Zwischen Weiden und Eslarn

Geschichten aus der nördlichen Oberpfalz

von Richard Bachmann

Vorwort des Autors

Die folgenden Geschichten sind teilweise von mir erfunden. Doch manche haben auch einen wahren Hintergrund und beruhen auf Erzählungen meiner Eltern, Großeltern und anderer Personen. Diese Geschichten versuche ich genau so wiederzugeben, wie ich sie noch in meiner Erinnerung habe.
Der nördliche Teil der Oberpfalz fügt sich fast nahtlos in die Ausläufer des Böhmerwalds ein. So spielen viele meiner Geschichten auch im sogenannten „Grenzwald“ (siehe mein 2006 erschienenes Buch: „Geschichten aus dem Grenzwald“). Nicht nur geografisch, sondern auch geschichtlich ist der nordöstliche Teil der Oberpfalz mit Westböhmen eng verbunden. Die Mentalität in dieser Grenzregion ist nicht überall gleich, in den Grundzügen jedoch sehr ähnlich. Und vielleicht gerade deshalb – eben weil sie sich sehr ähnlich sind – nehmen sich die „Bäijm“ (die Böhmischen) und „Stoipfalzbüffel“ (Steinpfalzbüffel, Oberpfälzer) gerne gegenseitig auf den Arm. Niemand eignet sich eben besser zur Zielscheibe des Spottes als Verwandte und Nachbarn.
Der nördliche Teil des Oberpfälzer Waldes ist, genau wie Westböhmen, eine regelrechte Fundgrube für Geschichten und Sagen. Das liegt wahrscheinlich an der endlosen Landschaft mit ihren waldbedeckten Bergen und einsamen Fischweihern, an den rätselhaften Kapellen, Kreuzen, Grabsteinen und Heiligenbildern, aber auch an den Burgen aus dem Mittelalter: Sie liefern schon seit Jahrhunderten reichlich Stoff zum Erzählen.

Überirdische Erscheinungen sind eine sehr persönliche Erfahrung. Und wer mir sein Inneres geöffnet hat, dem bin ich zu großem Dank und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Deshalb sind einige Namen von Personen frei erfunden, andere wurden geändert. Entweder überzeugen die folgenden Geschichten durch ihre eigene Darstellung und durch ihren eigenen Inhalt oder sie überzeugen gar nicht. Sie werden nicht wahrer oder falscher, wenn man die genauen Namen und Adressen der handelnden Personen kennt. Viel wichtiger ist mir, dass die Geschichten unterhaltsam sind. Sollten sie auch noch zum Nachdenken anregen, dann umso besser. Aber ich maße mir nicht an, das Übersinnliche besser zu verstehen als irgendein anderer Mensch. Am Ende werden die Leserinnen und Leser wohl selber am besten wissen, ob sie Geister für wahr halten oder nicht.

Der Grund, warum ich gelegentlich eigene Geschichten erfinde, ist der gleiche wie schon bei meinem ersten Erzählband: Wer sich lange mit der mündlichen Überlieferung von unheimlichen Geschichten beschäftigt, der fängt an, in ihnen zu leben, zu denken und zu fühlen. Und vergleicht man verschiedene Fassungen von Geistergeschichten, so ist leicht zu erkennen, wie die mündlichen Erzähler sie immer weiter mit fantastischen Zügen ausmalen. Man kann ja wohl schlecht einem Gespenst begegnen – oder zumindest glauben, dass man ernsthaft einem Gespenst begegnet ist – und anschließend so nüchtern davon erzählen wie ein unbeteiligter Zuschauer. Wenn ein Geist erscheint, gerät die uns bekannte Welt total aus den Fugen. Dichtung und Wahrheit sind hier noch schwieriger zu trennen als irgendwo sonst. Und so mag man auch mir, einem Sammler von Geschichten, das Menschenrecht der Fantasie gewähren und mich auch selbst erzählen lassen.

Aber einen wichtigen Unterschied zum letzten Erzählband will ich gerne gestehen: Einige von meinen Geschichten beruhen auf eigenen Erfahrungen. Zum ersten Mal konnte ich mich dazu durchringen, über merkwürdige Erscheinungen zu schreiben, die mir ausnahmsweise auch selbst begegnet sind. – Und zwar in der Oberpfalz - zwischen Weiden und Eslarn. Ob es wirklich Geister waren, die mir erschienen sind, weiß ich natürlich nicht. Aber ich weiß, dass es vollkommen rätselhafte Erlebnisse waren, die mich bis auf den Grund meiner Seele erschüttert haben. Sicher haben viele Menschen schon Ähnliches erlebt. Vielleicht nur sehr selten – genau wie ich selbst. Deshalb sind wir noch lange keine Geisterseher. – Und darüber sollten wir auch froh sein: Ist es doch viel angenehmer, sich beim Hören und Lesen zu gruseln, als tatsächlich einem Gespenst über den Weg zu laufen.

Stuttgart, im Januar 2011
Richard Bachmann