die ohne seine Aufzeichnungen unwiederbringlich verloren gegangen wären. Das Beste aber ist: Richard Bachmann hat in der Auseinandersetzung mit der mündlichen Überlieferung auch selbst Geschichten erfunden – nicht nur gefunden. Er benutzt ihre charakteristischen Motive und Gestalten, ihre spezielle Atmosphäre und ihr zeitgenössisches Kolorit, um die Tradition auch selbst ein Stück weit fortzuschreiben. Damit verhindert er, dass seine Geschichten ausschließlich zur musealen Erinnerung erstarren. Selbst gehörte, anderswo gesammelte und selbst verfasste Erzählungen bilden also einen lebendigen, bis in die Gegenwart reichenden Zusammenhang.
Die Geschichten – auch die erfundenen – spielen allesamt in einem Zeitraum, der vor dem Ersten Weltkrieg einsetzt und sich bis in die 50er Jahre erstreckt. Richard Bachmanns Geschichten aus dem Grenzwald dokumentieren also die letzten Ausläufer einer mündlichen, echt volkstümlichen Erzählkultur, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch in voller Blüte stand. Die wunderlichen Figuren und Begebenheiten, die seit jeher die Fantasie der so genannten einfachen Leute inspiriert haben – hier finden sie sich alle wieder: Lichter-Erscheinungen, Waldgeister, Schmuggler, Wilderer, Ehebrecher, Spieler, Musikanten, Totengräber, Hellseher, Selbstmörder und Mörder; gefürchtete Waldwinkel und Plätze, wo es umgeht und spukt; sowie das ganze Arsenal der Gespenster und Wiedergänger aus dem Reich der Toten: Weiße Frauen, enthauptete Söldner aus dem Dreißgjährigen Krieg, spurlos verschwundene Leichen, in gespenstischen Kutschen dahinjagende Verstorbene, Vollmondnächte mit Tod und Teufel und vieles andere mehr. Die Geschichten aus dem Grenzwald sind eine einzige Liebeserklärung an die Oberpfalz und Westböhmen. In geradliniger klarer Sprache, dem Volk direkt vom Maul abgeschaut, rettet dieses Buch ein Bruchstück mündlich entstandener Kultur, die bald schon vollkommen vergessen sein könnte.

Günter Bachmann
Stutgart, im Februar 2006