Beziehungen zwischen George Eliot und den Philosophien Kants und Hegels.

1. Positive Befunde

Für Hegel wie Kant gilt, daß ein unmittelbarer
Einfluß auf George Eliot nur schwer belegbar ist; wohl aber
ein in seinen Konsequenzen noch gar nicht abzusehender, mittelbarer
Einfluß. Anthony McCobb (1982) hat die deutsche Bibliothek
Eliots und Lewes' gründlich recherchiert: Kant wie Hegel sind
umfassend vertreten, bis hin zu einer stattlichen Reihe von
Sekundärliteratur.

Für Hegel gibt es außerdem den positiven
Befund einer Briefstelle (GEL, I, 247-248.), worin Eliot die
Ästhetik zitiert und John Sibree zur weiteren
Übersetzung der Philosophie der Geschichte (hg. 1837
von Eduard Gans) ermahnt, die tatsächlich 1849 erschien. Zudem
hat sich George Henry Lewes besonders intensiv mit Hegel
auseinandergesetzt. Er war der erste, der in England über
seine Ästhetik (hg. 1835 von G. Hotho) schrieb
("Hegel's Aesthetics" (1842)), der erste, der seine Philosophie
dort ernsthaft einführte (BHP (1845-46)). Er hat sich
außerdem lebenslänglich sowohl mit Hegel als auch mit
Kant befaßt. Davon zeugen die 3 Überarbeitungen seiner
Philosophiegeschichte (1857, 1867 und 1871), viele Hinweise in
seinen Artikeln (vor allem mit Bezug auf Hegel: "Realism in Art:
Recent German Fiction", in: Westminster Review, 70 (October
1858), 488-518, worin er die Begrenzung der Kunst durch ihr
jeweiliges Medium im Sinne Hegels paraphrasiert oder "Lagrange and
Hegel: the Speculative Method", in: Contemporary Review, 24
(October 1874), 682-695.) und außerdem seine Recherchen
für Problems of Life and Mind (1874f.). Besonders
intensiv setzte sich Lewes mit Kant und Hegel in dem Zeitraum
auseinander, als Middlemarch (1871-72) entstand und
publiziert wurde. (vgl. GEL, V, 118n.). Die gemeinsamen Leseabende
und Diskussionen, die Eliot/Lewes regelmäßig pflegten,
lassen keinen Zweifel daran, daß auch Eliot mit diesen
Philosophien bestens vertraut war. In A Word For The Germans
(1865, Essays, 386-390) mokiert sie sich über die Ignoranz
ihrer Landsleute und verteidigt ausdrücklich Kant, in ''The
Future Of German Philosophy'' (1855, Essays, 148-153) diskutiert
sie die Kritik der reinen Vernunft (1781), und wenig
später rezensiert sie J.M.D. Meiklejohns Übersetzung
dieses Werks ("Critique of Pure Reason" (1855)) im Leader,
vi (1855), 1014-1015. 1866 erörtert sie in Paris mit Ernest
Renan Kant: "I could not help probing him when he was talking about
Kant, and finding that, as I expected, he only knew Kant at second
hand, and that inaccurately." (GEL, IV, 328.) Eliot hat Kant aus
erster Hand gekannt.
Nicht zu vergessen ist natürlich der allgemeine
Bildungshintergrund Eliots. Die Übersetzerin der
Junghegelianer Strauß und Feuerbach, die in England den
"Higher Criticism", d.h. die deutsche Bibelkritik, bekannt machte,
war mit dem Hegelianismus auch als geistiger Bewegung vertraut.
Eliot/Lewes kannten außerdem gründlich Carlyle und
Coleridge, deren Nachfolge als Vermittler für deutsche
Philosophie und Literatur sie um die Jahrhundertmitte antraten.
Auch wenn der Hegelianismus erst im letzten Drittel des 19. Jh. in
England eine prominente Rolle spielt, ist zu bedenken, daß
Eliot/Lewes Pioniere in ihrer Vermittlungsleistung waren, also zu
einem wesentlich früheren Zeitpunkt über entsprechende
Kenntnisse verfügten. Der Durchbruch für Hegel erfolgte
im allgemeinen Bewußtsein erst mit John Sibrees ''The Secret
of Hegel'' (1865), ein Buch, das Eliot/Lewes natürlich
kannten. Benjamin Jowett las seit 1847 in Oxford über Hegel,
allerdings mit Lewes' Biographical History als
Textgrundlage. (Putzell-Korab (1982), 12.) Inwieweit die
Westminster Review, die Eliot Anfang der 50er Jahre
herausgab, zu Kenntnissen beigetragen haben mag, ist ebenfalls zu
bedenken. Sie war ein vermittelndes Forum auch für deutsche
Autoren. So verhalf John Oxenfords Artikel "Iconoclasm in German
Philosophy" (WR, lix (1853), 388-407) Arthur Schopenhauer erstmals
zu öffentlicher Anerkennung und begründete
rückwirkend auch in Deutschland seinen Ruhm. Der Aufsatz, von
Eliot hochgelobt (GEL, II, 95.), enthält eine
ausführliche Diskussion Kants. Was außerdem die
erstaunlich gute Belesenheit Eliots/Lewes' in deutscher Literatur
und Philosophie indirekt zum Verständnis Hegels/Kants
beigetragen hat, ist weder abzuschätzen noch positiv auf den
Begriff zu bringen. Eliot/Lewes waren europäisch gebildete
Autoren, die Goethes Begriff der "Weltliteratur" ernst nahmen.

