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Zitate: ÄsthetikDie Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt und in der er alle BESTIMMTEN Gefühle zurücklässt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben. --- Kunst kommt von Können! Weiß nicht, was echte Künstler sollen Ludwig Fulda Denn Eines ist es, was in allem Leiden Thomas Mann (Aus dem Gedicht „Nur Eins“ (1898) AN DAS PUBLIKUM O hochverehrtes Publikum, So dumm, dass in Zeitungen, früh und spät, Ja dann … --- Wer dort einen Zusammenhang sucht, wo es ihn nicht gibt, wo das Gedicht den unerklärlichen und irrationalen Läufen und Sprüngen der Gedanken folgt, wird meine Technik unmöglich verstehen, bei der ich voneinander völlig unabhängige Elemente aneinandersetze. In einem Gedicht streben die Sätze auseinander. Sie konzentrieren sich nicht … --- Vielen Trug verstehen wir zu sagen, als wäre es Wahrheit, doch können wir, wenn wir es wollen, auch Wahrheit verkünden. Gesegnet ist, wen die Musen lieben; süß strömt ihm die Rede vom Munde. Das Gefühl, das warme, herzliche Gefühl ist immer banal und unbrauchbar, und künstlerisch sind bloß die Gereiztheiten und kalten Ekstasen unseres verdorbenen, unseres artistischen Nervensystems. Es ist nötig, dass man irgendetwas Außermenschliches und Unmenschliches sei, dass man zum Menschlichen in einem seltsam fernen und unbeteiligten Verhältnis stehe, um imstande und überhaupt versucht zu sein, es zu spielen, damit zu spielen, es wirksam und geschmackvoll darzustellen. Die Begabung für Stil, Form und Ausdruck setzt bereits dies kühle und wählerische Verhältnis zum Menschlichen, ja, eine gewisse menschliche Verarmung und Verödung voraus. Denn das gesunde und starke Gefühl, dabei bleibt es, hat keinen Geschmack. Es ist aus mit dem Künstler, sobald er Mensch wird und zu empfinden beginnt. Ein Gedanke als solcher wird nie viel Eigen- und Besitzwert haben in den Augen des Künstlers. Worauf es ihm ankommt, ist seine Funktionsfähigkeit im geistigen Getriebe des Werkes. Die Sexualität führt zu nichts. Sie ist nicht unmoralisch, sondern sie ist unproduktiv. Man kann sich ihr während der Zeit hingeben, in der man nichts hervorzubringen sucht. Aber nur die Keuschheit ist mit einem persönlichen Fortschritt verbunden. Die Angst von heute kommt immer vor der Angst von morgen. Es ist die Basis der dramatischen Wirkung, dass der Teil größer ist als das Ganze. Wenn man einen berühmten Filmstar in einem Film in großer Gefahr sieht, dann teilt man die Angst mit ihm, gefühlsmäßig. Trotzdem weiß ja der logische Verstand, dass es der Star des Filmes ist und dass ihm nichts Schlimmes geschehen darf. Wenn Spannung und Bedrohung nicht stärker wären als der Verstand, dann gäbe es kein Drama. Wer ein Buch schreiben will, muss viel zu sagen haben: meistens mehr, als er hat. Jeder Schriftsteller sollte die Nessel Wirklichkeit fest anfassen; und uns Alles zeigen: die schwarze schmierige Wurzel; den giftgrünen Natternstengel; die prahlende Blume(nbüchse). Das Verlässlichste sind Naturschönheiten. Dann Bücher; dann Braten mit Sauerkraut. Alles andere wechselt und gaukelt. Ein wirklich großer Schriftsteller will nicht schreiben. Er will, dass die Welt ein Ort ist, wo er ein Leben der Imagination führen kann. Das Wehgeschrei der geschlagenen Menschheit können die Exekutoren nicht ertragen. Wie in Folterklammern Schallplatten aufgelegt werden, um das Brüllen der Gequälten zu übertönen, so wird das dumpfe Grollen der Wahrheit mit dem billigen Radau der so genannten humanistischen Literatur unterdrückt. Die höchste Aufgabe einer jeden Kunst ist, durch den Schein die Täuschung einer höheren Wirklichkeit zu geben. Ein falsches Bestreben aber ist, den Schein so lange zu verwirklichen, bis endlich nur ein gemeines Wirkliche übrig bleibt. Und das ist eben die wahre Idealität, die sich realer Mittel so zu bedienen weiß, dass das erscheinende Wahre eine Täuschung hervorbringt als sei es wirklich. Ein gutes Kunstwerk kann und wird zwar moralische Folgen haben, aber moralische Zwecke vom Künstler fordern, heißt ihm sein Handwerk verderben. Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, dass sie, als ein weltliches Evangelium, durch innere Heiterkeit, durch äußeres Behagen, uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der uns anhängt, in höhere Regionen, und lässt die verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen. Die muntersten wie die ernstesten Werke haben den gleichen Zweck, durch eine glückliche geistreiche Darstellung so Lust als Schmerz zu mäßigen. Man spricht immer von Originalität, allein was will das sagen! Sowie wir geboren werden, fängt die Welt an, auf uns zu wirken und das geht so fort bis ans Ende. Und überall! Was können wir denn unser Eigenes nennen, als die Energie, die Kraft, das Wollen! – Wenn ich sagen könnte, was ich alles großen Vorgängern und Mitlebenden schuldig geworden bin, so bliebe nicht viel übrig. Wir sprachen darauf über Ästhetiker, welche das Wesen der Poesie und des Dichters durch abstrakte Definitionen auszudrücken sich abmühen, ohne jedoch zu einem klaren Resultat zu kommen. Welche Möglichkeit hat die Kunst, wenn der Menschentyp, den darzustellen sie nie müde geworden ist (der tragische), nicht mehr existiert. Der Held der Tragödie ist der sich selbst hervor- und zu Fall bringende Mensch. Der Mensch heute jedoch passt sich nur noch an. Auschwitz Der Schriftsteller, der sich "über die Schicksale beugt", das heißt der verlogene Schriftsteller, der moralisierende Schriftsteller, der tendenziöse Schriftsteller. Ein authentischer Ton kommt dagegen immer aus der Schwere des Schicksals, von einem vom Schicksal Heimgesuchten und nicht von einem, der zwischen den Schicksalen wählt. Sehr oft ist das Erzählen nur ein Substitut für Genüsse, die wir selbst oder der Himmel uns versagen. Mittelmäßig zu sein haben weder die Menschen, noch die Götter, noch die Ausstellungspfeiler den Dichtern erlaubt. "Das Geheimnis der Langeweile ist das Bestreben, alles sagen zu wollen." "Alle Wahrheit ist letzten Endes symbolisch." Wodurch schildert Homer so viel anschaulicher als alle Dichter? Weil er um so viel mehr anschaut. Wir reden über Poesie so abstrakt, weil wir alle schlechte Dichter zu sein pflegen. Im Grunde ist das ästhetische Phänomen einfach; man habe nur die Fähigkeit, fortwährend ein lebendiges Spiel zu sehen und immerfort von Geisterscharen umringt zu leben, so ist man Dichter; man fühle nur den Trieb, sich selbst zu verwandeln und aus anderen Leibern und Seelen herauszureden, so ist man Dramatiker. Jeder prüfe wohl, ob er auch wirklich das geschaut, was er zu verkünden unternommen, ehe er es wagt, laut damit zu werden. Wenigstens strebe jeder recht ernstlich danach, das Bild, das ihm im Innern aufgegangen recht zu erfassen mit allen seinen Gestalten, Farben, Lichtern und Schatten, und dann, wenn er sich recht entzündet davon fühlt, die Darstellung ins äußere Leben zu tragen. Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl; ist denn das allemal im Buche? Solche Werke sind Spiegel: wenn ein Affe hineinguckt, kann kein Apostel heraussehen. ... wer sich an der deutschen Sprache versündigt hat, der hat das Mysterium aller unserer Deutschheit entweiht: sie allein hat durch alle die Mischung und den Wechsel von Nationalitäten und Sitten hindurch sich selbst, und damit den deutschen Geist, wie durch einen metaphysischen Zauber gerettet. Ist einst keine Religion mehr und jeder Tempel der Gottheit verfallen oder ausgeleert, dann wird noch im Musentempel der Gottesdienst gehalten werden. Denn wenn es hart ist, der Liebe eines Weibes zu entsagen, so ist die Empfindung nicht weniger schmerzlich, von dem Umgange der Musen sich loszureißen, sich ihrer Gemeinschaft auf immer unwürdig zu erklären und auf den schönsten und nächsten Beifall, der unsrer Person, unserm Betragen, unsrer Stimme öffentlich gegeben wird, Verzicht zu tun. ... die Reichsunmittelbarkeit der Poesie, d.h. das Recht, zu jeder Zeit, auch im Zeitalter des Fracks und der Eisenbahnen, an das Parabelhafte, das Fabelmäßige ohne weiteres anzuknüpfen, ein Recht, das man sich nach meiner Meinung durch keine Kulturwandlungen nehmen lassen soll. Was aber hat es zu bedeuten, dass dort der Mensch Schmerz empfinden will bei dem Anblick trauriger und tragischer Dinge, die er doch niemals selbst erdulden möchte? Und dennoch will der Zuschauer von ihnen Schmerz erdulden, und eben der Schmerz ist seine Lust. Was ist das anders als ein Wahnsinn voller Leiden? Mag jeder tragen was er kann, jedoch nur nicht das Maß seiner Kraft für die Norm dessen halten, was dem menschlichen Geist überhaupt geboten werden darf. Es gibt aber sonst ganz wackre Leute, die so schwerfälliger Natur sind, dass sie den raschen Flug der erregten Einbildungskraft irgend einem krankhaften Seelenzustande zuschreiben zu müssen glauben und daher kommt es, dass man von diesem, von jenem Dichter bald sagt, er schreibe nie anders, als berauschende Getränke genießend, bald seine fantastischen Werke auf Rechnung überreizter Nerven und daher entstandenen Fiebers setzt. Wer weiß es denn aber nicht, dass jeder auf diese Weise erregter Seelenzustand zwar einen glücklichen genialen Gedanken, nie aber ein in sich gehaltenes geründetes Werk erzeugen kann, das eben die größte Besonnenheit fordert. Sonst war es üblich, ja Regel, alles was nur Märchen hieß, ins Morgenland zu verlegen und dabei die Märchen der Schehezerade zum Muster zu nehmen. Die Sitten des Morgenlandes nur eben berührend, schuf man sich eine Welt, die haltlos in den Lüften schwebte und vor unseren Augen verschwamm. Deshalb gerieten aber jene Märchen meist frostig, gleichgültig und vermochten nicht den innern Geist zu entzünden und die Fantasie aufzuregen. Ich meine, dass die Basis der Himmelsleiter, auf der man hinaufsteigen will in höhere Regionen, befestigt sein müsse im Leben, so dass jeder nachzusteigen vermag. Befindet er sich dann immer höher und höher hinaufgeklettert, in einem fantastischen Zauberreich, so wird er glauben, dies Reich gehöre auch noch in sein Leben hinein, und sei eigentlich der wunderbar herrlichste Teil desselben. Es ist ihm der schöne prächtige Blumengarten vor dem Tore, in dem er zu seinem hohen Ergötzen lustwandeln kann, hat er sich nur entschlossen, die düstern Mauern der Stadt zu verlassen. --- Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks (1936; publiziert 1950), Stuttgart 1960: Das Werk entspringt nach der gewöhnlichen Vorstellung aus der und durch die Tätigkeit des Künstlers. Wodurch aber und woher ist der Künstler das, was er ist? Durch das Werk; denn, dass ein Werk den Meister lobe, heißt: das Werk erst lässt den Künstler als einen Meister der Kunst hervorgehen. Der Künstler ist der Ursprung des Werkes. Das Werk ist der Ursprung des Künstlers. Keines ist ohne das andere. Gleichwohl trägt auch keines der beiden allein das andere. Künstler und Werk sind je in sich und in ihrem Wechselbezug durch ein Drittes, welches das erste