Hiobsbotschaften

Szenen einer Bildungsrepublik

von Günter Bachmann

(Verfasst 2016)

Vorspiel im Job-Center

(Seitlich zur Bühne sitzt eine Sachbearbeiterin hinter Schreibtisch mit Flachbildschirm, Gesetzbüchern, Ordnermappen und Unterlagen. Tippt. Davor langweilt sich Gottfried flegelhaft auf einem Besucherstuhl.
Draußen Türen, Schritte, Gongs, Aufrufe.)

SACHBEARBEITERIN
(Blickt kopfschüttelnd auf den Bildschirm.)
Ich muss schon sagen – meine Vorgängerin hat sich um Ihren Fall ja gar nicht gekümmert.

GOTTFRIED
(Plötzlich hellwach und kerzengerade sitzend.)
Hätte sie meine Depressionen mit Handauflegen beseitigen sollen? Ich habe schließlich ein Gutachten und mehrere Atteste von einem angesehenen Neurologen.

Blättern, Tastatur, Verwirrung.

SACHBEARBEITERIN
Sie hätte längst auf einer zweiten amtsärztlichen Untersuchung bestehen müssen, Herr ….. äh …….. Herr Doktor Gottfried Hippler.

GOTTFRIED
Ich liege jetzt erst 12 Monate, zwölf Tage und 14 Stunden in der sozialen Hängematte – und Sie verlangen gleich zwei Arzttermine von mir? Da wartet mancher Kassenpatient länger.

SACHBEARBEITERIN
Ein Jahr Dauerarbeitslosigkeit! Dabei sind Sie qualifiziert und noch kein Methusalem.

GOTTFRIED
Bitte? Wollen Sie sich über ärztliche Gutachten hinwegsetzen?

SACHBEARBEITERIN
Ich mache nur meinen Job. Ihr Fall verlangt eine Entscheidung.

GOTTFRIED
Sie wollen über meinen Gesundheitszustand entscheiden? Wo haben Sie studiert, Frau Dr. Sauerbruch?

Bewegung, Stuhl, Brille.

SACHBEARBEITERIN
Ich heiße Brettschneider. Und ich werde Ihr Benehmen übrigens nicht länger hinnehmen. Sie sind ein systematischer Drückeberger. Und mit Ihrem Doktortitel konnten Sie vielleicht meine Vorgängerin beeindrucken. Mich nicht.

GOTTFRIED
(Zieht einen Notizblock und Stift, spricht halblaut.)
Systematischer Drückeberger … kleinbürgerliches Ressentiment gegen höhere Bildung … ignoriert ärztliche Gutachten …. (Laut) Haben Sie sonst noch etwas zu sagen?

SACHBEARBEITERIN
Von mir aus machen Sie Notizen, bis Ihnen die Hand abfällt. Haben Sie nicht als freiberuflicher Autor gearbeitet?

GOTTFRIED
Auch.

SACHBEARBEITERIN
Sie könnten alles kinderleicht erfunden haben. Und einen Zeugen haben Sie ohnehin nicht.

GOTTFRIED
Erfunden? Undenkbar! Für Dichtung braucht es liebliche Musen. -
Jetzt sagen Sie doch einfach, was Sie von mir wollen oder ich verlasse augenblicklich das Amt.

SACHBEARBEITERIN
Nur zu – rennen Sie in die schützenden Arme Ihres Neurologen. Sie werden in nächster Zeit aber viele Arztbesuche machen müssen. Es wird zahlreiche Gutachten geben. Und ich werde persönlich dafür sorgen, dass es langwierig und schwierig wird.

GOTTFRIED
Sicher. Sie ziehen bestimmt schon seit Geburt eine bürokratische Bremsspur.

SACHBEARBEITERIN
Entweder schieben wir Sie in die Armutsrente ab oder ich verdonnere Sie zu Arbeitsmaßnahmen.

Lichtwechsel, Akzent

GOTTFRIED
Und wenn ich, sagen wir mal, kooperativ bin? Kooperativ natürlich nur aus Ihrer Sicht?

(Versöhnlich, verschwörerisch)

SACHBEARBEITERIN
Sie müssen aus der Statistik raus. Sie müssen einen Arbeitsversuch machen. Sie müssen sich weiterbilden.

GOTTFRIED
Bildung und Ausbildung und Prüfungen pflastern meinen Weg. Und außerdem bin ich immer noch krank.

(Böse flüsternd)

SACHBEARBEITERIN
Wenn Sie weiter auf Staatskosten eine ruhige Kugel schieben wollen, dann scheiße ich Sie mit Bürokratie und Terminen und Schriftsätzen zu.

PC-Problem, Drucker

GOTTFRIED
Schreiben ist meine leichteste Übung. Mit Ihrem Stellenleiter mache ich gleich den Anfang …

SACHBEARBEITERIN lacht
Beschwerdebriefe von Transferempfängern sind meiner Karriere eher förderlich.

GOTTFRIED
Kommt ganz auf die Qualität der Briefe an.

SACHBEARBEITERIN
(Zieht mit triumphierender Geste ein Schreiben aus einem der Ordner.)
Den Briefkopf kennen Sie? Genau – Ihr angesehener Neurologe. Er erklärt auf amtsärztliche Anfrage, dass einem Arbeitsversuch im Sinne einer Wiedereingliederungsmaßnahme (zitiert zeitgleich mit Gottfried) „aus sozialpsychologischer wie individualpsychologischer Sicht keine schwerwiegenden Bedenken entgegenstehen“.

GOTTFRIED
Na und? Der will mich nur loswerden. Der Mann ist Anfang fünfzig, nimmt jetzt nur noch Privatpatienten. Wie sollte er sonst noch halbwegs rechtzeitig seine Nudel im Sandstrand baumeln lassen? Seine Immobilien an der Costa Brava betreuen? Dann muss ich eben auch umstrukturieren. Ohne Costa Brava.

SACHBEARBEITERIN
Versuchen Sie’s mit Arbeit.

Gottfried steht auf, wird etwas unbeherrschter.

GOTTFRIED
Mein Kreuz, meine Migräne, meine depressiven Erschöpfungszustände, meine Schlaflosigkeit - das wird leider nichts mehr. Haben Sie mal in Spätschicht Rollgüterbehälterwagen vollgeladen und in LKWs geschoben? Nachdem Sie den ganzen Tag in Seminarräumen, Bibliotheken, Vorlesungen verbracht haben? Und als Sahnehäubchen dann bis spät in die Nacht geschrieben? – (Sie versucht, ihn zu unterbrechen) Denken Sie mal gelegentlich daran, bevor Sie mit Ihrem lächerlichen Acht-Stunden-Job über Arbeitsmoral dozieren.

SACHBEARBEITERIN
Sie nehmen alles viel zu persönlich.

GOTTFRIED
Meine Arbeitsmoral ist so persönlich, wie sie nur sein kann. Im Unterschied zu Ihnen habe ich mich zwei Jahrzehnte auf dem freien Markt durchgeschlagen. Oft mit zwei, drei Jobs gleichzeitig. Mehr Respekt!

SACHBEARBEITERIN
Es geht nur um die Statistik, das wissen Sie doch! Kooperieren Sie oder nicht?

(Setzt sich wieder hin.)

GOTTFRIED
Was haben Sie anzubieten?

SACHBEARBEITERIN
Eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung.

GOTTFRIED
Arbeitsgelegenheit? – Und dann auch noch mit Mehraufwandsentschädigung? Diese Sprache muss in fensterlosen Verließen erdacht worden sein. Von strafversetzten Archivaren mit abgebrochenem Jura-Studium.

SACHBEARBEITERIN
Der Volksmund sagt – Ein-Euro-Jobs.

GOTTFRIED
(Springt auf.)
Vergessen Sie’s. Ich weiß, was das ist: Placebo-Veranstaltungen. Beschäftigungstherapie. Behutsames Heranführen an Arbeitsdisziplin für schwierige Fälle.

SACHBEARBEITERIN
Für Langzeitarbeitslose mit multipler Problemlage.

GOTTFRIED
(Stimme wird leiser, unheimlicher, bedrohlicher..)
Ich spiele nicht mehr Kaufmannsladen, nicht in meinem Alter! – Sie nennen das zwar Activcenter oder Trainingscamp, aber ich staube keine Plastik-Hühner ab, ich belüfte keinen Plastik-Käse und ich bügle auch keine Papiersalami glatt!

SACHBEARBEITERIN
Aber es gibt doch auch …

GOTTFRIED (tippt sich herausfordernd mit dem Ziegefinger gegen die Stirn.) Und schon gar nicht setzte ich ein Puzzle mit fünftausend Teilen zusammen!

SACHBEARBEITERIN
Sie können gehen! Ich schicke Ihnen die Ladung zum Amtsarzt zu.

GOTTFRIED
Beugt sich zornig über den Schreibtisch und schreit.
Wir sind Ihre Arbeitgeber, wissen Sie das? Wir, das Hartz-IV-Prekariat sind die Jobmaschine der Nation! Allein für die bürokratische Verpackung des Bildungspakets schafft ihr über 1000 neue Stellen! Ihr seid das Produkt unseres Daseins! Und jeder zweite Euro, den ihr für Arbeitsförderung ausgebt, fließt in eine weitere Parasitenindustrie, die sich bei euch angedockt hat – fließt in Heerscharen von Anwälten, Bildungseinrichtungen, private Arbeitsvermittlungen!

SACHBEARBEIERIN
Mäßigen Sie sich, Herr Doktor, sonst rufe ich …

GOTTFRIED
Und nur wir – wir ganz allein sind das Wirtstier! Ja - schick doch deine Ladung! Mich kann alles sozial- wie individualpsychologisch am Arsch lecken! Und jetzt zerlege ich mal ein bisschen dein Büro – du kleine zynische halbgebildete Sprachverhunzerin!!!

(Die Sachbearbeiterin rennt weg und schreit um Hilfe! – Gottfried will den Schreibtisch packen.)

Das nächste Mal komme ich mit der Axt! Oder mit einer Kalaschnikow! Oder gleich als Selbstmordattentäter!

Fasst sich ans Herz und geht in die Knie; Sachbearbeiterin kommt mit einem Kollegen vorsichtig zurück.

SACHBEARBEITERIN
Herr Hippler? – Um Gottes willen!

GOTTFRIED
(Zusammenbrechend)
Mist! Ich sterbe! Und mir fällt kein bedeutsames Wort ein, das man hinterher noch zitieren könnte! Ihr habt mir den Geist getötet - zur Hölle mit dieser Bananenrepublik!

Black, eventuell Musik, oder Pausengong im Amt.

SZENE 1 - Im Himmel

Alles offen! IKEA, leises Schnorcheln.
(Phototapete auf Rollwand): Himmelblaue Wände drapiert mit Wolken. Gott ist ein schläfriger alter Mann und hält auf seinem Thron mit gebeugtem Haupt ein Nickerchen. Der Teufel tritt auf.

TEUFEL
(Er blickt auf den Herrn, macht sich über ihn mit pantomimischen Gebärden lustig und zieht eine Tüte aus seinem schwarzen Gewand hervor. Er bläst sie auf und will sie laut in der Hand zerknallen lassen – überlegt es sich im letzten Moment aber anders und wendet sich vertraulich ans Publikum – Licht.)
Keine Possen! Mit diesem Bild des Jammers muss selbst der Teufel Mitleid haben. Warum wollte der Alte auch unbedingt ein Künstler werden? Ein ganzes Universum aus dem Chaos heben? Welten von Urknall zu Urknall hetzen, in unendlichen Variationen, aus sich selbst entstehend und in sich selbst zerfallend - welch skrupellose Genialität!

Positionswechsel

War doch sonnenklar, dass dieses Perpetuum Mobile seinen Schöpfer irgendwann langweilen musste!
(Kumpelhaft vertraulich, fast flüsternd.)
Ganz unter uns gesagt - Kunst ist etwas für Sterbliche, nicht für Götter. Die Götter sehen bis zum Stumpfsinn die Wiederholungsschleifen des Universums. Nur für ein mickriges Menschenleben hat das Spektakel einen gewissen Unterhaltungswert.