Briefstellen im Überblick (recherchiert von McCobb):
zu Hegel: I, 247f./ II, 511/V, 118, 122, 169/VIII, 152-53.
zu Kant: II, 165, 268/VIII, 76.

2. Forschungsbericht

2.1. Hegel

Darrell Mansell Jr. (1965) betont die tragische Konzeption der
Romane Eliots: "...it is my way, (rather too much so perhaps) to
urge the human sanctities through tragedy – through pity and
terror as well as admiration and delights."(GEL, IV, 301) Der
Hegelsche Tragödienbegriff wird dabei auf Eliots weibliche
Protagonisten angewandt. Tenor: Sie müssen sich dem
Substanziellen, das für Hegel in Staat und Gesellschaft, in
Institutionen, Konventionen wie Werten als durchgreifender
Weltgeist erscheint, letzendlich fügen. Die Tragik wird als
versöhnende und vermittelnde Korrektur überzogener
idealistischer und egoistischer Ansprüche interpretiert. Ob
Hegels optimistischer Begriff der Versöhnung, der bei aller
individueller Tragik bekanntlich betont, daß es in der
Geschichte insgesamt vernünftig zugehe, wirklich auf Eliot
anwendbar ist, scheint allerdings zweifelhaft. U.C. Knoepflmacher
(1968, 193.) bemerkt einschränkend: "George Eliot accepted the
Hegelian view of tragedy as the clash between two irreconcilables.
Yet whereas Hegel's view of history had still allowed for the
existence of an all-pervasive essence or divinity, she sees history
itself as only a ceaseless strife between extremes." Diese
vereinzelte Bemerkung wird aber philosophisch nicht weiter
ausgeführt oder ästhetisch evaluiert.
Sara M. Putzell-Korabs Studie (1982) folgt konsequent
der Phänomenologie des Geistes (1807). Sie
arbeitet primär mit dem Begriff der "Vermittlung".
Entscheidend für dieses Moment der dialektischen Bewegung ist
die unabdingbare Forderung nach konkreter Realisierung und
Bestimmtheit der Idee. In der bürgerlichen Gesellschaft ist
der Mensch vor allem durch die Arbeit mit der "Substanz"
vermittelt. Die Tiefe des Geistes ist daran zu ermessen, wie weit
er sich in der Wirklichkeit tatsächlich ausbreitet. Erst das
"Resultat" dieses Prozesses läßt Rückschlüsse
auf das Ganze zu, dem kein Stadium seiner bestimmten Entwicklung
erlassen werden kann. Putzell-Korab paraphrasiert das wie folgt:
"Man completes his idea of himself in his deeds, for action is the
"truth and reality" of the self, so that the degree to which an
individual is self-conscious depends on the degree of congruence
between the ideas of himself gained from other's recognition and
from his own actual behaviour." (25-26.) Im Grunde ist diese Arbeit
eine berechtigte hegelianische Ergänzung zu Alan Mintz'
George Eliot and the Novel of Vocation, Cambridge (Mass.)
1978. Wichtiges Ergebnis dieser Lesarten ist: Eliot dringt auf
Verwirklichung des Ideals und porträtiert als erste in ihrem
ganzen Ausmaß die realistische Alltags- und Arbeitswelt. Ihr
"Realismus" begreift sich in der Tat als als ein empirisches
Korrektiv vor allem egoistischer und partikulärer Interessen.
Hegels Paradigma der konkreten Vermittlung ist ein sinnvolles
Mittel, um die konkrete Bestimmtheit individueller Ideale in ihrer
psychologischen wie gesellschaftlichen Entfaltung zu eruieren.
Putzell-Korab bewegt sich allerdings in zu großer
Abhängigkeit von diesem Paradigma und entgeht dem Hegelschen
Ideal der Bestimmtheit gerade dadurch, daß sie auf eine
Gesamtwerkanalyse ausweicht. Ihr Auswahlverfahren ist
äußerst fragmentarisch und selektiv. Hegels Denkform
erschöpft weder Eliots Psychologie noch ihr existenzielles
Gesellschaftsbild eines tragischen Meliorismus.
In den Einflußstudien von Argyle (1979) und
Ashton (1980) spielt Hegel keine herausragende Rolle. Nur Ashton
weist ihm einen Platz in ihrem Lewes-Kapitel zu. Lewes sah 1842 in
Hegel noch ein Vorbild für systematisch orientierte
Ästhetik und kokettierte mit romantischen Poetikdefinitionen
Shelleys, Wordsworths und Mills. Hier erfolgt die negative
Abgrenzung prosaischer "Science" gegen die Poesie. Als bedrohlich
wird der britische Hang zum Kommerziellen aufgefaßt, der ein
wenig deutsche Ästhetik gut vertragen könne: "Art may not
with us be a 'revelation of the Infinite', but it is a very
positive branch of trade, and subject to all the
fluctuations of the market and fashion, in common with every other
produce of refined civilization. " (Lewes, 1842, 1.) In seiner
Biographical History Of Philosophy, nur drei Jahre
später, erscheint Hegel freilich als Inbegriff deutscher
Spekulationsmanie, die äußerst unvorteilhaft mit dem
gleich darauf folgenden und abschließenden Comte-Kapitel
konfrontiert wird. Vor allem der ontologische Anspruch
stößt auf wenig Gegenliebe:

