Gottlieb Daimler: Porträt & Biographie

PORTRÄT

Gottlieb Daimler war stets mehr mit seiner Arbeit als mit
Selbstdarstellung beschäftigt. Aus diesem Grund sind seine
Arbeitsstationen, seine technischen Innovationen und das gekonnte
Management seiner Motoren sehr wesentliche Daten auch seiner
persönlichen Biographie. Leben und Arbeit lässt sich bei
ihm nicht wirklich trennen.

Dennoch ist Vorsicht geboten, wenn man ihn allzu schnell zum
modernen Workaholic stilisieren möchte. Unzweifelhaft
verfügte er über eine künstlerische Begabung, die
zugleich eng mit seinen außerordentlichen Fähigkeiten
als Ingenieur zusammenhängt: das Zeichnen. Im Alter von 13
Jahren legte er ein Heft mit gefühlvollen, anatomisch
erstaunlich exakten Tier-Zeichnungen an. Auch später, auf
seinen zahlreichen Reisen, malte er fleißig
Landschaftsbilder. Zudem tat er sich als beachtlicher
mündlicher Erzähler hervor. Im Kreis der Familie
schilderte er sehr lebendig seine Erfahrungen im Ausland. Er hat
also sein Leben mit klassisch künstlerischen Mitteln
verarbeitet: durch Geschichten und Bilder.

Noch beeindruckender sind vereinzelte Äußerungen von
ihm, die ihn als Mensch mit inneren Widersprüchen zeigen. Es
wäre gänzlich unangemessen, nur seine großen
Erfolge hervorzuheben, nur von diesen Erfolgen auszugehen und ihn
sozusagen "rückwärts" als
Industrie-Kapitän, als aalglatten Manager und
schwäbischen Arbeitsgiganten zu konstruieren. So schreibt er
als junger Mann in England in einem Brief an seinen Onkel
Wilhelm:

<blockquote class="buch">"... ich kann nämlich nicht lesen oder studieren,
solange ich will, sondern sobald ich des Abends zu lange sitze oder
mich nur ein wenig anstrengen will, so bekomme ich Schwindel. Das
Blut steigt mir in den Kopf und trübt mir den Verstand,
daß ich nicht mehr klar denken kann und ich muß es
wider meinen Willen aufgeben. Schon einige Male wollte ich es
durchaus forcieren, da bekam ich geradezu eine Ohnmacht und
Herzklopfen und hatte eine schlaflose Nacht."

Gesundheitlich betrachtet war Gottlieb Daimler also alles andere
als robust. Seine unglaubliche Arbeitsleistung gewinnt vor diesem
Hintergrund eine heroisch-tragische Statur, die man auf den ersten
Blick vielleicht gar nicht vermutet hätte. Lesen wir
weiter:

<blockquote class="buch">"Wenn ich von Dir höre, daß du viermal in der
Woche neben Deinem Geschäft am Tage bis Nachts um 1 Uhr
hinsitzen und arbeiten kannst, ohne Dich zu überarbeiten, so
will mir fast der Mut sinken und ich komme zu der Meinung,
daß ich nie im Leben es zu etwas bringe und eine ordentliche
Stellung werde begleiten können."

Das folgende Zitat verdeutlicht, dass Gottlieb Daimler sich
seine Stimmungsschwankungen auch sprachlich sehr bewusst zu machen
verstand:

<blockquote class="buch">"Ich komme mir vor, wie ein Vogel, dem die Flügel
gegeben sind, der sie aber nicht gebrauchen kann, weil sie ihm
gebunden sind."

Das kraftvolle poetische Bild zeugt von einer Innerlichkeit, die
ebenso zu Gottlieb Daimler gehört wie sein Können als
technischer Direktor und Ingenieur.

Diese Randnotizen, die zweifellos Teil seiner komplexen
Persönlichkeit sind, ändern allerdings nichts an dem
bleibenden Eindruck, den Daimler historisch hinterlässt: Er
war ein Visionär, der mit beispielloser Konsequenz, aber auch
mit beispiellosem Erfolg seine Idee in die Wirklichkeit umgesetzt
hat: Eine mobile Welt zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Wie
viele Visionäre gibt es, die an der Umsetzung scheitern? Und
wie viele Praktiker ohne leitende Idee? Gottlieb Daimler hatte
beide Fähigkeiten. Und das ist es, was ihn zur historischen
Größe werden lässt.

Zitat-Quellen:

-DaimlerChrysler Konzernarchiv, Bestand
"Daimler-Biographisches", 13.

-Harry Niemann, Gottlieb Daimler. Fabriken, Banken und Motoren,
Vaihingen/Enz 2000, 45f.

BIOGRAPHIE

Geboren am 17.März 1834 in Schorndorf

1845: Lateinschule in Schorndorf

1848: Lehre als Büchsenmacher

1852: Gesellenprüfung. Daimler fertigt eine
doppelläufige Pistole, die in der Gedächtnisstätte
im Kursaal besichtigt werden kann.
Im gleichen Jahr besucht er die Gewerbliche Fortbildungsschule in
Stuttgart

1853: Daimler betätigt sich im Lokomotivenbau: Firma
Rollé & Schwilgué in Graffenstaden
(Elsaß)

1857: Studium an der polytechnischen Schule Stuttgart

1859: Rückkehr nach Graffenstaden

1860 Aufenthalt in Paris

1861: Aufenthalt in England, dem Mutterland der industriellen
Revolution: Leeds, Manchester, Coventry. Besuch der Londoner
Weltausstellung 1862

1862: Daimler arbeitet in der Maschinenfabrik Straub,
Geislingen.