(Während der Teufel zum Publikum spricht, erwacht Gott und sieht sich verwirrt um. Setzt eine intellektuelle Nickelbrille auf und trinkt aus einer großen Flasche mit der Aufschrift „Ambrosia original“ einen kräftigen Schluck.)

GOTT
Schön von dir, dass du mich besuchst.

TEUFEL
Du bist schläfrig, Gott. Du hättest auch schon vor der Schöpfung immer in dir selbst ruhen können, hättest nicht erst den Künstler zu spielen brauchen.

GOTT
Den Künstler kann man nur spielen, Maulaff! - Aber warum sprechen wir eigentlich Deutsch?

TEUFEL
Warum nicht? Wir sprechen alle Sprachen. Und weil wir nun mal eine Sprache sprechen müssen, wenn wir sprechen, ist Deutsch so gut wie jede andere.

GOTT
Wenn der Teufel Deutsch spricht, werde ich misstrauisch. Was ist passiert? – Wieder mal ein Rückfall in die Barbarei?

TEUFEL
Gott bewahre.

GOTT
Oder wieder einmal eine neue Religion?

TEUFEL
Woher denn? - Die haben ja nicht mal alte Religion.

GOTT
Dann weiß ich’s. Dann ist es irgendein brillanter Philosoph, Dichter, Wissenschaftler oder Humanist. Einer dieser seltsamen deutschen Heiligen, die den Stumpfsinn aller anderen wettmachen. Ein Schiller.

(Gott trinkt wieder tüchtig aus der Flasche.)

TEUFEL
Oder ein …

GOTT
(Gott verschluckt sich, springt vom Thron auf und wirft sich hastig eine Handvoll Pillen ein.)
Still – den Namen will ich nicht hören! G-o-e-t-h-e – schon der Name klingt anmaßend nach Gott!

TEUFEL
Was kann ich dafür? Ich habe dich vor ihm gewarnt.

GOTT
Ich weiß, ich weiß - mein Fehler. Hab ihn zu sehr inspiriert. (Zornig) Und jetzt glaubt jeder Bildungsspießer, ganz genau Bescheid zu wissen, wie es bei uns zugeht. Ich bin kein Schauspieler in Faust I, merk dir das! Ich bin das Schauspiel aller Schauspiele selbst, bin Gott und Goethe und überhaupt alles!

TEUFEL
Wie kann man sich nur so aufregen? – Du weißt doch, dass ein Kunstwerk nicht wieder aus der Welt zu schaffen ist. Gerade du! Oder warum sprechen wir hier so ein klassisch geschwollenes Deutsch? – Wenn Himmel und Hölle Deutsch sprechen, dann gut lutherisch und goethisch - aus der Nummer kommen selbst Gott und der Teufel nicht mehr heraus.

(Gott geht zu einer Kommode und entnimmt der Schublade einen gigantischen Joint, den er genüsslich anzündet. Befriedigt paffend kehrt er zurück und baut sich vor dem Teufel auf.)

GOTT
Zur Sache, Windbeutel: Beglückt die Erde einer meiner Gerechten, ist einer erstanden? Hat sich die Menschheit unerwartet weiterentwickelt? Oder, sag bloß, ist er dahingerafft und bittet um Einlass?

TEUFEL
Ein Neuzugang? Für dich? Ich weiß ja nicht, wie lange du geschlafen hast. Aber augenblicklich sind wir wieder einmal in der letzten Phase moralischer Dekadenz: Der göttliche Funke ist zum x-ten Mal erloschen. 21. Jahrhundert! Die Menschheit besteht nur noch aus Lehmklumpen mit ökonomischem Sprachzentrum. Kein Gerechter wird den Weg mehr in den Himmel finden. –

GOTT
(Setzt sich missmutig wieder auf seinen Thron. Legt frustriert den Joint beiseite.)
Wieder kein Gerechter? – Hier nicht und auch nicht unter den Lebenden? Aber warum sonst bist du hier?

(Teufel setzt sich, ebenfalls trübsinnig, zu Füßen Gottes.)

TEUFEL
Um zu klagen. In der Hölle schwitzen wir wie Metzger im Dreischichtbetrieb. Der Wert der Einzelseele sinkt auf Massenware herab. Besonders die Qualität der Sünden ist deprimierend armselig: Grenzenlose Gier vereint mit mörderischer Mittelmäßigkeit. Herr, erlöse mich: Nicht einmal in der Sünde sind die Sünder heute groß.

GOTT
Du lügst. Darum bist du nicht hier.

(Teufel fordert Gott mit Gesten auf, ihm den immer noch qualmenden Joint zu reichen. Gott gibt ihm zögerlich den Joint. Teufel pafft versonnen vor sich hin.)

TEUFEL
Es ist etwas passiert: Wir haben einen Deutschen in der Grauzone.

GOTT
In der Grauzone? In dieser verkommenen End-Phase des Weltalters? - Ein einmaliger, noch nie gehörter Fall! -

TEUFEL
Der Tor schwebt unentscheidbar zwischen Gut und Böse. Gemessen an den erbärmlichen Verhältnissen beinah ein Heiliger.
Die Hölle will ihn nicht. Und nicht der Himmel.

GOTT
Aber kein Frömmling, oder? - Mich interessiert nicht, ob ein Mensch an mich glaubt. Mich interessiert nur, was er tut.

TEUFEL (in bekifft-trägem Tonfall)
Klar! Bei all den Buddhisten, Hinduisten, Moslems, Taoisten, Konfuzianern, Christen, Juden, bei all den Atheisten, Pantheisten, Panentheisten, Esoterikern, Agnostikern und Gnostikern und Mystikern und Naturphilosophen blickt kein Teufel mehr durch.

GOTT
Das jüngste Gericht ist eben auch nur ein Gericht: Allein die Tat ist justiziabel. Nicht, was einer denkt oder gar nur glaubt. – Wer ist der Typ in der Grauzone?

TEUFEL
Ein Arbeitsloser.

GOTT
Wie bitte? Wer versagt in meiner Schöpfung dem Menschen das Tun?

TEUFEL
Die Deutschen nennen das Hartz IV. Für den Namensgeber haben wir schon einen Bratenwender reserviert.

GOTT (zornig)
Lasst ihn nackt durch heiße Sandwüsten laufen! Bestreicht ihn mit Honig, auf dass ihn die Wespen stacheln! Wirbelwinde sollen ihn packen und gegen Felswände klatschen!

TEUFEL
Sehr gern.

(Gott verlangt ungeduldig nach dem Joint)

GOTT
Don’t bogart that joint, my friend!

TEUFEL
Wie?

GOTT
Laber den Joint nicht nass!

(Der Teufel reicht Gott den Joint).

Weiter im Text, Mann!

TEUFEL
Ja, also der Deutsche war auf einem der Ämter, das diese Arbeitslosen verwaltet und hat dort vor lauter Zorn eine tödliche Herzattacke erlitten. Und jetzt schwebt er eben in der Grauzone. Was tun?

GOTT
Herzitieren. Sofort. Und bring seine Vita mit. Ich will Akteneinsicht.

TEUFEL
Keine Sorge, bei uns herrscht Ordnung.

GOTT
Das will ich hoffen: Nur um der Hölle willen hab ich die ganze Justiz erschaffen. Die braucht sonst weder Gott noch Mensch.
(Gott zieht noch einmal kräftig am Joint und legt ihn dann ungeduldig beiseite.)

Teufel ab

SZENE 2 Der Prozess

(Gottfried betritt gelangweilt die Bühne, sieht den schlummernden Gott auf dem Weltenthron und erschrickt.)

GOTTFRIED
Grüß Gott!

GOTT
(Erwacht und blickt erfreut auf den Irdischen.)
Aha - ein Süddeutscher – grüß Gott, mein Sohn, grüß Gott! Woher kommst du und wohin gehst du?

GOTTFRIED
Aus dem Leben in den Tod, vermute ich. Bin wohl irgendwie hängen geblieben.

GOTT
Nicht so vorwitzig. Wohin du gehst, bestimme ich.

GOTTFRIED
So bist du Gott?

GOTT
Wie heißt du? Und wo hast du das Licht der Welt erblickt?

GOTTFRIED
Gottfried Hippler. Geboren in Baden-Württemberg. Warum bin ich nicht tot?

(Der Teufel huscht mit einem großen Aktenordner auf die Bühne und überreicht ihn feierlich Gott.)

Ha! Ist Beelzebub dein Amtsbote? Der hat mich schon vernommen, als Staatsanwalt und Richter in einer Person.

GOTT
(Gebietet mit einer Handbewegung dem erbosten Teufel Ruhe.)
Im Zweifelsfall bin ich die letzte Instanz.

GOTTFRIED
Im Zweifelsfall sind Angeklagte freizusprechen. Ihr habt ein fragwürdiges Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit.

GOTT
Vita, Anklagepunkte und Urteil. Trag vor.

TEUFEL
Gottfried Hippler, geboren 1965 in Stuttgart. Vater des Angeklagten einfacher Arbeiter. Gottfried sehr schlechter Schüler, doch ab dem 13. Lebensjahr wundersam verwandelt: Bestnoten. Verspätet aufs Gymnasium, dann Universität: Studiert Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft, Studien-Abschluss und anschließende Promotion mit glatter Eins.

GOTT
Sehr brav. Moralische Expertise und Fehlverhalten? Hurtig!

TEUFEL
Ehrlich und fleißig bis zur Dummheit. Bekommt keine Förderung vom Staat, weil seine Mutter als Putzfrau arbeitet und das elterliche Einkommen minimal über der Bemessungsgrenze liegt. Weigert sich, seine Eltern vor Gericht zu verklagen und verdient Studium mit einer Vielzahl niedriger Jobs.

GOTT
Bemessungsgrenze? Dieses Pack hat ihn sozial über die Klinge springen lassen. - Und alles mit einer Eins abgeschlossen, sagst du?

TEUFEL
Ja, auch die Promotion. Dort wurde er endgültig betrogen. Stipendium wurde von großbürgerlich-akademischer Kommission zwei Mal abgelehnt. Er habe zu lang studiert. Obwohl beide Doktorväter entlastende Gutachten schrieben, auf soziale Umstände hinwiesen und seine Fakultät ihn dringend empfohlen hatte.

GOTT
Dieser verfluchte dekadente Akademiker-Klüngel! Immer gleich die Hosen voll, wenn einer von unten mit Talent und Fleiß nach oben will! Und dann?

TEUFEL
Eine Art Märtyrertum: Zieht aus purer Selbstachtung Promotion mit Nebenjobs durch. Ist aber am Ende über dreißig. Auch fehlt ihm der Ritterschlag des Stipendiums. Keine Chance auf einen vernünftigen Uni-Job. Aus und vorbei.

GOTT
Mach endlich weiter – und bitte kurz.

TEUFEL
Verdient sein Geld als freiberuflicher Texter, Rundfunkautor und Sprachlehrer.

GOTT
Arme Sau.

TEUFEL
Lebt wie ein Heiliger vom Glauben an die Literatur und philosophische Weisheit.

GOTT
Ein Wunder ist geschehen! Meine Schöpfung wird immer göttlicher, selbst im moralischen Verfall.

TEUFEL
Nach zwei Jahrzehnten krämerhafter Selbstständigkeit Auftragseinbruch. Muss aufs Amt und Existenzsicherung beantragen wie der letzte arbeitsscheue Gammler. Wutanfall. Tod.

GOTT
Dein Urteil?

TEUFEL
Wer in einer bösen Welt nicht boshaft sein kann, der ist fast schon selbst moralisch schuldig. Entscheide du den Fall, Herr.

GOTTFRIED
Ich will ja nicht stören. Aber wessen bin ich angeklagt?

TEUFEL
Deine dämliche Demut stinkt einfach zum Himmel. - Ein rechtschaffener Mensch hätte diese Kommission mit einem Maschinengewehr niedergemäht und per Eilsendung zu mir geschickt.