A system which begins with assuming that Being and Non-Being
are the same, because Being in the abstract is the Unconditioned,
and so also is Non-Being; therefore both, as unconditioned, are the
same; a system which proceeds upon the identity of contraries as
the method of Philosophy; a system in which Thought is the same as
the Thing, and the Thing is the same as the Thought; a system in
which the only real positive existence is that of simple Relation,
the two terms of which are Mind and Matter; this system were it
wholly true, leaves all the questions, for which science is useful
as a light, just as much in the dark as ever; and is, therefore,
unworthy of earnest men working for the benefit of mankind. (BHP,
621)

Diese empirische Aversion darf man auch Eliot unterstellen. Sie
kehrt wieder im Lob des Hegel-Kritikers Otto Friedrich Gruppe. Auf
Ablehnung stößt außerdem die Unanwendbarkeit
Hegelscher Metaphysik auf die soziale Frage und die
Herausforderungen durch die moderne Wissenschaft. Ashton bemerkt
hierzu glänzend, daß darin wohl ein Schlüssel zu
sehen sei für "...Lewes's (and George Eliot's and Mill's)
otherwise inexplicable embracing of the system of Comte, which,
after all, was not so very different from Hegel's with its
far-fetched division of history into epochs, its classification of
the sciences as evolving one into another, its balancing of order
and progress as the two contrary bur complementary bases of
society." (Ashton, 1980, 129f.)
Abschließend bleibt zu bemerken, daß vor
allem postmoderne Theorieansätze (Reilly (1993), Hillis Miller
(1974)) Hegel verstärkt als negative Folie heranziehen, um
Eliots Postmodernität zu unterstreichen. Miller beginnt seinen
Aufsatz Narrative and History mit einem Hegelzitat –
gesehen und gebrochen aus der Perspektive Nietzsches. Insbesondere
Hegels Geschichtsphilosophie erscheint als paradigmatische
große Erzählung, deren Fragwürdigkeit bereits in
Middlemarch unübersehbar sei. Wertvoll sind diese
Analysen vor allem durch die Reflexion der Romanform, die eine
brauchbare Verbindung zur Literaturwissenschaft im engeren Sinn
herstellt. Häufig bleibt unklar, ob Eliot die Auflösung
der traditionellen Romanform selbst wirklich bewußt war oder
ob sie ihr im Schreibprozeß nur unbeabsichtigt zustieß:
ob sie letztendlich also hegelianisch oder posthegelianisch dachte.
Hegels Forderung nach epischer Totalität wurde von Eliot wohl
eher als vollständige Erfassung historischer Fragmente
verstanden; und dies unter positivistischen und experimentellen
Vorzeichen. Totale Darstellung bedeutet nicht immer Darstellung des
Totalen. Eliot war vielleicht postmoderner als manchen Postmodernen
bewußt ist.

