Europäische Manager-Porträts

Quelle:
Helen Peters/Robert Kabacoff:
Global or Local: The Impact of Country Culture on Leadership Style
in Europe.
Management Research Group, 1998.
MRG Research Report: Leadership & Culture

Diese Untersuchung wurde von der Management Research Group
angestellt, einer Firma, die sich auf
Beurteilungsmaßstäbe für das Verhalten von
Individuen und Organisationen spezialisiert hat.

Ausgangspunkt war die Fragestellung, ob global agierende
Führungskräfte durch die Internationalisierung und
zunehmende Standardisierung ihrer Arbeit nicht doch einen
gemeinsamen Stil entwickelt haben, der die kulturellen Differenzen
ihrer nationalen Herkunft überlagert. Die Antwort ist ein
eindeutiges Nein. Nach wie vor bestimmen Firmenkulturen und
Mentalitäten, die sich aus den Länderkulturen, ihren
spezifischen Werten, ihren Ausbildungssystemen und sozialen Normen
entwickeln, das Handeln der Manager.

Für diese Untersuchung wurden 4000 Individuen aus dem
oberen und mittleren Management in europäischen Firmen und
Organisationen befragt. Grundlage war eine Selbsteinschätzung
(self-assessment) mittels eines detaillierten Fragebogens. Die
Autoren weisen selbst darauf hin, dass die Selbsteinschätzung
nicht immer objektive Rückschlüsse auf das
tatsächliche Verhalten zulässt. Seit etwa zwei Jahren ist
in den USA auch eine neue Methode entwickelt worden, das so
genannte „360 degree assessment“. Hier wird die
Selbsteinschätzung mit der Fremdbewertung durch Untergebene,
Kollegen und Vorgesetzte umfassend kombiniert – nicht immer
zum Vorteil der Selbsteinschätzer. Aber auch die Art, wie
Führungskräfte sich selbst sehen und interpretieren, ist
zweifellos aufschlussreich: psychologisch wie geschäftlich.
Die Selbsteinschätzung legt insgesamt enorme kulturelle
Unterschiede frei, die sich mentalitätsspezifisch erfassen und
systematisch beschreiben lassen.

Das Führungsmodell, das die Management Research Group ihrer
Erhebung zugrunde legte, weist die üblichen internationalen
Kriterien auf:

  • Die Fähigkeit, Visionen zu entwickeln
  • Die Fähigkeit, Menschen für diese Visionen zu
    gewinnen
  • Die Fähigkeit, Visionen in die Praxis umzusetzen
  • Die Überwachung des Fortschritts
  • Die konkreten Resultate, die erreicht werden
  • Und natürlich die Teamfähigkeit.

Anhand dieser Parameter wurde die Befragung
durchgeführt.

Hier folgt eine kurze Zusammenfassung der europäischen
Manager-Profile, die in der Untersuchung erstellt wurden. (Wie
immer benutze ich eigene Übersetzungen, Umschreibungen und
Kommentare.)

Schwedische Manager
Sie sind einzigartig in Europa. Denn sie halten sich für die
innovativsten Führungskräfte. Sie mögen eine schnell
wechselnde Umgebung, sind risikobereit und denken über neue
und unerprobte Lösungsansätze bereitwillig nach. Das
führt zu einer experimentellen, aber auch kurzfristig
denkenden Einstellung. Im Zentrum ihres Handelns ist also die
Gegenwart. Sie trauen ihren Instinkten auch wesentlich mehr als der
rationalen Analyse, handeln schnell und verbringen wenig Zeit mit
richtungsweisenden Leitlinien. Sie kontrollieren weniger Prozesse
und Fortschritte und setzen auf team- und aktionsorientierte
Durchführung. Ihr persönliches Auftreten ist locker und
informell. Gleichzeitig scheinen sie aber auch etwas reserviert.
Ein kulturelles Paradox also, das meines Wissens noch einer
Untersuchung harrt. Die Teamfähigkeit ist jedoch stark
ausgeprägt. Schwedische Manager sind gleichermaßen offen
für Rat und Hilfe. Sie entscheiden durchaus gruppenorientiert.
Sie geben ihren Mitarbeitern beträchtliche Autonomie. Und
anderen bei ihrer persönlichen Entwicklung zu helfen, ist
für sie eine Hauptaufgabe der Führung.