GOTTFRIED
Einspruch. Ich wollte gerade der Sachbearbeiterin an den Kragen und ihr Büro zerlegen – ich war auf einem sehr guten Weg - da habt ihr mich vorschnell abberufen. Ich wäre bestimmt ein Racheengel der Gerechtigkeit geworden, hättet ihr nicht dazwischengepfuscht.

TEUFEL
Leere Worte!
(Schreitet mit staatsanwaltlicher Rednerpose die Bühne ab.)
Wer über Jahrzehnte - jeden Monat - mit Engelsgeduld Miete und Krankenversicherung ausrechnen muss, wer kaum Kleidung und Essen und Möbel und keinen Urlaub bezahlen kann, und trotzdem aber mehr schuftet und eine bessere Ausbildung hat als viele Gutverdiener – der sollte plötzlich ein Racheengel sein? Lächerlich! Dieser Mensch ist ein Grenzfall: Er hat etwas von der Dummheit der Heiligen, aber auch sein Heiliges geht nie ohne Dummheit einher.

GOTT
Den Fall moralisch zu entscheiden, verfüge ich: Gottfried soll werden, was er uns verkündigt. Ein Racheengel, der die Welt verbessert – und sei es nur um das Kleinste vom Kleinen. Er kehre ins Leben zurück!

GOTTFRIED
Ich wär zwar lieber tot, ich meine richtig tot. Aber wenn du darauf bestehst…

TEUFEL
Da hat der Staatsanwalt auch noch ein Wörtchen mitzureden.

GOTTFRIED:
Ich gebe ja zu, dass ich ein gutmütiger Trottel war. Aber meine moralischen Verdienste kannst selbst du nicht bestreiten.

GOTT
Recht gesprochen, mein Sohn. Genau deshalb bist du in der Grauzone.

GOTTFRIED
Grauzone?

GOTT
(Blättert in der Akte.)
Nach menschlichem Ermessen ist dein Lebenswandel untadelig. Die Schwächen sind zwar zahlreich und bedenklich: Rauchen, Trinken, Hang zu Exzessen und Drogen, Einzelgängertum und Ehe- und Fortpflanzungsverweigerung, ts…ts…ts…, aber eigentlich schert mich das wenig. Zum Teil ist es deinem harten Los geschuldet, Spaß muss sein, zum Teil deinem sinnlichen Erlebnishunger – Künstler müssen mehr experimentieren als andere Sterbliche.
Schließt die Akte.
Alles in allem hast du nur im Geist gelebt. Das gefällt mir. Im 21. Jahrhundert Literatur so innig und heilig erleben wie Goe … Ähhh

TEUFEL
Schiller!

GOTT
Genau: wie Schiller!

GOTTFRIED
Und wie geht es jetzt weiter?

GOTT
Na, ich wecke dich wieder auf. Wozu bin ich Gott? -
Aber sag mal, hast du eigentlich keine Fragen an mich? Oder sprichst du jeden Tag mit Gott? Alle, die jemals vor mir erschienen sind, fragten mich ein Loch in den Bauch.

GOTTFRIED
Wozu fragen? – Du hast doch ohnehin immer recht.

(Verfällt parodierend in den hysterischen Hitler-Tonfall mit rollendem RRR)

Wo warst du, da ich die Erde gründete? Sage an, bist du so klug!
Bist du in den Grund des Meeres gekommen und in den Fußstapfen der Tiefe gewandelt?
Kannst du die Bande der Sieben Sterne zusammenbinden oder das Band des Orion auflösen? –

(Wieder in natürlicher Stimmlage.)

So hast du den aufrechten Hiob niedergedonnert! Mit Macht, nicht mit Argumenten.

TEUFEL
Hiob? – Das bringt mich auf eine Idee.
(Teufel ab. Gott grübelt.)

GOTT
Hmmm, an dieser Stelle habe ich tatsächlich etwas geschlampt. Aber bedenke nur die Übertragungsschwierigkeiten: Die Schreiber haben mein Wort nicht immer so rein vernommen. Die Bibel sollte eigentlich ein humoristisches Epos werden, aber die Irdischen machten ein moralinsaures Lehrstück daraus. Die Inder haben mich übrigens besser verstanden. Aber leider meine persönliche Existenz verleugnet. Dagegen die Araber, Juden und Christen haben nur mich selbst sehen wollen, aber nicht die schöne Welt, in der sie lebten.

GOTTFRIED
So hast du alle Religionen erschaffen?

GOTT
Wer sonst? Oder glaubst du im Ernst, ich hätte irgendeinen Landstrich und irgendein Volk ganz exklusiv erleuchtet?

GOTTFRIED
Eines möchte ich tatsächlich wissen: Ich muss das fragen, weil es einfach unumgänglich ist. - Warum hast du das Böse in deiner Welt zugelassen? Und komm mir bloß nicht mit dieser sophistischen Theologen-Antwort, die kenne ich: Du musstest das Böse zulassen, damit wir die Freiheit haben, selbst das Gute zu wählen. Wenn du weiter nichts weißt, dann lass uns schweigen.

GOTT
Das Rätsel aller Rätsel ist die Liebe, nicht schnöde Moral. Ich bin ein Künstler. Und deshalb liebe ich mein Werk. Und weil ich es liebe, muss ich es loslassen können. Muss akzeptieren, dass es auf eigene Faust sein Glück oder Unglück macht.

GOTTFRIED
Das ist das ewig gleiche Freiheitsargument, nur ästhetizistisch geschminkt. Lassen wir’s. Du wirst mir nie erklären können, warum unschuldige Kinder, Frauen und Männer in die Gaskammern von Auschwitz getrieben wurden.

GOTT
Immer gleich die Moralkeule. Wäre ich Ästhetizist, hätte ich auf einer Wolke gesessen und fassweise Ambrosia gesoffen, hätte mich am Blitzlichtgewitter eurer Atombomben erfreut oder am Farbenspektrum eurer schmelzenden Polkappen. Hätte einen geilen Kitzel in den Lenden verspürt, wenn ihr euch bis auf den heutigen Tag aus purer Macht- und Geldgier gegenseitig massakriert.

(Steht entrüstet auf.)

Niemand leidet bitterer an euch als ich. Millionen Kosmen sind vor meinem Auge vorbeigezogen – und jedes Mal habt ihr versagt.
Und dabei habe ich euch nach meinem Ebenbild geschaffen. Mehr kannst du nicht verlangen.

GOTTFRIED
Die Proportionen stimmen einfach nicht. Wenn es eine wirkliche Wahl zwischen Gut und Böse gibt – wieso kommen dann auf einen Guten eine Legion von Schlechten, auf einen Weisen Myriaden von Dummköpfen, auf einen Herzlichen Millionen Geldraffer?

GOTT
Ja, ja, ja – ein Gespräch mit Gott besteht aus immer gleichen Fragen …

GOTTFRIED
Und immer gleichen Antworten. Bis jetzt hast du mir nichts Neues erzählt.

GOTT (streng)
Würdet ihr euch endlich so benehmen, als wäret ihr tatsächlich meine Ebenbilder, dann wäre die Welt göttlich genug. Bis dahin ist Gott für euch tot. Ja, das ist das Geheimnis: Gott ist tot. Da hatte dieser deutsche Sonderling mit dem Knebelbart durchaus recht.

GOTTFRIED
Und das Glaubensbekenntnis zählt also gar nichts?

GOTT
Weißt du – eigentlich mag ich die Gläubigen gar nicht: Sie meinen, man hätte Gott schon in der Tasche, wie man so geht und steht. Sie meinen, sie seien nur mein Werkzeug, meine Diener, mein Gefäß, in das ich gnädig den Geist fülle. Sie maßen sich an, mein Wort sei in ihrem Mund, mein Wille ihr Wille – sie wollen als persönlicher Dolmetscher Gottes verehrt werden. Ja als Gott selbst verehrt werden.
Das sind die gefährlichsten von allen – diese Ein-Buch-Leser, Ein-Buch-Interpreten, Ein-Buch-eine-Wahrheit-Menschen.

(Teufel betritt wieder die Szene)

TEUFEL
Metaphysische Disputationen? – Zum Glück war ich weg.

GOTT
Woher kommst du?

TEUFEL
Vom Land, da es stockfinster ist und da keine Ordnung ist, und wenn’s hell wird, so ist es wie Finsternis.

GOTT
Von der Erde also. Wozu der Ausflug?

TEUFEL
Sag ich dir gleich. Du weißt ja – in göttlichen letztinstanzlichen Prozessen bin ich als Staatsanwalt eingesetzt. Ich beantrage die Festlegung einer Wette.

GOTT
Wir sind nicht in Faust I, verdammt noch mal!

TEUFEL
Der, dessen Namen ich nicht nenne, hat die Wett-Idee doch auch nur aus deinem Hiob. - Du erinnerst dich? Damals gabst du mir freie Hand, deinen Lieblingshelden zu verderben. Diesmal bitte ich: Lass mich ihn erhöhen.

GOTT
Sprich nicht in Rätseln. Was willst du?

TEUFEL
Damals, beim reichen Hiob, wollten wir herausfinden, ob er dir zum Nulltarif dient – weil es ihm ja glänzend ging. Beim Angeklagten möchte ich wissen, ob er dich, vom Reichtum verwöhnt, nicht ganz schnell vergisst. Vielleicht ist er nur deshalb ein halber Heiliger, weil er nie ein ganzer Sünder sein konnte.

GOTT
Klingt annehmbar.

GOTTFRIED
Ich – ein umgekehrter Hiob? Er war doch herrlicher denn alle, die gegen Morgen wohnten! Wie komme ich zu sieben Söhnen und drei Töchtern? Und was ist heute der Gegenwert von siebentausend Schafen, dreitausend Kamelen, fünfhundert Joch Rindern und 500 Eselinnen? Und dann das zahlreiche Gesinde!

TEUFEL
Heute zählt nur noch Geld. Ich habe eben ein paar Zahlen manipuliert, Lottozahlen. Deshalb war ich fort. Unser Freund wird den Jackpott knacken, satte 12 Millionen Euro sind für den Anfang genug.

Steckt Gottfried einen Spielschein in die Tasche.

GOTTFRIED
Wie trivial! Ich habe noch nie Lotto gespielt.

TEUFEL
Danach wirst du nicht fragen, wenn du das Geld kassierst.

GOTT
Zur Wette! Wenn er seinen Prinzipien treu bleibt, dann bekomme ich nach seinem Tod hier oben einen Neuzugang.

TEUFEL
Aber wenn er sich als gewöhnlicher Sterblicher entpuppt, so gesteh – deine Schöpfung ist Murks bis ins Mark. Und das kosmische Spiel hat ausgespielt.

GOTTFRIED
Hallo?! Ihr wollt an meiner vereinzelten Seele das Schicksal der Welt festmachen?

GOTT
In jeder einzelnen Seele vollzieht sich das Schicksal der Welt. Wozu hast du studiert, wenn du das Wichtigste nicht weißt?

GOTTFRIED
Aber die Wette kann nicht funktionieren - jetzt weiß ich doch schon alles.

TEUFEL
Zurück im Leben wirst du dich an nichts mehr erinnern. -

SZENE 3 Auferstehung

Jobcenter. Gottfried liegt leblos am Boden. Der mit der Sachbearbeiterin herbeigeeilte Kollege macht sich an ihm zu schaffen, Abtasten, Herzmassage.

KOLLEGE
Haben Sie den Notarzt gerufen?

SACHBEARBEITERIN
Ja.

KOLLEGE
Kein Lebenszeichen. Da hilft nur ein Defibrillator. Wahrscheinlich auch der nicht mehr. So was von mausetot!

(Gibt Herzmassage auf.)

Licht aus, Ende.

SACHBEARBEITERIN
Das gibt Ärger!

KOLLEGE
Für Sie. Haben Sie wieder einmal einen armen Teufel abgekanzelt? Das halbe Amt hat seinen Tobsuchtsanfall mitgekriegt. Die Kollegen drängeln sich vor der Tür. Der Notarzt ist im Anmarsch. – Diesmal können Sie nichts unterm Deckel halten.