2.2. Kant

Eine ernsthafte Evaluierung von Eliots Verhältnis zu Kant
liegt in der Forschungsliteratur meines Wissens nicht vor. Die
besten Quellen liegen bei Eliot selbst. In ''The Future of German
Philosophy'' (1855) kritisiert sie Kants Theorie der
"synthetischen Urteile a priori" mit einem Modell sprachlicher
Genese auf empirischer Grundlage. Die Universalien sind
ursprünglich analytische Urteile, bevor sie in der
Sprachentwicklung synthetischen Status erhalten. (Essays, 152.)
Dieses genetisch-empirische Argument findet sich ebenfalls in
Lewes' Philosophiegeschichte (BHP, 562-572.) und wird dort auf das
Kausalitätsgesetz angewandt. Eliots Artikel ''A Word For The
Germans'' (1865) ist außerdem ein interessantes
kulturpsychologisches Dokument, das nationale Stereotypien gezielt
unterläuft. Insbesondere Kant, dem Namen nach wesentlich
bekannter als Hegel, gilt im viktorianischen Zeitalter durchgehend
als der spekulationsverstiegene deutsche Professor schlechthin.
Eliot kontert:

... the most eminent of German metaphysicians, Kant, is
cloudy in no other sense than that in which a mathematician is
cloudy to one ignorant of mathematics. The recipe for understanding
Kant is first to get brains capable of following his
argument, and next to master his terminology. Observing this
recipe, the Critique Of Pure Reason is not indeed easy
reading, but it is not in the least cloudy. It is not fit for the
club table. Some gentleman there, turning over the pages and seeing
such terms as synthetic judgment, antinomies, and the like,
would be conscious of superior clearness of head, and say: "Bosh!
what dreamers these Germans are!" But possibly, if that
clear-headed clubman were imperatively called upon to declare the
meaning of co-efficient and hypothenuse and assured
that no smiling would be accepted as legel tender for knowledge, he
would discover that these terms also are painfully cloudy. It is
one of the interesting weaknesses common to us men to suppose that
clearness ends where our own vision fails. The sound British
thinker kicks a stone to prove that matter exists, and so confound
the metaphysicians; (...)." (Essays, 387-388)

