JAHRESRÜCKBLICK 2007

Es gibt so viele Jahresrückblicke, dass schon ganz Deutschland ein steifes Genick hat. Textuniversum liefert deshalb keine weitere Aneinanderreihung von Ereignissen.

Ich berichte über ein einziges Ereignis, das mir als das denkwürdigste erschien.

2007 hat in Deutschland eine grüne Welle ausgelöst. Einen politischen Sinneswandel, der ohne Beispiel in unserer jüngeren Geschichte ist. Bild, BamS und Glotze, die Kirche, die Politiker und sogar die Automobilindustrie – mit Blitzkrieg-Geschwindigkeit sind sie zu Ökos mutiert. Die Grünen müssten sich jetzt vor lauter Begeisterung eigentlich selbst auflösen. Wozu noch eine grüne Partei, wenn ganz Deutschland ohnehin grün ist?

Ist es nicht erstaunlich, wie hemmungslos sich die Mehrheit vom Saulus zum Paulus gewandelt hat? Umweltschützer und Natur-Freaks, waren das nicht diese Müsli-Metaphysiker, die in ihrem Wollsockenmief versauern und unter apokalyptischen Zuckungen leiden? Die Modernisierungsverlierer, Mobilitätsmuffel und Konsumverweigerer? Die Spinner und Miesmacher? Waren das nicht naive utopistische Träumer oder bestenfalls noch Quoten-Intellektuelle aus den Medien oder Volksparteien?

Es muss einmal gesagt werden: Die Spinner hatten Recht.

Diese Kehrtwende vollbrachte der mediterrane Winter von 2006 auf 2007: Mallorca-Feeling vom Januar bis in den April. Das passte nicht in den Freizeitplan. Der Wohlstands- und Konsumbürger wollte in seinen Winterurlaub fahren. Doch in Bayern, Österreich und der Schweiz gab es kaum ein Fitzelchen Schnee. – "Oh je! Ich lebe ja doch in Abhängigkeit von der Natur, bin nur ein Teil des Ganzen, habe mit der Welt da draußen ja doch noch was zu schaffen, so ein Skandal, mein verbrieftes Recht auf Winterurlaub, einfach von der Umwelt ignoriert, die Politiker sind an allem Schuld!" Und – schwups! – kippte auch die Meinung bei Konservativen und Wirtschaftsleuten, weil sie Angst vor Volkes Stimme haben und ebenfalls Winterurlaub machen wollen.

Seither ist Deutschland unumkehrbar grün geworden. Nur der Winter hat bis jetzt nicht mitgespielt: Er ist diesmal fantasielos kalt und schneereich. Wenn das noch ein paar Jahre weitergeht, packen die wieder die Ski aufs Auto und haben alles verdrängt. Zum Besten der Menschheit wäre jetzt ein Januar mit 20 Grad plus.

Nicht einmal der sogenannte Jahrhundertsommer 2003 konnte zur besseren Einsicht bekehren: Das Freizeitvolk tummelte sich hellauf begeistert in Biergärten und Bädern. Noch im Frühjahr 2004 hörte ich folgendes Statement auf offener Straße: "Wenn dieser Sommer wieder so wird wie 2003, dann ist das wie ein Sechser im Lotto!" Wo kein Hirn ist, können es auch 40 Grad Celsius nicht ausbrennen.
Der Tsunami in Thailand, der hätte es fast geschafft: Als die Strandliegen weggefegt wurden, war die Betroffenheit der deutschen Urlaubsweltmeister groß. Doch erst durch den schockierenden Ausfall des Winterurlaubs und die letzten UNO-Weltklima-Berichte ist das öffentliche Bewusstsein wie verwandelt.

Die Erkenntnis ist erschütternd: Eingriffe in das Freizeitvergnügen der Spaßgesellschaft führen zu mehr Umdenken als dreißig Jahre Vernunft und Wissenschaft mit all ihren Experten.

Seien wir also optimistisch für 2008 und darüber hinaus. Je mehr die Klimakatastrophe und die bevorstehende Verknappung des Erdöls den Freizeitradius beeinflussen, eine desto grünere Gesellschaft werden wir erleben. Lieber wird der Bürger noch zum Hippie, ja zum Mystiker und Pantheisten, als dass er ganz auf Strom, Heizung und Mobilität verzichtet. Dezentralisierte Kommunen mit autonomer Verwaltung und lokaler alternativer Energieversorgung, das ist die unausweichliche Zukunft, sofern es noch eine gibt.

Freut euch, ihr Blumenkinder von einst: Die Natur spricht immer öfter ein Machtwort. Und wo die Macht ist, da folgt auch der Bürger. Die wahren Spinner sind die, die an unendliches Wachstum in einer endlichen Welt glauben. Die öffentliche Meinung hat euch aus der geschlossenen Anstalt gnädig entlassen.

Günter Bachmann
Textuniversum
Stuttgart, 29. Dezember 2007