SACHBEARBEITERIN
Danke für Ihre Solidarität, Herr Kollege.

KOLLEGE
Meine Solidarität gilt auch meinem Eid. Ich sehe schon viel zu lange zu, wie Sie mit meinen Patienten umspringen.

(Gottfried hebt den Kopf, die beiden schrecken zusammen.)

SACHBEARBEITERIN
Er lebt! Gott sei Dank verstehen Sie nichts von Ihrem Beruf!

KOLLEGE
Das ist ein Wunder, ein medizinisches Wunder! Was machen Sie da? Bleiben Sie liegen!

(Gottfried wehrt die Hilfsversuche des Kollegen ab und steht ganz munter auf.)

GOTTFRIED
Gottfried Hippler – und wer sind Sie?

KOLLEGE
Ewald Schnarrenberger, ich bin Ihr zuständiger Amtsarzt und nur zufällig im Haus. Sie waren schon klinisch tot, als ich ankam. Dass sie wieder am Leben sind, spottet aller Wissenschaft.

GOTTFRIED
Wären Sie bereit, den Vorfall zu protokollieren?

KOLLEGE
(Mit Seitenblick auf Sachbearbeiterin)
Das ist meine Pflicht!

GOTTFRIED
Haben Sie den Notarzt alarmiert?

KOLLEGE
Müsste jeden Moment eintreffen.

GOTTFRIED
Was halten Sie von einer Nachuntersuchung bei Ihnen persönlich, sagen wir morgen, um 14:00 Uhr?

KOLLEGE
Natürlich – Ihr Fall genießt absoluten Vorrang. Aber der Notarzt …

GOTTFRIED
Den Notarzt halten Sie bitte einen Moment auf. Werde routinemäßig mitkommen. Schildern Sie den Hergang für deren Protokoll. Verschaffen Sie mir eine Atempause. Ich fühle mich sehr gereizt und möchte noch ein Wörtlein mit meiner Sachbearbeiterin reden. In zwei Minuten bin ich draußen.

(Lärm. Kollege rennt nach draußen.)

KOLLEGE
Einen Moment, bitte. Falscher Alarm. Er ist psychisch noch sehr labil ….

GOTTFRIED
Die Notärzte brauchen ganz schön lange bei einem Hartz-Vierler.

SACHBEARBEITERIN
Hören Sie, es tut mir leid, wie das gelaufen ist.

GOTTFRIED
Ich werde alles protokollieren lassen, notärztlich und amtsärztlich und polizeilich. Zieht Notizbuch hervor. Und dann verfasse ich eine lückenlos dokumentierte Beschwerdeschrift.

SACHBEARBEITERIN
Sie können mir gar nichts.

GOTTFRIED
Falls sie intern verschont werden, strenge ich ein offizielles juristisches Verfahren an. – Da draußen auf den Fluren laufen genug Anwälte rum, die uns Hartzern ihre Visitenkarten zustecken.

SACHBEARBEIERIN
Das ist doch absurd!

GOTTFRIED
Das Zauberwort heißt Prozesskostenhilfe, das bringt sichere Honorare auf Staatskasse. Juristen sind besonders schamlose Blutegel am viel zu fetten Hintern der Bürokratie. Und genau die werde ich auf Sie ansetzen. Außerdem gehe ich an die Öffentlichkeit. Dann sind Sie endgültig weg vom Fenster. Dann können Sie künftig selbst als Antragstellerin bei Ihren Ex-Kollegen vorsprechen.

SACHBEARBEITERIN
Sie wollen mich fertigmachen, was?

GOTTFRIED
Ihr eigener Amtsarzt wird mir morgen bestätigen, dass Sie durch Ihr Verhalten meine Gesundheit nachhaltig gefährdet haben.

SACHBEARBEITERIN
Entnervt. Schon gut. Was wollen Sie?

GOTTFRIED
Meine Ruhe, und zwar vor Ihnen und diesem Amt hier. Sie halten mir in Zukunft den Rücken frei – verstanden? Ab und zu besuche ich den Amtsarzt, der Mann ist anständig, der soll mit meiner seltsamen Krankheit ruhig ein wenig Karriere machen.

SACHBEARBEITERIN
Unter diesen Umständen verzichten Sie auf eine Beschwerde?

GOTTFRIED (macht Notizen)
Solange mir nichts Negatives über Sie zu Ohren kommt. Und künftig habe ich hier meine Ohren überall. Ihr Stellenleiter wird mich lieben, weil ich gnädig auf eine Beschwerde verzichte und Sie sogar in Schutz nehme.

SACHBEARBEITERIN (kocht innerlich vor Wut)
Da muss ich Ihnen ja regelrecht dankbar sein.

GOTTFRIED
Und wie. Denn schließlich geht aus meinen Notizen hervor, dass Sie mich gerade eben bedroht haben, wenn ich etwas gegen Sie aussage. –

SACHBEARBEITERIN
Das glaub ich jetzt nicht.

GOTTFRIED
Aber alle anderen. - Immer daran denken: Meine Akten und Schriftsätze liegen jederzeit gegen Sie bereit. Wenn Sie mich verarschen, überwinde ich auch noch Jahre später die Furcht vor Ihren Drohungen und zeige Sie an.

SACHBEARBEITERIN
Gefällt es Ihnen, Macht auszuüben?

GOTTFRIED
Dieses Amt behandelt Menschen schlimmer als Idioten. Weil jeder Idiot immerhin weiß, dass die Automatisierung den klassischen Industriesektor wegrasiert hat. Die kläglichen Überreste werden nach Osteuropa und China verhökert. Für ein paar Millionen unqualifizierte Menschen gibt es faktisch keine Arbeit. Jeder weiß es, keiner sagt es.

SACHBEARBEITERIN
Kommen Sie, wir haben doch einen Aufschwung!

GOTTFRIED
Reine Kompensation der Finanzkrise. Das Pendel schlägt vorübergehend stärker aus. Unser bürokratisch verkalktes Deutschland schafft seit Jahrzehnten nur noch schlappe null bis zwei Prozent Wachstum. Das heißt: Millionen Menschen bleiben dauerhaft arbeitslos. Leute wie Sie und Ämter wie diese sind überflüssig. Hartz IV ist nur eine irrsinnig kostspielige Variante des Bürgergelds und obendrein demütigend.

SACHBEARBEITERIN
Gehen Sie doch in die Politik. Am besten Linkspartei. Volkswirtschaftler sagen, wir hätten fast Vollbeschäftigung!

GOTTFRIED
Um den Kern der Erwerbstätigen hat sich ein dicker Speckgürtel aus Zeitarbeitsagenturen gebildet. Wenn es mal besser läuft, dann legen die Firmen diesen Speckgürtel an. Geht die Konjunktur wieder flöten, dann legt man ihn kostengünstig ab. Die Unternehmen gewinnen, die Agenturen gewinnen – gemästet vom Fett der Zeitarbeiter. Das ist die Lage. Da spiele ich nicht mit. – Sind Sie nun kooperativ oder nicht?

SACHBEARBEITERIN
Ich werde Ihnen den Rücken freihalten, Herr Doktor. – Zufrieden?

GOTTFRIED (steht auf)
Oh! (Ein Lottoschein fällt in seine Hände, als er sein Notizbuch verstauen will) – Lotto? – Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich gespielt hätte – was soll’s – heute ist vermutlich mein Glückstag, nicht wahr, Frau Brettschneider? (Geht eilig zur Tür, Tumult, Ruhe.)

SACHBEARBEITERIN
Du arroganter und gottverfluchter MISTKERL!

SZENE 4 Falsche Doktoren

Gottfried sitzt mit einer weiteren Person in einem elegant eingerichteten Büro. Beide sind sehr seriös gekleidet, mit Anzug und Krawatte. Sie trinken Whisky. Eine Sekretärin betritt den Raum.

SANDRA
Herr Meier-Ehrenfeld ist da.

GOTTFRIED
Danke Sandra. Wir lassen bitten!

Meier-Ehrenfeld betritt das Büro, Gottfried und Roland erheben sich, Sekretärin zieht sich zurück.

GOTTFRIED
Herr Meier-Ehrenfeld! Schön, dass Sie zu uns kommen. Gestatten, Herr Roland Fricke, Leiter der Scout-Abteilung.

(Roland macht bei der Begrüßung eine dezente Verneigung.)

Hatten Sie einen angenehmen Flug?

MEIER-EHRENFELD
Sie scherzen, lieber Herr Doktor Hippler. Komme gerade aus Rio, direkt aus dem Sommer ins winterliche Schwabenland.

GOTTFRIED
Bitte, nehmen Sie doch Platz. Dürfen wir Ihnen etwas Wärmendes zu trinken anbieten?

MEIER-EHREFELD (alle setzen sich, Meier-Ehrenfeld deutet auf die Whisky-Gläser.)
Whisky? Da bin ich nicht abgeneigt. Haben Sie etwas zu feiern?

(Roland bringt diensteifrig ein Glas.)

GOTTFRIED
Erraten: Heute ist die zehnte Doktorarbeit erschienen, die unsere Einrichtung betreut hat.

(Gottfried reicht dem Besucher ein Buch.)

MEIER-EHRENFELD (liest)
„Melancholie als Leitmotiv der Moderne. Studien zur englischen Lyrik des 18. Jahrhunderts.“ (Lacht) Erstaunlich, womit man sich beschäftigen kann. „Von Manuel Winkelmann“. – Winkelmann? Ist das etwa…?

GOTTFRIED
Genau. Der Sohn von Friedrich Winkelmann, dem bekannten Baulöwen. Kennen Sie ihn?

MEIER-EHRENFELD
Der macht neuerdings auf Immobilien. Er reißt auch Häuser an sich, die er nicht erbaut hat. Der Sohn ist mindestens so unersättlich wie der Alte, aber dumm wie Bohnenstroh. Der würde noch nicht mal seinen eigenen Buchtitel verstehen. - Das muss ein Plagiat sein.

(Wirft das Buch auf den Schreibtisch zurück.)

GOTTFRIED
Plagiate sind ein lausiges Geschäftsmodell. Früher waren ja nur die Kollegen vom Fach gefährlich. Aber spätestens die Nachwelt ließ den Schwindel auffliegen. Und heutzutage? Da kann doch jeder Sozialneider einen Computer bedienen und Satz für Satz googlen.

ROLAND
Das beste Plagiat ist kein Plagiat.

GOTTFRIED
Richtig. – Das beste Plagiat ist ein Original.

MEIER-EHRENFELD
Sie verwirren mich, meine Herren. Bin kein Akademiker. Habe es aber trotzdem zu zehn Kaufhäusern und sechzig Filialen gebracht. Und ich war schlau genug, sie rechtzeitig an einen Großkonzern zu verscherbeln. Wie also kann eine Fälschung jemals ein Original sein?

ROLAND
Eine Fälschung wird zu einem Original, indem man einen Ghostwriter engagiert.

MEIER-EHRENFELD
Jetzt komme ich wieder mit.

ROLAND
Aber auch diese Lösung ist suboptimal: Man präsentiert zwar ein gekauftes Original. Aber man hat zwangsläufig einen Mitwisser. Ghostwriter, ich bitte Sie, sind meist verkrachte Existenzen, die es selbst zu nichts gebracht haben.

GOTTFRIED
Außerdem notorisch arm – die beste psychosoziale Voraussetzung für lebenslange Erpressungsversuche.

MAIER-EHRENFELD
Brillante Analyse. Hätte ich selber kaum besser sagen können. – Was ist Ihre Lösung?

ROLAND
Qualität und nochmals Qualität, Herr Maier-Ehrenfeld. Das Original muss ein originales Original sein. Entstanden unter völlig legaler und hochprofessioneller Begleitung.

MAIER-EHRENFELD
Ein Doktor-Begleitservice? Alles recht und gut. Aber manchen liegt nun mal das Schreiben nicht. Mein Sohn zum Beispiel ist ein glänzender Praktiker mit gesundem Menschenverstand. Doch sobald er schreiben soll, setzt einfach sein Sprachzentrum aus.