Die Bemerkungen der Sekundärliteratur gehen nicht
wesentlich über diese Einsichten hinaus. Valerie A. Dodd
(1990) berichtet über Eliots frühes Ziel "to reconcile
the philosophy of Locke and Kant." (97) Der Empirismus berührt
sich vor allem dort mit Kant, wo er über seine eigenen
theoriebildenden Prämissen nachdenkt. Erst diese erlauben ja
die methodische Selektion und Interpretation sogenannter Fakten.
Diese Prämissen haben zwar ein Verhältnis zur Erfahrung,
das isoliert betrachtet Kants Apriori (als Bedingung der
Möglichkeit von Erfahrung) entspricht. Doch ähnlich wie
bei der sprachgeschichtlichen Auflösung der synthetischen
Urteile dominiert auch hier die These, wonach konstitutive Vorgaben
unserer Erkenntnis entwicklungstheoretisch zu begreifen seien. B.J.
Paris bemerkt hierzu: "Spencer and Lewes invoked the inheritance of
acquired characteristics to explain the presence of a priori forms
of thought as well as the existence of innate moral dispositions.
They felt that in this way they could reconcile the empiricism of
Locke and Hume with the idealism of Kant." (Paris (1965), 59.) Auch
in neueren Studien hat sich dieses Argumentationsmuster erhalten:
"... the principles of evolutionary biology are applied to the
mental developments of both the individual and the race." (...) Die
Zielsetzung sei, "... to integrate materialism and idealism, Locke
with Kant, in the search for that Victorian holy grail, a
comprehensive synthetic philosophy." (Carroll (1992), 16.) Kants
Apriori resultiert also aus einem synchronen Schnitt durch eine nur
diachron legitimierbare Evolution. Die transzendentale
Idealität von Zeit, Raum, Kausalität und den
Verstandeskategorien wird derart für das Individuum eine
statische Voraussetzung, die bezüglich der Gattungsgeschichte
des Menschen aber keinen absoluten Anspruch erheben kann.
Mehrfach hingewiesen wird bei der Diskussion Kants auf
George Henry Lewes' Begriffsbildung "metempirical", womit er die
theoretischen Grundsatzprobleme des Empirismus aus der positiven
Forschung ausklammern wollte. In den ''Problems of Life and
Mind'' (1874f.) heißt es hierzu: "If then the
Empirical designates the province we include within the
range of Science, the province we exclude may fitly be styled the
Metempirical ... since this term is the exact correlative of
Empirical, and designates whatever lies beyond the limits of
possible Experience, it characterises inquiries which one class
regards as vain and futile, another as exalted above mere
scientific procedure. Nor is this the only advantage of the term;
it also detaches from Metaphysics a vast range of insoluble
problems, leaving behind it only such as are soluble." (Zit. nach
Ashton (1980), 130.) Lewes' Begriff hat sich nicht durchgesetzt und
gilt lediglich als wissenschaftsgeschichtliche Kuriosität.
Zurecht. Denn im Grunde entspricht der Metempirie viel treffender
und exakter Kants "Ding an sich." Auch er hat die Wissenschaft auf
positive Erfahrung gestellt und die Metaphysik ins Niemandsland
versetzt. Seine kritische Philosophie unterzieht die Methodik jeder
Wissenschaft der unerläßlichen Frage, inwieweit sie
Erfahrung übersteigt. Allein bei der Diskussion der
Mathematik, die es mit reiner Anschauung und
erfahrungskonstitutiven Transzendentalien zu tun hat, statuiert er
absolute Sicherheit, die jedoch nicht über Erfahrung
hinausgelangt, sondern sie formal konstruiert und bedingt: durch
Zeit und Raum. Ausgelöst durch Mißverständnisse
Carlyles, Coleridges und Lewes' wird häufig nicht verstanden,
daß "transzendental" im Unterschied zu "transzendent" nur die
immanenten Prinzipien der Erfahrung erfaßt, nur für
mögliche Erfahrung Gültigkeit beansprucht, nur Erfahrung
begründen kann – und daß jede Legitimität
verloren geht, wenn über Erfahrung auch nur einen Schritt
hinausgegangen wird.

3. Direkte Bezüge zu Eliot

3.1. Hegel

In The Future Of German Philosophy plädiert Eliot
grundsätzlich für empirische Optionen, die sich mit
Hegels Begriff des Absoluten nicht vereinbaren lassen: "The
abstract is derived from the concrete: what, then, can we expect
from a philosophy the essence of which is the derivation of the
concrete from the abstract." (Essays, 150.) Damit folgt sie der
Hegel-Kritik Gruppes.
The Antigone And Its Moral (1856) wird dagegen
häufig herangezogen, um Eliots Affinität zu Hegels
Begriff der Tragödie deutlich zu machen (Darrell Mansell, Jr.
(1965), Pinney, Essays, 264n.): Creon und Antigone bilden eine
dramatische Kollision im Sinne Hegels aus. Berechtigte Interessen
des Staates treffen auf die subjektive Innerlichkeit und
Berechtigung der Religion. Diese einseitigen Wahrheiten gehen nach
Hegel in der Substanz des Ganzen auf. In der Analyse des Konflikts
argumentiert Eliot tatsächlich hegelianisch: Sie spricht,
Hegel übersetzend, von "dramatic collision" (Essays, 263) und
beschreibt den Konflikt als das Aufeinandertreffen zweier
"principles, both having their validity" (ebd.). Inwieweit sich die
Parallele zu Hegel ziehen läßt, entscheidet sich dort,
wo Hegels Begriff der Versöhnung, d.h. das Aufgehen der
Konflikte in der übergeordneten Substanz zur Diskussion
steht:

Antigone and Creon represents that struggle between elemental
tendencies and established laws by which the outer life of man is
gradually and painfully brought into harmony with his inward needs.
Until this harmony is perfected, we shall never be able to attain a
great right without also doing a wrong. Reformers, martyrs,
revolutionists, are never fighting against evil only; they are also
placing themselves in opposition to a good – to a valid
principle which cannot be infringed without harm." (Essays, 264.)

