REICH-RANICKI UND GOTTSCHALK

Marcel Reich-Ranicki ist milde und versöhnlich gestimmt, trotz seines polemischen Paukenschlags bei der Ablehnung des ZDF-Fernsehpreises. Was seine kulturelle und literarische Sensibilität angeht, ist er natürlich immer noch eine Tretmine, die jederzeit hochgehen kann. Altersweisheit heißt nicht intellektuelle Greisenschwäche. Doch im Umgang mit Menschen – vielleicht war die Löffler-Affäre doch eine Lehre – ist Reich-Ranicki heute ein wahrer Gentleman. Letztlich überlässt er Thomas Gottschalk zuvorkommend die rhetorische Regie. Auch schon bei der geplatzten Preisverleihung. Dieses Opfer, das sehr groß für ihn sein muss, soll ihm als ehrenwerte Selbstbeherrschung angerechnet werden.

Die letzten Minuten der Fernsehdiskussion stellten alles klar: Ranicki beharrt auf der These, dass anspruchsvolle Sendungen auch Quote machen können. Gottschalk bestreitet dies, indem er dem breiten Publikum jedes höhere Interesse als die pure Unterhaltung abspricht. Und er sei nun mal ein Unterhalter, der zum Quotenmachen verdammt sei. Das Publikum wolle es einfach so. Er verstehe den Standpunkt des Literaten, respektiere ihn und bedaure selbst, dass die menschlichen Bedürfnisse nach Kultur gering seien.

Qualität und Quote, das funktioniert also nicht. Dieses Schlusswort bleibt so stehen.
Das letzte Wort zum Thema ist das allerdings nicht. Die papierne Wort-Girlande Gottschalks hält keinem kritischen Lüftchen stand.

Auch Thomas Gottschalk kann es nicht entgangen sein, ihm am allerwenigsten, dass es so etwas wie ein neutrales Publikum gar nicht gibt. Dass niemand von außen an die Medien herantritt und völlig unbeeinflusst objektive Programmwünsche äußert. Nein, die Medien selbst sorgen weitgehend für die Bilder und Themen, die für die meisten Menschen die Wirklichkeit bestimmen. Im digitalen Zeitalter hat der Schein längst schon das Sein ersetzt. Die Dummheit des Publikums ist also immer auch die hausgemachte Verdummungsstrategie in den Medien selbst.

Gottschalk aber verschanzt sich hinter der Maske des pessimistischen Humanismus, wonach die Dummheit eine unaufhebbare Konstante des Menschengeschlechts ist. Da ist was dran. Denn zumindest beweisen die Medien, dass das Verblödungspotenzial, die Sittenverrohung und primitiven Bedürfnisse nahezu grenzenlos sind. Der pessimistische Humanismus ist ein durchaus gelassener, ein philosophischer Standpunkt.

Doch nicht im Falle Gottschalks: Zu sehr ist er selbst ein Teil der Verdummungsmaschinerie, die er scheinbar bedauert. Zu sehr auch hat er sich dumm und dämlich daran verdient. Und er bedient gezielt eine Dummheit, die er selbst ganz kräftig mitgestaltet und miterzeugt hat.

Natürlich gibt er das nicht offen zu. Vielleicht gesteht er sich das nicht mal selbst. Er ist ja nur dann gerechtfertigt, wenn Fernsehen den Bildungsauftrag opfern muss, weil das Publikum einfach nicht bildungsfähig ist. Ein ewig hoffnungsloser Fall. So kann er sich dann kinderleicht als weltweise lächelnder Pragmatiker präsentieren, der kulturelle Ansprüche ins quotenlose Niemandsland einer Minderheit verweist. Bei der nicht zuletzt durch Medien verblödeten Masse kommt so eine mitleidige und im Grunde verächtliche Herablassung gegen höhere Kultur natürlich sehr gut an. Die Größe, einfach zuzugeben, seinen Intellekt für – sehr teures Geld – verkauft zu haben, diese Größe hat er nicht. Gottschalk ist ein entlaufener Intellektueller, der sein schlechtes Gewissen mit Geld und Erfolg betäuben muss.

Das musste einmal gesagt werden. Denn Reich-Ranicki ist so beredsamen Medienprofis wie Gottschalk wohl nicht mehr ganz gewachsen. Es sei denn, es ginge um Literatur.

Günter Bachmann
Oktober 2008