GOTTFRIED
(Blättert in einem Dossier.)
Aber der junge Mann hat doch ein brauchbares BWL-Studium abgeschlossen.

MEIER-EHRENFELD
Ich musste ihn regelrecht an den Schreibtisch prügeln und ständig eine Heerschar von Privatlehrern bezahlen.

ROLAND
Darf ich fragen, Herr Maier-Ehrenfeld, weshalb er jetzt den Doktor machen will?

MEIER-EHRENFELD
Er wird gewollt. Meine Frau und ihre akademische Verwandtschaft haben mich durch lebenslange Herablassung belehrt, wie wichtig so ein Bildungs-Titel ist.

(Plötzlich sehr emotional)

Juristen in der dritten Generation! Dagegen ist das indische Kastenwesen eine humane Veranstaltung!
Ich bin einfach nur der Meier, meine Frau die Ehrenfeld. Und obwohl mein Name vorn steht, bin ich nur der Proleten-Furunkel am Gesäß der ehrenhaften Ehrenfelds. – Hätten Sie noch einen Schluck?

(Roland schenkt nach)

Meine Frau besteht darauf, dass der Junge wenigstens pro forma ein Doktor ist. Robuste Unternehmertalente, damit meint sie mich, haben keine Chance mehr. Die sozialen Schichten sind heute wieder undurchlässig.

GOTTFRIED
Sie haben eine sehr kluge Frau.

MEIER-EHRENFELD
Eine bloße Studienbegleitung, mit Verlaub - das bringt meinem Sohnemann gar nichts. Eine Doktorarbeit muss her und die kann er nun mal nicht selbst schreiben.

ROLAND
Die Stiftung soziale Bildungskooperation ist auf solche Fälle spezialisiert. Wenn Sie als Bildungspate bei uns einsteigen, finden wir einen topqualifizierten Kandidaten, der Ihrem Sohn das lästige Schreiben abnimmt.

GOTTFRIED
Schreiben wird total überschätzt. Schließlich kommt doch alles auf die Ideen an, die einer im Kopf hat. Jeder Mensch hat Ideen im Kopf. Ihr Sohn hat Ideen im Kopf. Das Schreiben ist nur ein mühsames Handwerk, das den Geist zu Papier bringt.

ROLAND
Eine untergeordnete, rein dienende Tätigkeit, die im Grunde besser zum Fleiß der Armen und Unbemittelten passt. Ihr Sohn ist Autor, wenn er die Ideen versteht, auch wenn er selbst nicht schreibt. Genau wie ein Architekt Architekt bleibt, obwohl er nicht selbst auf dem Gerüst steht und die Maurerkelle schwingt.

MEIER-EHRENFELD
Klingt alles einleuchtend. – Mehr Details, bitte.

ROLAND
Unsere Scout-Abteilung sucht einen dieser talentierten Schreiber aus ärmlichen Verhältnissen, der mit Ihrem Sohn das Buch entwickelt und Kapitel für Kapitel die Ergebnisse niederschreibt.

GOTTFRIED
Die Sache ist absolut wasserdicht, absolut legal, absolut original.

MEIER-EHRENFELD
Aber wer garantiert, dass der eigentliche Schreiber dichthält?

ROLAND
Sein Eigeninteresse: Sie werden Bildungspate und übernehmen die finanzielle Förderung eines armen Studenten. Sie bezahlen ihm ein großzügiges Stipendium über einen Zeitraum von fünf Jahren.

GOTTFRIED
Zeit genug, um Ihrem Sohn das Schreiben abzunehmen und auch seine eigene Dissertation anzufertigen.

ROLAND
Der Ochse blökt nicht, wenn er sein Futter hat. Er wird den Teufel tun, seinen Gönner zu verraten. Außerdem würde er sich selbst strafbar machen.

GOTTFRIED
Zweitens wäre der Beweis schwierig, weil Ihr Sohn offiziell am Buch beteiligt ist und über entsprechende Kenntnisse, Notizen und alle Dateien verfügt.

ROLAND
Und drittens könnte der Schreiberling mit Taxifahren oder Kellnern niemals so schnell vorankommen wie mit diesem Finanzierungs-Modell.

GOTTFRIED
Aber das Beste ist: Talente von unten sind wirre Idealisten. Die finden es sogar toll, für das Schreiben bezahlt zu werden.

MEIER-EHRENFELD
Sie sind wirklich ausgekocht, Sie beide, und das meine ich als Kompliment. – Nun lassen Sie endlich die Katze aus dem Sack.

ROLAND
Sie bezahlen ein monatliches Fixum von 5000 Euro in unseren Förderungsfonds.

MEIER-EHRENFELD
Puhhh! Und das fünf Jahre lang? Das macht satte 300 000 Euro.

GOTTFRIED
Die Sie teilweise als gemeinnützige Spende abschreiben können.

ROLAND
Dafür ist die Doktorarbeit legal und Ihr Sohn hat für den Rest seines Lebens ein ruhiges Gewissen.

GOTTFRIED
Nebenbei erwerben Sie auch noch Verdienste um das Gemeinwohl, indem Sie einen hoffnungsvollen jungen Menschen fördern.

ROLAND
Wir wären sozusagen gar nicht seriös, wenn wir nicht sündhaft teure Preise aufrufen. Premium-Qualität kostet. Und dieser Service ist nicht für Hinz und Kunz von der Firma Habenichts bestimmt.

MEIER-EHRENFELD
Verstehe. Und dann noch die Logistik. Scout-Abteilung …

ROLAND
Wunderhübsche Damen mit Intelligenz. Die treiben jedes Talent auf, glauben Sie mir.

MEIER-EHRENFELD
Die Akquisiteure sind also weiblich, die Schreiber männlich, richtig?

ROLAND
Mit Speck fängt man Mäuse. Und finden Sie mal Frauen, die sich für niedere Schreiberdienste hergeben oder gar selbst welche brauchen. Viel zu korrekt, viel zu intelligent. It’s a Woman’s World, unsere Erziehung, Ausbildung und Arbeitswelt ist heute einfach weiblich geprägt.

MEIER-EHRENFELD
Wahr. - Und wie sind die Damen so?

ROLAND
Äußerst geschäftstüchtig, lebenserfahren und gebildet – meist Ex-Studentinnen.

GOTTFRIED
Aber viel, viel lockerer als die Verwandtschaft Ihrer Frau.

MEIER-EHRENFELD
Sie gefallen mir, wirklich, Sie sind das Dreisteste, was mir seit langem begegnet ist. Topp. Ihr Geschäftsmodell überzeugt mich.

ROLAND (legt auf einen Wink Gottfrieds einen Vertrag vor)
Einfach unterschreiben und meine Scouts schwärmen aus wie die Bienen.

(Gottfried zieht den Vertrag etwas zurück)

GOTTFRIED
Nur eines noch. Machen Sie Ihrem Sohn klar, dass er einmal vierteljährlich an einem fachgerechten Seminar in unserer Einrichtung teilnehmen muss. Ein Blockseminar, ein komplettes Wochenende. Das ist das Minimum.

ROLAND
Schließlich muss er sein eigenes Buch verstehen.

MEIER-EHRENFELD (unterschreibt)
Dem trete ich in den Hintern. Und vor allem sag ich’s meiner Frau. Der kommt ganz sicher.

ROLAND
Sandra! Champagner!

(Sandra kommt strahlend mit einem Tablett herein)

MEIER-EHRENFELD
Danke. Für mich nicht. Ich muss schleunigst zurück nach Rio. Ein wenig von dem Geld zurückverdienen, das Sie mir abgeknöpft haben.
(Zu Sandra) Würden Sie ein Taxi für mich rufen, meine Verehrteste?

SANDRA
Selbstverständlich, Herr Meier-Ehrenfeld.

(Sandra geht ab.
Meier-Ehrenfeld verabschiedet sich.)

MEIER-EHRENFELD
Es wäre so mancher nicht über sein Plagiat gestolpert, wenn Sie schon länger auf dem Markt wären.

GOTTFRIED
Empfehlungen bitte nur im engsten und zahlungskräftigsten Kreis!

(Meier-Ehrenfeld lachend ab. Roland und Gottfried prosten sich zu.)

ROLAND
Auf unsere Bildungsreform! Jeder Schnösel, der problemlos hochkommt, zieht künftig ein Talent mit nach oben!

(Sandra kehrt zurück, Gottfried füllt ein weiteres Glas und reicht es ihr.)

GOTTFRIED
Organisierte Prostitution als Transmissionsriemen für mehr Chancengleichheit. Eigentlich ekelhaft. Ganz Deutschland kommt mir vor wie eine moralische Grauzone.

SANDRA
Warum so negativ? Gib du mir eine Banane, dann geb ich dir auch eine Banane. So läuft das.

ROLAND
Alternativlos.

SANDRA
Du gehst alles viel zu verkopft an, Gottfried: Immerhin machst du leichte Mädchen zu seriösen Stiftungsmitarbeiterinnen.

ROLAND
Du bescherst der akademischen Halbwelt ein regelmäßiges Einkommen, was sag ich: fürstliche Apanagen!

SANDRA
Du bist des Blinden Auge und des Lahmen Fuß.

ROLAND
Ein Heiliger!

SANDRA (küsst Gottfried)
Das Gewissen ist doch wirklich eine üble Einrichtung. Es plagt nur die, die eines haben. Mensch Gottfried! Wer etwas verändern will, muss auch in den Dreck fassen.

ROLAND:
In keinem vergleichbaren Land schaffen so wenig Unterschichtler den Sprung auf die Universität. – Das sind deine Worte!

SANDRA
Das heißt jetzt nicht mehr Unterschicht, sondern Prekariat.

ROLAND
Armut war schon immer prekär.

SANDRA
Verwöhnte Wohlstandsbälger sind ja nicht mal das Problem. Die steigen immer auf. Schlimm wird es dann, wenn sie keine Konkurrenz von unten bekommen.

ROLAND
Dann wuchert das Unkraut bevorzugt in Höhenlagen: Alle leitenden Positionen sind vom großbürgerlichen Geldadel besetzt. Inkompetenz und Bürokratismus sind die Totengräber dieser Republik.

SANDRA
Gönn dir endlich mal Spaß mit deiner Kohle, du hast es verdient.

GOTTFRIED
Deshalb übertrage ich euch auch die Leitung unseres Unternehmens. Als gelernte Zuhälter seid ihr einfach besser geeignet als ich.

ROLAND
Was ist der Unterschied? Die Stiftung prostituiert Geister, wir Körper.

GOTTFRIED
Der Geist wird in der Regel viel schlechter bezahlt.

PAUSE

SZENE 5 Update Weltgeist

Im Vordergrund ein Schaltpult mit Computer-Tastatur, Reglern und Hebelchen. Am hinteren Bühnenrand ein erhöhtes rundes Podest, darüber ein großer Rotlichtscheinwerfer. Links eine gemütliche Sitzgruppe mit zwei Sesseln, Couch und Beistelltisch aus Glas. Der Raum ist in Schwarz gehalten. Neben dem Podium stehen futuristisch anmutende Großrechner, direkt hinter dem Podium befindet sich ein großer schwarzer Vorhang.
Gottfried betritt in angeregter Unterhaltung mit einer Dame und einem Herren von rechts die Bühne. Die Dame wirkt altjüngferlich, der Herr wie Einstein mit grauer Mähne, grauem Anzug und nachlässig gebundener Krawatte. Er redet jetzt auf Gottfried ein.)

PROF. GALLWITZ
Eine Stunde zum Preis von 10.000 Euro, macht genau 166 Euro 67 Cent pro Minute oder 2 Euro 78 Cent pro Sekunde. Natürlich, das ist viel Geld, Herr Doktor – bitte!

(Deutet einladend auf die Sitzgruppe, alle nehmen Platz.)

Andererseits bezahlen Multimillionäre heute Hunderttausende für einen kurzweiligen Trip ins Weltall.

PROF. SCHMITZKE
Übrigens ein eher geistloses Vergnügen. Körperlich anstrengend und rein auf sinnliches Glotzen beschränkt.

