Richard Bachmann

Besuch im KZ-Sachsenhausen

11. September 2001

Am 10 September 2001 entschloss ich mich, mit meinem Sohn die 'KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zu besuchen. Lange habe ich überlegt, ob ich die Stätte besuchen sollte oder nicht. Ich kam zu dem Entschluss, den Ort des Grauens aufzusuchen, in dem mein Vater fünf Jahre seines Lebens verbrachte.
Mein Vater wurde am 23.12.1939 in das Konzentrations-Lager Sachsenhausen/Oranienburg bei Berlin eingeliefert. Einen Tag vor Heiligabend, um 18.00 Uhr, trug man ihn auf der Schreibstube in die Kartei Neuzugänge ein. Am 20.04.1944 wurde er entlassen. Was er in diesen fast fünf Jahren an Folter und Schmach erdulden musste, habe ich in vielen Gesprächen mit ihm erfahren; manchmal schilderte er mir Dinge, die so schlimm waren, dass ich zu weinen anfing.

Wir beschlossen, die Anreise mit dem Zug zu machen. Mein Sohn hatte dafür ein stichhaltiges Argument: Wir konnten uns auf der Fahrt von Stuttgart nach Berlin vorbereiten. Ich hatte schon viele Vorinformationen gesammelt und das wollten wir sichten. Natürlich interessierte uns auch die Stadt Berlin, ich war vor zwölf Jahren das letzte Mal dort. Zu dieser Zeit gab es noch die Mauer und Vieles war noch anders. Wir waren also neugierig, wie sich Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz entwickelt hat. So machten wir uns am 10.09.01 um 5.51 Uhr mit dem ICE von Stuttgart Hauptbahnhof nach Berlin-Zoologischer Garten auf den Weg.

Gegen Mittag erreichten wir Berlin und fuhren mit dem Regional-Express nach Oranienburg. Schon im Zug dorthin überkam mich ein eigenartiges Gefühl. Unter welchen Umständen wurde wohl mein Vater vor 62 Jahren hierher gebracht? Im Viehwagon oder auf einem LKW? Leider hatte er mir das nicht erzählt. Ich nehme an, für ihn war es nebensächlich, er hatte zu dieser Zeit bestimmt andere Sorgen. Ich beobachtete durch das Zugfenster die vorbeihuschende Landschaft Brandenburgs, ich konnte mich gegen meine gedrückte Stimmung einfach nicht wehren. Das Wetter tat noch ein Übriges, es fing an zu regnen.

Die Fahrzeit Berlin-Oranienburg dauert mit der Regionalbahn ca. 40 Minuten. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Der Regen machte die Sicht aus dem Abteilfenster schwierig und ich musste mich anstrengen, wollte ich die Stationen und Häuser der einzelnen Orte erkennen. Meine Gedanken kreisten immer um die gleiche Frage: "Wie hat mein Vater die Fahrt hierher empfunden?" Eine befriedigende Antwort konnte ich nicht finden. Was mir noch gut in Erinnerung ist, war der Zeitpunkt der Überführung von der Untersuchungshaft ins KZ. Am 19.12.1939 wurde er im Untersuchungsgefängnis abgeholt und, wie schon erwähnt, am 23.12.1939 um 18.00 Uhr in Sachsenhausen eingeliefert. Ich frage mich immer wieder, warum dauerte die Einlieferung von Fürth/Bayern nach Oranienburg/Sachsenhausen 4 Tage? Was ist auf dem "Transport" geschehen oder besser gesagt mit ihm gemacht worden? Ich weiß es nicht!<br>

Endlich erreichten wir Oranienburg. Wegen des schlechten Wetters sah der Bahnhof trist aus, was meinen Gemütszustand noch verschlechterte. Ich schulterte meine Foto- und Videoausrüstung samt Reisetasche und ging hinter meinem Sohn her, der schon fast den Ausgang erreicht hatte. Am Bahnhofsvorplatz waren um die Mittagszeit wenig Menschen. Eine Frau fragten wir nach dem Weg in unser Hotel, wir wussten nur, dass es ca. 500 Meter vom Bahnhof entfernt sein sollte. Mit einem Taxi wollte ich nicht fahren, obwohl sich herausstellte, dass es erheblich weiter war, als angenommen. Da das Hotel in gleicher Richtung wie die KZ-Gedenkstätte lag, wollte ich mir den Weg anschauen, auf dem unter Umständen mein Vater transportiert wurde. Das alte Kopfsteinpflaster auf dem Gehweg schien noch aus dieser Zeit zu sein. Es war mit Unebenheiten und Löchern übersät, so dass es mich in meiner Annahme bestärkte, über 60 Jahre alt zu sein.

Als wir das Hotel erreichten, das aus rötlich braunen Klinkersteinen erbaut war und nicht gerade wie ein Hotel aussah, waren wir heilfroh, ins Trockene zu kommen. Nach der Anmeldung an der Rezeption wurden wir angenehm überrascht. Von innen sah das Ganze sehr gepflegt aus und auch das Zimmer war geschmackvoll eingerichtet. Mein Sohn wollte mir eine kleine Ruhepause gönnen und schlug vor, uns etwas frisch zu machen und vielleicht eine Mütze Schlaf zu nehmen. Als ich aus dem Bad kam, schlug ich ihm vor nach Berlin zu fahren, um jede Stunde zu nutzen, die uns in den vier Tagen blieben. Also kauften wir uns eine "Welcome-Card", die es uns ermöglichte, alle Verkehrsmittel 72 Std. lang in und um Berlin zu benutzen. Nach einem Spaziergang (der Regen hatte nachgelassen) auf dem "Ku'damm" gingen wir zum Essen und erst am späten Abend fuhren wir nach Oranienburg zurück. Es war ein langer Tag für uns gewesen, trotz der Müdigkeit konnte ich nicht sofort einschlafen, ich war ganz in der Nähe jener "Stätte", wo mein Vater gedemütigt, gepeinigt und gefoltert worden war.

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