Das klingt, wenn wir "harmony" als Versöhnung
übersetzen, hegelianisch genug. Eliot behauptet jedoch kein
Absolutes, das diese Versöhnung mit zwingender dialektischer
Notwendigkeit leistet. Solange die Harmonie nicht eintritt –
und sie läßt sich theoretisch über dieses Eintreten
nicht aus, trifft also nur eine Feststellung – bewegt sich
Eliot in einem auf Zeitlosigkeit und Statik angelegten
Tragödienbegriff. Die Tragödie richtet sich ganz
unhistorisch an die "perennial human nature" (Essays, 262.). Und
sie zieht die Schlußfolgerung: "Wherever the strength of a
man's intellect, or moral sense, or affection brings him into
opposition with the rules which society has sanctioned,
there is renewed the conflict between Antigone and Creon
(...)." (Essays, 265.)
Wie der angesprochene Konflikt zwischen Innerlichkeit
und Gesellschaft ("gradually and painfully") verläuft und was
es mit dem notwendigen Unrechttun des Reformers auf sich hat,
erfährt man ausführlicher aus ''Address To Working Men,
By Felix Holt'' (1868). Erneut ist keine Rede vom Absoluten als
geschichtliche Manifestation eines Weltgeists: Ein langsamer
Prozeß soll das Neue mit dem Alten verknüpfen.
Geschichtliche Tradition ist im Guten wie im Bösen
identitätsstiftend und deshalb schonend zu behandeln. Wieder
deutet die "Human Nature" auf klassische und ahistorische Konstanz
("so long as there is selfishness in men" etc.). (Essays, 420 und
f.) Der Reformer muß diesen Tatbestand unbedingt anerkennen,
wenn er mit dem Guten nicht zahllose neue Übel schaffen will:
"It's human nature we have got to work with all round, and nothing
else." (Essays, 421.) Eliots geschichtliches Bewußtsein
konstatiert also neben dem Gedanken der Evolution und Entwicklung
die ahistorische Statik der "human nature", die der idealistischen
Konstruktion eines Absoluten klar entgegensteht.
In ihren Romanen äußert sich das in der
psychologischen Darstellung des Egoismus. Auch die Gesellschaft
zerfällt in Partikularitäten, die z.B. Lydgate (u.a.)
scheitern lassen. Beide, Egoismus wie Gesellschaft, scheinen
für die Realisierung des Ideals zu übermächtig und
zu statisch. Nur der stark resignativ gefärbte Rückzug in
die bürgerliche Ehe scheint noch an konventionelle
Romanschlüsse zu erinnern. (Dorothea)

Zusammenfassend läß sich sagen, daß Eliots
Denken wie auch Romankunst dennoch stark hegelianische Züge
enthalten:

1. Der Gedanke der "Vermittlung" des Ideals mit der
Gesellschaft, vor allem durch die Kategorie der Arbeit.
Verwirklichung der Idee gibt allein Aufschluß über ihre
Substanzialität: "Die Kraft des Geistes ist nur so groß
als ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in
seiner Auslegung sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut."
(Vorrede, Phänomenologie, Reclam, S. 15.) Auch in Eliots
"Experiments in Life" müssen sich die Ideale im empirisch
Konkreten unnachgiebig bewähren.

2. Der Gedanke, daß Geschichte ein Prozeß ist, der
die lebendige Gegenwart durchdringt und ihre geistige
Identität stiftet. Gesellschaft ist für Eliot "Incarnate
history" (The Natural History Of German Life (1856), Essays,
287.). Ebenso der Moral Sense des Individuums, der im Laufe seiner
Entwicklung Werte der Gemeinschaft internalisiert hat und umgekehrt
die Weiterentwicklung der Gesellschaft beeinflußt. Dies
muß, bei aller statischen Repräsentation dieser
Kräfte im Romanwerk, festgehalten werden:

What has grown up historically can only die out historically,
by the gradual operation of necessary laws. The external conditions
which society has inherited from the past are but the manifestation
of inherited internal conditions in the human beings who compose
it; the internal conditions and the external are related to each
other as the organism and its medium, and development can take
place only by the gradual consentaneous development of both. (ebd.,
287.)

Des führt zum "particular web" einer dialektisch
gezeichneten und soziologischen Entwicklung, die in Eliots
Romanschaffen eine prominente Stelle einnimmt.