Dänische Manager
Sie sind weitaus weniger teamorientiert als ihre schwedischen
Kollegen. Sie bevorzugen strategisches und analytisches Denken.
Gerne setzen sie Fristen und kontrollieren eisern den
Arbeitsfortschritt. Sie verkaufen selbstbewusst ihre Ideen, sind
also eher egozentrische Visionisten. Sie mögen eine Position
mit Autorität und Verantwortung. Aus dieser Position wiederum
führen, managen und leiten sie sehr gerne ihre Mitarbeiter.
Sie sind außerordentlich zielorientiert. Hilfe für die
Kollegen scheint ihnen nicht so wichtig. Obwohl sie sich sehr stark
auf ihre Aufgabe konzentrieren, können sie sehr schnell
menschliche Beziehungen herstellen. – Erneut ein Paradox, das
eine Untersuchung wert wäre. Oder ist das nur eine
pragmatische Anerkennung der Bedeutung, die heute der Kommunikation
und der Arbeit im Team zukommt?

Deutsche Manager
Deutsche Manager glauben, dass sie sehr zukunftsorientiert sind.
Neue Perspektiven und Ideen greifen sie fast so bereitwillig auf
wie ihre schwedischen Kollegen. Im Unterschied zur schwedischen
Mentalität vergleichen sie allerdings die neuen Praktiken sehr
penibel mit den alten Praktiken. Sie minimieren also gerne das
Risiko von Innovationen, indem sie die Erfahrung reflektieren. Sie
sind Revolutionäre in der Theorie, aber Konservative in der
Praxis. Die Parallele zur deutschen Geistesgeschichte drängt
sich förmlich auf. - Deutsche Manager schmieden Pläne
erst nach einer gründlichen Analyse, die extrem viele Daten
berücksichtigt. Dann projizieren sie ihre möglichen
Entscheidungen in die Zukunft und versuchen, alle Konsequenzen zu
durchdenken. Sie sind außerdem extrem technikorientiert. Die
Teamfähigkeit leidet unter einer großen Skepsis
gegenüber den Vorgesetzten.

Französische Manager
Im Gegensatz zu den deutschen Kollegen denken französische
Manager nicht viel über die Vergangenheit nach. Sie sind,
trotz ihrer guten Ausbildung, auch weniger technikorientiert. Sie
ziehen eine kurzfristige Perspektive vor, vertrauen auf ihren
Instinkt mehr als auf die Analyse. Besonders auffällig ist
ihre große Loyalität gegenüber ihrer Organisation
oder Firma. Französische Manager fühlen sich in ihrer
abgehobenen und autoritären Position durchaus nicht wohl. Sie
suchen Rat und Hilfe und sind vorzügliche Team-Player. Ihr
persönliches Auftreten wirkt oft spontan, kontaktfreudig,
energisch und emotional. (Die deutschen Kollegen hingegen sehen
sich eher als zurückhaltend.) Ein erfahrener
Unternehmensberater teilte mir mit, es sei fatal, vor dem Dessert
(„before the cheese“) mit einem französischen
Manager ein Geschäft machen zu wollen.

Holländische Manager
Sie treffen ihre Entscheidungen gerne unabhängig. Sie
akzeptieren, hierin den Deutschen nicht unähnlich, nur
äußerst ungern Entscheidungen von Vorgesetzten. Sie
bitten ihre Kollegen nur selten um Rat, Hilfe oder
Unterstützung. Sie bevorzugen den egozentrischen Verkauf von
Ideen. Sie verfügen jedoch über die wichtige
Fähigkeit, andere Menschen zu begeistern. Ihr Pragmatismus
widerstrebt auch einer zu intensiven Strukturierung ihrer Arbeit.
Sie sind durchaus in der Lage, Verantwortung abzugeben,
kontrollieren aber intensiv die Leistung.

Belgische Manager
Sie lernen gerne aus der Erfahrung und vermeiden Fehler. Sicher ein
deutscher Charakterzug. Aber sie respektieren Autorität und
stellen die Interessen der Firma über ihre eigenen Ziele.
Ähnlich den Franzosen, fühlen sie sich in der
Management-Position oft nicht wohl. Belgische wie auch
holländische Manager kontrollieren übrigens sehr stark
ihre Gefühle. Sie ziehen ein ruhiges und objektives Verhalten
vor, arbeiten ausgezeichnet in Stress-Situationen und sind
außerordentlich zähe Verhandlungspartner. Sicher ein
Vorzug der emotionalen Kontrolle, da Emotionen das Denken nicht
immer fördern.

Irische/Englische Manager
Eine gewagte Zusammenstellung. Hier liegen auch nur spärliche
Informationen vor. Sie sind sich offenbar sehr ähnlich.
Irische Manager interessieren sich etwas mehr für Erfahrung.
UK-Manager delegieren gerne Verantwortung und arbeiten
teamorientiert. Wie die holländischen Kollegen treffen sie
gerne unabhängig Entscheidungen.

Anmerkung
In der Untersuchung wurden Süd- und Osteuropa nicht
berücksichtigt.