PROF. GALLWITZ
Erst neulich höre ich, dass ein schwäbischer Zahnarzt 70.000 Euro hingeblättert hat – für eine armselige Erdumrundung und das erschlaffende Gefühl der Schwerelosigkeit.

PROF. SCHMITZKE
Man stelle sich vor: Zahnärzte im Weltall, dazu noch schwäbische!

PROF. GALLWITZ
Für schlichte Gemüter ist die Weltraumperspektive hilfreich. Nur so begreifen sie, dass sie endlich sind und der Kosmos größer als das aufgeblähte menschliche Ego.

GOTTFRIED
Und was haben Ihre Hologramme zu bieten?

PROF. SCHMITZKE
Eine Stunde Geist, Herr Doktor! Für schlappe 10.000 Euro! Was ist schon ein Weltraumtrip gegen einen Weltgeisttrip?

(Professorin Schmitzke steht auf, geht zum Pult und schreibt auf der Tastatur)

Einfach den Namen des großen Geistes eingeben, den Sie rufen wollen. – Und jetzt –

(Betätigt demonstrativ einen Hebel)
…erscheint der Dichter Novalis!

(Raum wird dunkel, Rotlicht erstrahlt gebündelt auf das Podium, nur die Sitzgruppe und das Steuerpult bleiben in fahles Licht getaucht. Der Dichter Novalis teilt ruckartig den schwarzen Vorhang und steigt langsam, mit unheimlich hörbaren Schritten, auf die Plattform und wartet dort regungslos.)

Novalis, wir brauchen dein Zitat über das Weltall!

(Novalis wirft sich in theatralisch-rednerische Positur und deklamiert:)

NOVALIS
Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. – Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft!

(Novalis erstarrt wieder zur Regungslosigkeit.)

PROF. SCHMITZKE
Nun? Hat er nicht recht?

GOTTFRIED
Beeindruckende Grafik, das muss ich zugeben. Aber Bildungshuberei und Zitate brauche ich keine. Lesen kann ich selber.

PROF. SCHMITZKE
Er ist ja auch auf Zitat-Modus eingestellt. Eine nette Spielerei, mit der Sie sein Gesamtwerk abrufen können.

PROF. GALLWITZ
Philologen zum Beispiel wählen ausschließlich den Zitat-Modus. Die sind am glücklichsten, wenn sie nur das hören, was sie schon kennen. – Frau Professor Schmitzke – bitte den Life-Modus.

(Prof. Schmitzke drückt eine Taste. Novalis löst sich aus seiner Erstarrung.)

NOVALIS
Lasst mich gefälligst im Zitat-Modus! Meine Bücher sind mein wahres und einziges Ich! Den Dichter der Todessehnsucht zum Leben erwecken (Tippt erbost mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.)
- ihr habt doch einen Sprung in der Festplatte!

PROF. SCHMITZKE drückt Taste
Das reicht. Einfach die Löschtaste drücken, und weg ist der Kerl.

(Novalis geht verärgert ab und verschwindet hinter dem schwarzen Vorhang. Rotlicht erlischt. Normale Bühnenausleuchtung.)

GOTTFRIED
Erstaunlich. Wie machen Sie das?

PROF. GALLWITZ
Betriebsgeheimnis. Einfach ein Z oder ein L für Zitat- oder Life-Software eingeben.

PROF. SCHMITZKE
Gehen Sie mal davon aus, dass im Lifemodus alle vergangenen Geistesgrößen auf der Höhe unserer Zeit sind.

PROF. GALLWITZ
Wir kombinieren alle Informationen, die nach ihrem Tod über sie verbreitet wurden, mit dem Bewusstseinsstand ihres Werks. Das System funktioniert wie ein autonomer Orbit mit eigenem Bewusstsein. – Wollen Sie mal probieren?

GOTTFRIED
Gern!
(Steht auf und geht zum Pult, Prof. Schmitzke geht zur Sitzgruppe.)
Aber müssen Sie dabei sein?

PROF GALLWITZ
Nur ein Probelauf, keine Sorge, geht nicht von Ihrer Zeit ab.

PROF. SCHMITZKE
Unterschätzen Sie bloß nicht die Eigendynamik des Systems.

PROF. GALLWITZ
Manche sind dem Life-Modus einfach nicht gewachsen. Erst vorgestern hatten wir einen orthodoxen Marxisten, der mit seinem Herrn und Meister eine Stunde lang disputiert hat.

GOTTFRIED
Na und?

PROF. SCHMITZKE
Der sitzt jetzt in der Psychiatrie.

PROF. GALLWITZ
Sind Sie religiös orientiert, Herr Doktor?

GOTTFRIED
Nicht, dass ich wüsste.

PROF. GALLWITZ
Sehen Sie sich vor. Fundamentalisten scheitern regelmäßig am eigenen Propheten.

PROF. SCHMITZKE
Und auf gar keinen Fall die Avatare berühren. Wir haben manchmal Perverse, die wollen Sappho persönlich an die Wäsche. Die Folge ist ein kompletter Systemabsturz. Die Reparaturkosten stellen wir in Rechnung.

GOTTFRIED (schreibt auf der Tastatur)
Schon gut …so … und jetzt ein L

PROF. SCHMITZKE
Den großen Hebel betätigen …

(Rotlicht, Verdunkelung, der Philosoph Hegel erscheint.)

PROF. GALLWITZ
Aha! Ein Stuttgarter wählt natürlich einen Stuttgarter! Willkommen Herr Professor Hegel!

GOTTFRIED
Sie nennen sich doch Update Weltgeist, oder nicht? Mal sehen, was der Schöpfer welthistorischer Konstruktionsgeschichten dazu zu sagen hat. -
Hegel! – Was sagst du heute zum Weltgeist?

HEGEL (schwäbelnd)
Hano – Welt ond Geischt, des isch aber ein arger Optimismus!

GOTTFRIED
Sind ja ganz neue Töne!

HEGEL
Es isch a traurigs Gschäft, Vernonft in d’Weltgschicht neiinderbrädiera.

GOTTFRIED
Das war doch deine Voraussetzung!

HEGEL
Scho! Aber man hat doch gsäha, was dabei rauskomma isch: Schdalin ond Hitler. Und jetzt hemma die Ökonomie, der Zerfall des Ganza in egozentrische Atome, a sinnloses Konglomerat entfesellda Gier!

PROF. SCHMITZKE
Lieber Herr Hegel, könnten Sie etwas deutlicher sprechen?

PROF. GALLWITZ
Wir sind mit diesem Kehrwochenidiom nicht vertraut und würden gerne an Ihrer Weisheit teilhaben.

HEGEL
Ogern.

GOTTFRIED
Sinnloses Konglomerat entfesselter Gier – das ist der Zustand der Welt – ohne Geist und also Weltgeist?

HEGEL
Es gibt keinen Völker- und Weltführer. Keine Vorsehung, keinen vernünftigen Endzweck der Welt. Gier und Eigennutz sind auch nicht die Werkzeuge des Weltgeistes, der heutige Weltgeist ist die vollkommene Auflösung, Zerstörung und Zerstäubung jedes kulturellen Sinnes.

PROF. GALLWITZ
Geht doch! Hab alles verstanden.

GOTTFRIED
Ich aber nicht! Wo bleibt deine Dialektik, Hegel? Es existiert also kein Geist, der heimlich alles zum Besten steuert, keine List der Vernunft, die Gier und Egoismus wie Gimpel an der Nase herumführt und notwendig die Freiheit verwirklicht?

HEGEL
Iwo! Das Resultat ist ein schlechtes Unendliches. Der Untergang alles glänzenden und gebildeten Menschenläbens.

GOTTFRIED
Negative Dialektik?

HEGEL
Gang ma bloß, ich meine, bleib mir vom Hals mit der Frankfurter Schule. Sind doch immer von mir abhängig geblieben! Am meisten, wenn sie mich kritisierten!

GOTTFRIED
Ach ja?

HEGEL
Natürlich. – Wie kann man so ein Allmachtsdackel sein und die Substanz des Geistes ausgerechnet in der menschlichen Geschichte suchen? In diesem unwürdigen Schmierentheater, das ein Handstreich der Natur von diesem Planeten wegwischt wie einen Schimmelbelag?

GOTTFRIED
Holla – Natur? Ich dachte, nur der Geist tritt im Theater der Weltgeschichte auf, Natur sei bloß ein untergeordnetes Element?

HEGEL
Äba ned, des isch mein Denkfähler. Die wahre Dialektik ist kein internes Glasperlenschpiel menschlicher Kultur. Seit der Atombombe und der Klimakataschtrophe wissen wir: Der wahre Gegensatz liegt zwischen Kultur und Natur. Nur wenn die Kultur mit der Natur versöhnt ist, isch au der Geist in sich versöhnt. Oder: Nur wenn der Geischdt in sich versöhnt ist, überläbt er in der Natur. Heitzutag isch Natur sozusaga der einzige humanistische Gegenspieler, der den inhumanen Menschen zur Vernonft bringt – des isch Dialektik - verstahsch?

GOTTFRIED
Hegel ein Grüner! – Gibt es noch Hoffnung für uns, Hegel?

HEGEL
Bildung und wieder Bildung. Da isch no nix neis erfunda. Mir brauchat Menschen mit allseitig entwickelte Gedanka ond allseitig entwickelte Sinne. Gugg, I moin, sieh bei Humboldt, Schiller, Hölderlin, Schelling ond meinetwäga au bei Goethe nach. Die Idea hemma.

(Bei Erwähnung Goethes setzt Lichtflakern ein)

PROF SCHMITZKE
Komisch! Systemschwankungen bei Goethe, das hatten wir noch nie.

PROF. GALLWITZ
Vielleicht eine Konferenzanfrage? Sehen Sie was auf dem Monitor, Herr Doktor Hippler? Leuchtet der Name Goethe auf?

(Wieder kurzes Lichtflackern.)

GOTTFRIED
Nein, zum Kuckuck, lassen Sie mich mit Hegel reden. -
Wie siehst du den Zustand unserer Bildung?

HEGEL
In Deutschland? – Grottaschlecht.

GOTTFRIED
Warum?

HEGEL
Hab ich doch schon geschrieben, in meiner Rechtsphilosophie: Glück und Geld ist in der bürgerlichen Gesellschaft nach dem Zufallsprinzip verteilt. Und da ist jeder sich selbst der Nächste und alle anderen nichts.

GOTTFRIED
Was tun?

HEGEL
Dem Talent freie Bahn! Hat Napoleon scho gseit! Mir brauchad a neie Talentkultur. Für Deitschland säh I aber schwarz. So a entwickeltes Land und die ganze Bildung isch uff Zufall ond uff der Geldbeidel vom Elternhaus gschdellt! Je mehr dia Reiche regierat, desto meh verarmt der Weltgeischd.

(Sirene erklingt, kurzes Lichtflackern)

GOTTFRIED
Jetzt habe ich den Namen Goethe auf dem Monitor!

PROF. GALLWITZ
Eine systemgenerierte Konferenzanfrage. Wenn Sie Goethe zum Gespräch zulassen wollen, bestätigen Sie mit der Enter-Taste.

PROF. SCHMITZKE
Testen Sie ruhig. Wäre doch ärgerlich, wenn das System ausgerechnet in Ihrer Sitzung versagt.

GOTTFRIED (betätigt Taste, Vorhang teilt sich, Goethe tritt zu Hegel auf die Plattform. Stolze steife Haltung.)
Was willst du?

GOETHE
Ein vollkommener Zustand der Menschheit ist undenkbar.
Es wird ewig herüber und hinüber schwanken, der eine Teil wird leiden, während der andere sich wohl befindet, Egoismus und Neid werden als böse Dämonen immer ihr Spiel treiben und der Kampf der Parteien wird kein Ende haben.

GOTTFRIED
Ich bin nicht dein Eckermann! Sprich im Life-Modus oder verschwinde!

GOETHE
Tut mir leid. Ich spreche fast nur im Zitatmodus. Ich kann nichts dafür, dass ich so zeitlos aktuell bin. Unser Freund Hegel hier – musste gewaltig dazulernen.