3. Das Bewußtsein der Moderne im Sinne Hegels ist
ebenfalls präsent, vor allem in der Differenz zwischen
(industrieller) Prosa und (traditioneller) Poesie. Der Zerfall
traditionaler Gesellschaften wird als Ende eines totalen,
einheitlichen und alle Lebensbereiche erfassenden Kulturbegriffs
empfunden. Wissenschaft, in sich entzweite Reflexion und
Industrialisierung bedrohen die idyllischen Gegenwelten in den
Scenes Of Clerical Life (1857f.), Adam Bede (1859),
in The Mill on the Floss (1860) und Silas Marner
(1861).

Defizite:

Da Eliot, geschult durch die zeitgenössische "development
hypotheses" (Spencer/Darwin) und durch die Soziologie Comtes,
häufig über Prozesse nachdenkt, ist Dialektik als
kritisches und analytisches Instrument natürlich nachweisbar.
Man sollte Eliot jedoch nicht die idealistische Denkform Hegels
unterstellen. Die Hegelsche Dialektik ist nicht nur
prozeßorientiert, sondern auch zyklisch zu verstehen:
Arché und Telos, Ursprung und Ziel fallen im Absoluten
zusammen. Widersprüche werden aufgehoben und versöhnt.
Die Dialektik als klassische Denkform in der Tradition eines Hegel
und Marx ist wesentlich mehr als nur Prozeßanalyse oder
soziologisch und historisch ausgerichtetes Bewußtsein; sie
ist zugleich geschichtsphilosophisches Entwicklungsmodell.
Dieser Sachverhalt wird bei englischen Kritikern
selten deutlich differenziert. Man verknüpft unbewußt
die kritische Dialektik Eliots mit dem idealistischen Gedanken der
Versöhnung. Es gibt jedoch konkurrierende Entwicklungsmodelle,
die durchaus dysteleologisch verlaufen (Darwin) und Eliot weit
näher liegen. Eliots epistemologische, letzendlich empirisch
gebundene Skepsis, ihr Sinn für existenzielle, tragisch
unauflösbare Widersprüche, die auch in Tod (Maggie
Tulliver) und Verzweiflung (Lydgate) ver-enden können, sollte
man nicht unbesehen mit der Hegelschen Dialektik assoziieren.
– Und schon gar nicht ihren ahistorisch wirkenden Humanismus,
der sich gleichfalls nicht mit Hegels latenter Theodizee verbinden
läßt. Eliot ging es nicht um das "welthistorische
Individuum", das über die Köpfe der Alltagsexistenzen
hinweg den Zeitgeist repräsentiert, sondern gerade um das
einfache Individuum, das bei diesem Prozeß auf der Strecke
bleibt. Eine List der Vernunft, die bei allem partikularen
Übel dennoch Sinn verbürgt, ist weder in ihren
Charakteren, noch in ihrer Zeichnung der Gesellschaft, ja noch
nicht einmal im plot überzeugend nachweisbar.