1863: Beginn seiner Tätigkeit als Konstrukteur und
Inspektor im "Bruderhaus" Reutlingen. Dort lernt er das
Konstruktionsgenie Wilhelm Maybach kennen, dessen Fähigkeiten
er auf Anhieb erkennt.

1867: Eheschließung mit Emma Kurz. In der Folge wird
Daimler fünffacher Vater.

1868: Leitet die Konstruktions- und Entwicklungsabteilung der
Maschinenbau-Gesellschaft Karlsruhe. Förderung und Einstellung
von Maybach.

1872-1882: Technischer Leiter der Gasmotoren-Fabrik Deutz, der
bedeutendsten Motoren-Fabrik dieser Zeit. Daimler macht Maybach zum
Chef des Konstruktionsbüros. Die Folge: Ottos 4-Takt-Gasmotor
gelangt zur Serienreife.

1881: Reise nach Russland.

1882: Daimler verlässt, nach zunehmenden Differenzen mit
Otto, die Gasmotorenfabrik. Er ist wohlhabend geworden und richtet
im Kursaal Bad Cannstatt auf seinem Anwesen eine Versuchswerkstatt
ein.

1883: Erneute Zusammenarbeit mit Maybach.

1883-1885: Konstruktion von leichten und schnelllaufenden
Verbrennungsmotoren.

1885: Die "Standuhr" ermöglicht das erste
Motorrad der Welt: den "Reitwagen"

1886: Bau eines Motorboots. Im gleichen Jahr fährt zum
ersten Mal ein Automobil auf vier Rädern, die
"Motorkutsche.

1887: Erweiterte Versuchswerkstatt auf dem Cannstatter Seelberg.
Hier entstehen Draisinen, Lokomobile, Feuerwehrspritzen, Triebwagen
und eine Miniatur-Straßenbahn.

1888: Beginn der motorisierten Luftfahrt auf dem
Betriebsgelände Seelberg. Die Standuhr wird in ein Luftschiff
von Dr. Wölfert erfolgreich eingebaut.

1888: Gründung der "Daimler Motor Co."
Entwicklung des 2-Zylinder-V-Motors. Damit schaffen Daimler/Maybach
auch die Grundlage für die Automobilindustrie in
Frankreich.

1889: Bau des "Stahlradwagens", ein großer
Erfolg auf der Pariser Weltausstellung.

1889: Emma, Daimlers erste Frau, stirbt.

1890: 4-Zylinder-Reihenmotor. Bau des
"Riemenwagens". Gründung der
"Daimler-Motoren-Gesellschaft". Daimler verliert
schnell an Einfluss.

1891: Wilhelm Maybach verlässt die DMG.

1892: Daimler richtet mit Maybach ein unabhängiges
"Entwicklungszentrum" beim Cannstatter Hotel
"Hermann" ein.

1893: Maybach-Spritzdüsenvergaser mit Schwimmer und
Nadelventil
Daimler heiratet Lina Hartmann. Aus der Ehe gehen zwei Kinder
hervor.
Frederick R. Simms initiiert die "Daimler Motor Syndicate,
Ltd." In London.

1894: Der "Phönix-Motor" (Modell N) ist
entwickelt.
Die DMG macht Verluste.
Fahrzeuge mit Daimler-Motoren gewinnen das erste Autorennen der
Welt (Paris-Rouen).
Daimler wird aus der DMG verdrängt.

1895: Auf Druck von Simms wird Daimler wieder in seine alten
Funktionen bei der DMG eingesetzt. Maybach übernimmt erneut
die Konstruktionsabteilung.
Produktion des 1000. Daimler-Motors.

1895/96: Konstruktion und Bau des ersten Daimlerschen
"Leichtmotors" speziell für Luftschiffe

1896: Der erste Daimler-Motor-Lastwagen entsteht.
Der Phönix-Motor wird in Landwirtschaft und Industrie
verwendet

1897: Geburtsstunde des motorisierten Taxiverkehrs:
"Daimler-Motorwagen-Kutscherei" in Stuttgart.

1897/98: Rennwagen mit Bosch-Abreißzündung auf
Betreiben des Händlers Emil Jellinek

1898: Der erste Motor-Omnibus der Welt (Daimler-Omnibus mit
"Heizeinrichtung") verkehrt zwischen Künzelsau und
Mergentheim.

1899: Das Betriebsgelände auf dem Cannstatter Seelberg ist
gewachsen: 300 Beschäftigte bauen 108 Automobile.
Weitere Entwicklung von Luftschiffmotoren, die ab 1900 in die
Zeppelin-Konstruktionen eingebaut werden.
Daimler stürzt bei einer Testfahrt vom Wagen. Er ist schon
lange herzkrank und erholt sich nicht mehr.

1900: Am 6. März stirbt Gottlieb Daimler und wird auf dem
Uff-Kirchhof in Bad Cannstatt beigesetzt.