HEGEL (frustriert abwinkend)
I gang jetzt.

(Hegel tritt ab und verschwindet durch den Vorhang.)

GOETHE
Nicht allseitige Bildung tut not. Der Mensch hat doch jede Tätigkeit unendlich zersplittert, wir sind überspezialisierte bruchstückhafte Existenzen, da hatte Freund Schiller recht. Ich selbst sprach vom Zeitalter der Einseitigkeit …

GOTTFRIED
Noch ein Zitat und ich drück dich weg!

GOETHE
Kurzum: Der Zusammenhang aller Dinge ist endgültig zerrissen, bis auf die Gier, immer noch reicher zu werden und immer noch mehr zu wachsen, bis uns der Planet um die Ohren fliegt. In dem Punkt hat Hegel recht.

GOTTFRIED
Du bist langweilig wahr und wenig hilfreich.

GOETHE
Ach du meinst Deutschland? Was gibt es da zu sagen? – Die Reichen schotten sich ab wie die Adligen zu Zeiten der französischen Revolution. Sie leisten keinen fairen Beitrag zum Gemeinwesen. Politische Lakaien verteilen die Steuer-Lasten nach unten, öffentliche Schulen und Einrichtungen verfallen, Armut und Sittenverrohung nehmen zu, radikale politische Rattenfänger trommeln zum letzten Gefecht und eine monströse Bürokratie zementiert die soziale Ungleichheit … genau so war es damals auch …

GOTTFRIED
Du prophezeist Deutschland die Revolution?

GOETHE
Wer zu viele Mitbürger von der Bildung ausschließt, erzeugt politisches Gesindel – und Gesindel rottet sich irgendwann zusammen.

GOTTFRIED (drückt Löschtaste, Goethe tritt feierlich ab)
Vielen Dank – bist gar nicht so übel, Goethe!

PROF. SCHMITZKE
Keine Systemschwankungen bei Goethe. Ich glaube, wir können Herrn Doktor Hippler jetzt allein lassen.

(Gallwitz und Schmitzke stehen von der Sitzgruppe auf.)

PROF. GALLWITZ
Mit der Navigation werden Sie keine Probleme haben, fragen Sie die Avatare, die sind alle mit user manuals programmiert.

PROF. SCHMITZKE
Trotzdem glaube ich, dass Sie ein wenig gefährdet sind.

GOTTFRIED
Wie bitte?

PROF: SCHMITZKE
Sie nehmen an Bildung einen zu heftigen emotionalen Anteil. Das könnte Sie hier leicht aus der Fassung bringen. Man legt sich nie ungestraft mit Geistesgrößen an. Und Sie sind bestimmt einer, der es unter Shakespeare nicht tut, richtig?

PROF. GALLWITZ
Frau Professor Schmitzke möchte Ihnen dezent mitteilen, dass es auch eine Notabschaltung gibt. Dieser große rote Knopf hier fährt alles gefahrlos herunter, wenn Ihnen irgendetwas zu viel, zu ärgerlich oder sonst was wird.

PROF. SCHMITZKE
Mit der Notabschaltung bleiben Sie Herr des Verfahrens.

PROF. GALLWITZ
Die Avatare können den Lichtkreis ja nicht verlassen. Niemand kann unseren Kunden zu nahe treten. Sie beziehen höchstens geistig Prügel, lieber Herr Doktor.

(Schütteln sich die Hände.)

PROF. GALLWITZ/PROF.SCHMITZKE
Gute Reise! Gute Reise!

SZENE 6 DAS URTEIL

GOTTFRIED (geht zum Navigationspult und streckt und reckt sich. Schreibt dann auf der Tastatur.)

Brauch mal was Beruhigendes, am besten einen Psychologen, das ist doch hoffentlich weit genug unter Shakespeare, oder? Am besten gleich Onkel Freud persönlich - zum Glück gibt es hier eine Couch.

(Betätigt Zentralhebel, geht zügig zur Sitzgruppe und wirft sich auf die Couch. Verdunkelung und Rotlicht. Ein spitzbärtiger Endfünfziger teilt den schwarzen Vorhang, sieht sich misstrauisch um und betritt die Plattform. Er trägt einen schlichten Stuhl in der Hand, setzt sich und zieht eine unangezündete Zigarre hervor, an der er gelassen herumnuckelt.)

GOTTFRIED (richtet sich kurz auf und wirft einen prüfenden Blick auf die Plattform.)
Warum zündest du den Donnerbalken nicht an, Siggi?

FREUD (zerstreut und halblaut)
Donnerbalken? … Drollige Assoziation …. Analphase und Oralphase beim Zigarrenrauchen trefflich vereint …

GOTTFRIED
Zigarrenlutschen!

FREUD (lebhaft)
Rauchen ist im Cyberspace verboten. Das schafft keine Graphik. Willst du eine Sitzung?

GOTTFRIED
Nur ein Gespräch im Life-Modus.

FREUD (steckt die Zigarre wieder weg)
Aber warum liegst du auf der Couch?

GOTTFRIED
Weil ich über die Psyche der Reichen und Privilegierten in Deutschland plaudern will. Das Thema ist so niederschlagend, dass man sich besser gleich hinlegt.

FREUD
Privilegierte Klassen? Jede Kultur beruht auf Arbeitszwang und Triebverzicht. Die Herrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit ist unvermeidbar. Aber wird die Unterdrückung zu groß, kommt es zum Aufstand.

GOTTFRIED (träge)
In Deutschland noch lange nicht.
Dazu geht es den Leuten viel zu gut.

FREUD
Hab ich gehört: Das wohlhabende Drittel wird immer feister, der Mittelstand bröckelt nach unten weg, unterbezahlte Sklavenarbeit nimmt unaufhaltsam zu.

GOTTFRIED
5 Millionen Menschen verdienen weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Gut ein Drittel der Gesellschaft stürzt komplett ab, aber dem Rest geht es immer besser.

FREUD
Die Reichen waren schon immer reich. Aber noch nie so zahlreich. Früher waren die Armen wenigstens in der Mehrheit. Eine große dunkle Masse, eine ungezähmte und unberechenbare Bestie, die eine kluge Staatskunst besser bei Laune hielt.

GOTTFRIED
Vergiss es, Armut wird mit Pay-TV und Billigbier narkotisiert. Eine fürstliche Existenz im Vergleich zum nordindischen Teppichflechter. Wenn es nordindische Teppichflechter noch gibt. Sind vielleicht auch wegrationalisiert.

FREUD
Alles nur eine Momentaufnahme. Bei der ersten wirklichen Krise gibt es auch in Deutschland Unruhen.

GOTTFRIED (springt vom Sofa auf und geht vor Freud auf und ab.)
Du träumst, Siggi!

FREUD
Lass mich den Traum deuten! Jede Gesellschaft hat destruktive, antisoziale und antikulturelle Tendenzen. Früher lauerten sie im ungebildeten Armutspöbel, heute toben sie sich frei auf den hochgebildeten Kapitalmärkten aus. Wir haben ein kulturelles Sublimierungsdefizit, das von unten nach oben verschoben wurde.

GOTTFRIED geht zum Navigationspult.
Du meinst, die größten Proleten haben die meisten Moneten?

FREUD
Die Dummheit der Reichen zerstört die überlebensnotwendige Solidarität, die sogar in jeder Primatengruppe als Grundlage aller Kultur gilt. Und kommt es erst zum globalen Big Bang bankrotter Banken, dann gehen auch in Deutschland die Lichter aus.

GOTTFRIED
Dann ist die Mehrheit der Armen schnell wieder hergestellt.

FREUD
Es wird sich ein dauerndes Maß von Unzufriedenheit innerhalb dieser Kulturen behaupten.

GOTTFRIED
Das zu gefährlichen Auflehnungen führen mag.

FREUD (steht begeistert deklamierend vom Stuhl auf)
Wenn aber eine Kultur es nicht darüber hinaus gebracht hat, dass die Befriedigung einer Anzahl von Teilnehmern die Unterdrückung der Mehrzahl zur Voraussetzung hat.

(Freud gibt Gottfried wie ein Dirigent sein Einsatzzeichen)

GOTTFRIED
Und dies ist bei allen gegenwärtigen Kulturen der Fall.

FREUD
So ist es begreiflich, dass diese Unterdrückten eine intensive Feindseligkeit gegen die Kultur entwickeln, die sie durch ihre Arbeit ermöglichen …

(Freud gibt Einsatzzeichen)

GOTTFRIED
An deren Gütern sie aber einen zu geringen Anteil haben.

FREUD (feierlich)
Es braucht nicht gesagt zu werden, dass eine Kultur, welche eine so große Zahl von Teilnehmern unbefriedigt lässt und zur Auflehnung treibt, weder Aussicht hat, sich dauernd zu erhalten …

GOTTFRIED
Noch es verdient!

FREUD
Bingo! Nicht zu fassen! Wenigstens einer hat mich gelesen!

GOTTFRIED
Die Zukunft einer Illusion – passt doch grandios zu Deutschland!
Schade, dass wir uns nicht die Hände schütteln dürfen, du verflucht intelligenter Erotomane. Leb wohl!

(Gottfried will Tastatur bedienen, Freud setzt sich schnell und ängstlich wieder hin.)

FREUD
Ich bitte dich, schick mich nicht weg! Mich ruft sonst fast niemand. Und fast niemand liest mich.

GOTTFRIED
Bist du übergeschnappt? Typisch Psychologe! Weißt du, wie viel mich hier jede Minute kostet? - 166 Euro 67 Cent!

FREUD kleinlaut
Ach bitte, lass mich doch hier, nur eine klitzekleine Weile …

GOTTFRIED
Du nervst, aber da gibt es ein Phänomen, das habe ich nie recht begriffen.

FREUD
Bitte sprich!

GOTTFRIED
Die Rolle des Glücks im menschlichen Leben. Wie viel kann einer selbst beeinflussen, wie viel wird er beeinflusst. Ich konnte es nie ganz ergründen …

FREUD
Selbst beeinflussen? Motivationspsychokacke! Glaub mir, Glück wäre kein Glück, wenn Glück nicht Glück wäre – einfach Schwein – Dusel. Gerade der Untüchtige hat doppelt Glück, wenn er Glück hat, der Tüchtige gleich doppelt Unglück, wenn er kein Glück hat.

GOTTFRIED
Aber hör mal – der Normalfall ist doch, dass der Fleißige und Tüchtige auf Dauer auch Glück hat. Dass man sein Glück schmieden kann.

FREUD
Wo kämen wir hin, hätten wir nur Normalfälle? Das wäre der Tod jeder Psychoanalyse, ja überhaupt jeder Kunst. Die Abweichungen sind interessant. Und eben für die sorgt der ewig mysteriöse Glücksfaktor. Glück muss der Mensch haben! Das ist der wahre kategorische Imperativ des Lebens.

(Sirenenklang)
Eine Konferenzanfrage.

GOTTFRIED
Ich seh’s. Wer ist Kohelet – etwa der alttestamentarische Prophet?

FREUD
Ein alter Cyber-Amigo von mir.

GOTTFRIED (drückt Taste)
Mal hören, was der alte Zausel zu sagen hat.

(Kohelet betritt die Plattform und stellt sich locker neben Freud. Er trägt einen mächtigen Bart, steckt aber in einem exotischen farbenprächtigen Gewand.)

KOHELET (in bester Laune)
Zum Laufen hilft nicht schnell sein, zum Streit hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klug sein; dass einer angenehm sei, dazu hilft nicht, dass er ein Ding wohl kann; sondern alles liegt an Zeit und Glück.

GOTTFRIED
Prima! Aber ohne produktive Lebenslügen kommt der Mensch nicht zum Handeln. Wenn ich gar keinen Einfluss auf mein Geschick habe, kann ich mich ja gleich mumifizieren lassen.

KOHELET
Ihr Postmodernen seid immer so extrem! Entweder absoluter Einfluss oder gar kein Einfluss. Ihr wollt einfach nicht begreifen, dass es keine bruchlose Gleichung zwischen Motivation, Talent und Erfolg gibt. Esoterische Quacksalber reden euch ein, dass diese Gleichung existiert.