3.2. Kant

Angesichts des geringen Forschungsertrages bleibt für die
kritische Evaluierung Kants noch sehr viel zu tun. Ansätze
für überzeugende Parallelen sind jedoch unverkennbar. So
ist das berühmte Gespräch zwischen Eliot und F.W.H.
Myers, das sich auf Gott, die Unsterblichkeit der Seele und die
Pflicht bezieht, durchaus auf Kant beziehbar. Myers berichtet,
daß Eliot "...pronounced, with terrible earnestness, how
inconceivable was the first, how unbelievable the
second, and yet how peremptory and absolute the
third. Never, perhaps, have sterner accents affirmed the
sovereignty of impersonal and unrecompensing law." (Zit. nach
Haight (1968), 464.) Gott und die Unsterblichkeit der Seele jedoch
sind die Hauptbestandteile der Postulatenlehre Kants in der
Kritik der praktischen Vernunft (1788). Eliot faßt
ihren Begriff der Pflicht demnach radikaler und
existenzialistischer als Kant. Doch auch bei Kant ist das
Sittengesetz und die Freiheit nicht mehr als eine
unergründliche Gegebenheit. Gott und Seele sind nur Postulate,
letztlich also weder erkennbar noch beweisbar. Die ''Kritik der
praktischen Vernunft solle nur "dartun, daß es reine
praktische Vernunft gebe'', und kritisiert in dieser Absicht ihr
ganzes praktisches Vermögen." (KpV, Reclam, 9, Vorrede)
Die Parallele endet freilich bei der Auffassung des Willens.
Für Kant gründet sich der kategorische Imperativ auf die
reine Formalität des Willens, der seine Maximen für eine
allgemeine Gesetzgebung tauglich machen soll. Neigung, Gefühl,
alle Materialität der Willensbestimmung bleiben
ausgeschlossen. Eliot dagegen sieht in ihrem Konzept der "Sympathy"
ein moralisches Motiv, das (wie andere Motive auch) auf den Willen
einwirken kann. Für beide Ansätze ist der Egoismus und
die fehlende Rücksicht auf andere allerdings der Hauptfeind
moralischer Entwicklung. Eliot jedoch gründet ihre Moral nicht
auf Vernunft, sondern auf die Motivation eines von langer Hand
vererbten Moral Sense. Das ist ein bedeutsamer Unterschied. Und
Eliot hätte (oder hat?) der Kant-Kritik Schillers sicher
zugestimmt.
Eliot wie Kant sind überdies der Auffassung,
daß die Realisierung der Moral streng und ausnahmslos dem
Kausalgesetz unterworfen ist. Bei Eliot geht dieser Rigorismus bis
hin zu calvinistischer Schärfe, die die unendliche moralische
Bedeutsamkeit jeder Handlung hervorhebt. Ihre tragische Nemesis
beruht wesentlich auf der Unausweichlichkeit der Konsequenzen. Kant
sieht ebenfalls im "empirischen Charakter" die lückenlose
Verkettung von Ursache und Wirkung am Werk. Nur der "intelligible
Charakter", der dem Reich der Erscheinungen entzogen ist,
garantiert die Denkbarkeit eines freien Willens, der demnach
unergründlich im "Ding an sich" wurzelt. Kant betont des
öfteren den guten Willen und auch die Möglichkeit einer
radikalen Umkehr des Willens als existenzielle Gegebenheit der
Moral. Zu einem positiven Konzept kommt er letztlich aber nicht, da
er bei der reinen Formalität des Willens stehen bleibt. Der
empirische Charakter bleibt dabei den Transzendentalien von Zeit
und Raum genauso radikal unterworfen wie die empirische
Wissenschaft.
Eine weitere Parallele ergibt sich aus einem Vergleich
Eliots mit Kants ''Idee zu einer allgemeinen Geschichte in
weltbürgerlicher Absicht'' (1784). Auch Kant huldigt einem
vorsichtigen Meliorismus und betont die Langsamkeit moralischer
Entwicklung. Statt geschichtsphilosophischer Spekulation findet
sich der Hinweis auf den grundlegenden Antagonismus der
menschlichen Natur, der durchaus seine Parallelen zu Eliots Human
Nature aufweist. Beiden gemeinsam ist deshalb die grundlegende
Skepsis gegenüber Mensch und Geschichte, eine existenzielle
Moral, die auf Aufklärung und Meliorismus setzt und das
generelle Zurückweisen von Spekulationen, die den Boden der
Erfahrung zurücklassen. Bei Eliot spitzt sich die Problematik
erheblich zu. Sie lebt bereits in einer gottlosen Moderne, die
nicht einmal mehr Postulate zuläßt. Andererseits
deduziert sie aus der Evolutionstheorie einen positiven Gehalt der
Moral, der sich deutlich von Kants formalistischer Ethik
abhebt.

Literatur

-Argyle, Gisela, ''German Elements In the Fiction Of
George Eliot, Gissing And Meredith'', Frankfurt a. M. 1979.
-Ashton, Rosemary, ''The German Idea. Four English writers
and the reception of German thought 1800-1860'', Cambridge
(Mass.) 1980.

  • Carroll, David, ''George Eliot And The Conflict Of
    Interpretations. A Reading of the Novels'', Cambridge 1992
  • Dodd, Valerie A., ''George Eliot: An Intellectual
    Life'', London 1990.
  • Eliot, George:
  • Essays of George Eliot, ed. by Thomas Pinney, London 1963.
    Zitiert als "Essays"
  • The George Eliot Letters, ed. by G.S. Haight, 9 vols., New
    Haven/London 1945-1978. Zitiert als: "GEL".
  • Haight, Gordon S., George Eliot. A Biography, Oxford
    1968.
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