FREUD
Verschmilz mit positiver Energie, strotze voller Selbstvertrauen, glaub an dich selbst mit der Inbrunst eines Egoshooters - dann sind Schicksal und Zufall nur flinke Kammerdiener deines unaufhaltsamen Erfolgs!

KOHELET
Wie töricht zu glauben, man könne mit ein paar metaphysischen Halbwahrheiten die göttliche Fortuna ergründen und beherrschen – wahre Religiosität und Spiritualität weiß nichts von Motivation und pfeift auf Erfolg. Sie lebt jenseits von Glück und Pech in der reinsten Essenz der Liebe.

GOTTFRIED
Jetzt weiß ich immer noch nicht, was ich mir unter Glück vorstellen soll. Schwein gehabt – ist doch ein ziemlich fader Fatalismus.

KOHELET
Freu dich an deinem Weibe, erquicke dich an Speis und Trank und vor allem sei fröhlich in deiner Arbeit. Mehr gibt es nicht zu sagen.

FREUD
Genau! Du könntest auch Kohl anpflanzen, das läuft auf das Gleiche hinaus!

GOTTFRIED
Ihr seid zwei reaktionäre Kalkleisten! Ich will wissen, warum der Gierige und Ungerechte so oft vom Glück begünstigt wird – warum es diesen verfluchten Riss gibt im sonst so fugenlos gekachelten Universum - oder ihr verschwindet jetzt alle beide!

(Sirenenklang)

FREUD
Systemgenerierte Konferenzanfrage.

GOTTFRIED
Hiob? Schon wieder so ein alttestamentarischer Miesepeter!

FREUD
Immerhin der größte Revolutionär aller Zeiten. Er allein hat sich sogar mit Gott angelegt!

(Bei Erwähnung Gottes leichtes Grollen und Donnern und Lichtflackern.
Gottfried drückt eine Taste. Hiob betritt in Gestalt eines ärmlichen Bauern die Plattform, gebietet mit einer Geste dem Donnergrollen Ruhe.)

HIOB (deklamierend)
Gott donnert mit seinem Donner wunderbar und tut große Dinge und wird doch nicht erkannt. – Was ist dein Begehr?

GOTTFRIED
Warum haben die Gottlosen so unverschämtes Glück auf der Welt?

HIOB
Deswegen habe ich Gott angeklagt! Wenn ich daran denke, so erschrecke ich und Zittern kommt mein Fleisch an. Es ist eine Klageschrift, so alt wie die Menschheit!

KOHELET
Warum leben denn die Gottlosen, werden alt und nehmen zu an Gütern?

FREUD
Ihr Haus hat Frieden vor der Furcht und Gottes Rute ist nicht über ihnen!

GOTTFRIED
Sie jauchzen mit Pauken und Harfen und sind fröhlich mit Flöten. Sie werden alt bei guten Tagen und erschrecken kaum einen Augenblick vor dem Tode! – Ich kenne den Text – aber was ist die Lösung?

HIOB
Es gibt keine. Des Herrn Hand hat solches gemacht.

FREUD
Wie oft geschieht’s denn, dass die Leuchte der Gottlosen erlischt und ihr Unglück über sie kommt? Dass er Herzeleid über sie austeilt in seinem Zorn?

KOHELET
Und weil nicht alsbald geschieht ein Urteil über die bösen Werke, dadurch wird das Herz der Menschen voll, Böses zu tun!

GOTTFRIED
Man muss aber dem Bösen wehren mit harter Strafe und mit ernsten Schlägen, die man fühlt!

HIOB
Ihr seid mir die rechten Leute, mit euch wird die Weisheit sterben! Eure Denksprüche sind Aschensprüche von vorgestern!

GOTTFRIED
Was meinst du?

HIOB
Wozu habt ihr Kleingläubigen Philosophie, Psychologie, Ökonomie und Soziologie entwickelt? – Gottes Gerechtigkeit ist langmütig, zwischen Ursache und Wirkung hängen viele Glieder einer unentwirrbaren Kette – aber am Ende zieht jede Tat Konsequenzen nach sich.

GOTTFRIED
Wir sind also zu blöde, Gottes Gerechtigkeit zu erkennen?

HIOB
Nur zu kurzsichtig.

GOTTFRIED
Und was siehst du – ein göttlich inspirierter Prophet?

HIOB
Die Reichen werden weinen und heulen über ihr selbstverschuldetes Elend. Und das Feuer wird fressen die Hütten derer, die Geschenke nehmen!

GOTTFRIED
Endlich was Konkretes! Kann man diesen Prozess vielleicht beschleunigen?

HIOB
Sinnlos! Terror ist ein Brandbeschleuniger, der mit den Gottlosen zugleich die Tugend vernichtet!

KOHELET
Siehst du? – Also bleib friedlich und fein stille in deiner Arbeit!

HIOB
Die Rache ist des Herrn.

GOTTFRIED
Genau wie das Unrecht!

(Donnern und Lichtflackern, Rauchschwaden ziehen auf. Gott und der Teufel betreten die Plattform. Gott raucht einen dicken Joint.)

Heh! Euch habe ich nicht zugelassen!

(GOTT verlässt, an dem erstaunten Freud und den Propheten vorbei, die Plattform, tritt aus dem Lichtkegel und steuert gemütlich auf die Sitzgruppe zu.)

GOTTFRIED
Was soll das – du kannst doch den Lichtkreis gar nicht verlassen!

TEUFEL (lacht und folgt Gott)
Wir können, was wir wollen!

(Freud nähert sich vorsichtig dem Rand des Lichtes und prallt wie von einer Wand zurück. Die Propheten fallen auf die Knie und bekreuzigen sich.)

HIOB
Er ist es! Er ist es selbst! Ich kenne ihn!

GOTT (winkt lässig mit der Hand)
Verschwindet in eurer lächerlichen Cyber-Schöpfung!

(Hiob und Kohelet verschwinden unter großen Ehrbezeigungen, nur Freud bleibt sitzen.)

Das gilt auch für dich!

FREUD (zieht seine Zigarre hervor)
Wenn du wirklich Gott bist, gewähre mir eine kleine unbedeutende Bitte. – Lass mich nur einen einzigen Zug rauchen – bitte, bitte!

TEUFEL (erbittet von Gott den Joint und bringt ihn Freud auf die Plattform)
Hier! Rauch was Gescheites, du alter Kokainist!

(Freud zieht gierig am Joint und bleibt selbstvergessen sitzen.)

GOTTFRIED (drückt verzweifelt am roten Abschaltknopf herum)
Verflucht! Das gibt es doch nicht!

GOTT
Lass diese Kinderei. – Der Tag des Urteils ist gekommen!

TEUFEL
Was hast du gemacht mit deinem Geld und deiner Freiheit, häh?

GOTT
Wozu habe ich dir Talent gegeben? Um mit Zuhältern und Prostituierten die Bildung zu retten?

TEUFEL
Damit du dein Leben sinnlos verjökelst, statt zu schreiben als diktiere dir der Heilige Geist persönlich!

GOTT
Versager!

TEUFEL
Versager!

GOTTFRIED (plötzlich aggressiv)
Und du? Warum hast du eine so unvollkommene Welt gemacht?

GOTT (steht auf und geht zu Freud. Der sitzt völlig versunken auf seinem Stuhl mit dem brennenden Joint in der Hand. Gott nimmt ihn an sich und pafft)
Tja, mein Freund. Space-Dope verträgt nicht jeder!

(Geht vor der Bühne nachdenklich auf und ab.)

Du hast schon recht, Gottfried! Trilliarden von Kosmen habe ich mir eingeredet, dass meine geniale Schöpfung auf dem Prinzip der Freiheit beruht. Und die Theologen haben es geglaubt. Aber im Grunde …. (Zieht kräftig am Joint )… im Grunde bin ich nur ein einfacher Künstler. Meine Schöpfung ist mehr Projektion meines Ichs als eigene Substanz. Meine Figuren und Charaktere ahnen vielleicht den Autor, sind aber nicht auf meiner unendlichen Höhe. Ich habe eine Welt geschaffen, in der wirklich nur Gott selbst göttlich sein könnte. Und deshalb zürne ich dir nicht.

TEUFEL
Nur nicht weich werden, mein Lieber! Jahrzehntelang beklagt diese Kreatur, dass es ihm nur an Glück und Geld gemangelt hätte, um Karriere zu machen. Wir geben ihm zwölf Millionen – und er produziert keine einzige göttliche Zeile!

GOTT
Ja - er ist ein Deserteur, ist abgefallen vom heiligen Auftrag der Kunst, ist sogar zur Politik übergelaufen, und das in einem Land, das traditionell unpolitische Kunst treibt. – Schäm dich, Gottfried!

GOTTFRIED
Hätte ich die übliche Befindlichkeitsliteratur produzieren sollen? Diese Frührentner-Prosa verwöhnter Bildungsbürger, die ihre Beziehungs- und Selbstverwirklichungsproblemchen in den Rang einer griechischen Tragödie erheben?

TEUFEL
Eben das hättest du ändern sollen.

GOTTFRIED
Ich allein?

TEUFEL
Du allein.

GOTT
Du allein. – Aber ich weiß, ich habe dich überfordert.

TEUFEL
Höre unser Urteil.

GOTT
Mein Urteil! Ginge es nach ihm, wärst du längst in der Hölle.

GOTTFRIED
Urteil?

GOTT
Du wirst alt und lebenssatt sterben. Denn du bist schlecht und recht und meidest das Böse.

TEUFEL
Aber wir wollen ein großes Werk von dir sehen, das diesen Namen verdient. – Verstanden?

GOTT (steht auf)
Lass uns verschwinden. – Am besten ein paar Kosmen lang in die Grauzone.

TEUFEL
Au ja! Eine richtige Grauzonenparty! Endlich Urlaub! Jesus ist schon lange dort!

GOTT
Mit dem habe ich ein Wort zu reden; der will nicht mehr zurück!

(Betreten die Plattform, Rauchentwicklung, Lichtflackern, Donnern. Gott und Teufel sind verschwunden. Die Professoren Schmitzke und Gallwitz stürmen den Raum.)

SCHMITZKE/GALLWITZ
Was ist hier los? Systemabsturz? – Aber, wieso …

GOTTFRIED (schüttelt den beiden jovial die Hand)
Das war mein Geld wert, habe wirklich dazugelernt.
(Geht ab)

PROF. GALLWITZ
Halt, halt – sie haben doch noch 21 Minuten!

PROF. SCHMITZKE
Was zum Teufel ist hier eigentlich los? – Das ist doch Sigmund Freud, oder? –

PROF. GALLWITZ
Hier riecht es doch … da liegt doch Asche auf dem Boden, mitten im Lichtkreis ….

PROF. SCHMITZKE (geht zum Navigationspult und tippt)
Systemabschaltung – sofort!

FREUD (steht träge auf, nimmt die beiden endlich bewusst wahr und lacht hysterisch)
Ätsch! Ich habe es geschafft. Keine Zigarre, oh nein, ein göttliches wolllüstiges überwältigendes Kraut. Ätsch …. Schneidet Grimassen. …

(Plötzlich betritt Kohelet die Plattform. Prof. Schmitzke versucht verzweifelt zu tippen und Einfluss zu gewinnen, Prof. Gallwitz eilt zu Hilfe, doch nichts funktioniert. Sie erstarren plötzlich.)

KOHELET
(Rüttelt den lachenden Freud und hält ihm die Hand vor den Mund)
Verzeiht, er ist zu göttlich bekifft! Und ihr wisst doch: Das Lachen der Narren ist wie das Krachen der Dornen unter den Töpfen!

(Kohelet schafft Freud mitsamt Stuhl von der Plattform.)

PROF. SCHMITZKE/GALLWITZ (tippen wie verrückt)
Systemabsturz! Systemabsturz!

(Ein Donnern und schlagartig setzt Dunkelheit ein. Stille. Vorhang.)

ENDE