ist, durch jenes nämlich, von woher Künstler und Kunstwerk ihren Namen haben, durch die Kunst. (7) Die Werke sind so natürlich vorhanden wie Dinge sonst auch. Das Bild hängt an der Wand wie ein Jagdgewehr oder ein Hut. Ein Gemälde, z.B. jenes von van Gogh, das ein paar Bauernschuhe darstellt, wandert von einer Ausstellung in die andere. Die Werke werden verschickt wie die Kohlen aus dem Ruhrgebiet und die Baumstämme aus dem Schwarzwald. Hölderlins Hymnen waren während des Feldzugs im Tornister mitverpackt wie das Putzzeug. Beethovens Quartette liegen in den Lagerräumen des Verlagshauses wie die Kartoffeln im Keller. (9) Das römische Denken übernimmt die griechischen Wörter ohne die entsprechende gleichursprüngliche Erfahrung dessen, was sie sagen, ohne das griechische Wort. Die Bodenlosigkeit des abendländischen Denkens beginnt mit diesem Übersetzen. (14f.) Viel näher als alle Empfindungen sind uns die Dinge selbst. Wir hören im Haus die Tür schlagen und hören niemals akustische Empfindungen oder auch nur bloße Geräusche. Um ein reines Geräusch zu hören, müssen wir von den Dingen weghören, unser Ohr davon abziehen, d.h. abstrakt hören. (18) Im Werk der Kunst hat sich die Wahrheit des Seienden ins Werk gesetzt. (30) Gerade in der großen Kunst, und von ihr allein ist hier die Rede, bleibt der Künstler gegenüber dem Werk etwas Gleichgültiges, fast wie ein im Schaffen sich selbst vernichtender Durchgang für den Hervorgang des Werkes. (35) Wohin gehört ein Werk? Das Werk gehört als Werk einzig in den Bereich, der durch es selbst eröffnet wird. (37) Werksein heißt: eine Welt aufstellen. (40) Welt ist das immer Ungegenständliche, dem wir unterstehen, solange die Bahnen von Geburt und Tod, Segen und Fluch uns in das Sein entrückt halten. Wo die wesenhaften Entscheidungen unserer Geschichte fallen, von uns übernommen und verlassen, verkannt und wieder erfragt werden, da weltet die Welt. Der Stein ist weltlos. Pflanze und Tier haben gleichfalls keine Welt; (...) Indem eine Welt sich öffnet, bekommen alle Dinge ihre Weile und Eile, ihre Ferne und Nähe, ihre Weite und Enge. Im Welten ist jene Geräumigkeit versammelt, aus der sich die bewahrende Huld der Götter verschenkt oder versagt. Auch das Verhängnis des Ausbleibens des Gottes ist eine Weise, wie Welt weltet. (41) Die Farbe leuchtet auf und will nur leuchten. Wenn wir sie verständig messend in Schwingungszahlen zerlegen, ist sie fort. Sie zeigt sich nur, wenn sie unentborgen und unerklärt bleibt. Die Erde lässt so jedes Eindringen in sie an ihr selbst zerschellen. Sie lässt jede nur rechnerische Zudringlichkeit in eine Zerstörung umschlagen. (43) Das Werkschaffen verlangt aus sich das handwerkliche Tun. Die großen Künstler schätzen das handwerkliche Können am höchsten. Sie zuerst fordern seine sorgfältige Pflege aus der vollen Beherrschung. Sie vor allen anderen mühen sich um die stets neue Durchbildung im Handwerk. (58) An welchem Leitfaden, wenn nicht an dem des Handwerkes, sollen wir dann das Wesen des Schaffens denken? Wie anders als aus dem Hinblick auf das zu Schaffende, auf das Werk? Obwohl das Werk erst im Vollzug des Schaffens wirklich wird und so in seiner Wirklichkeit von diesem abhängt, wird das Wesen des Schaffens vom Wesen des Werkes bestimmt. Wenngleich das Geschaffensein des Werkes zum Schaffen einen Bezug hat, so muss dennoch auch das Geschaffensein so wie das Schaffen aus dem Werksein des Werkes bestimmt werden. (59f.) Je einsamer das Werk, festgestellt in die Gestalt, in sich steht, je reiner es alle Bezüge zu den Menschen zu lösen scheint, um so einfacher tritt der Stoß, dass solches Werk ist, ins Offene, um so wesentlicher ist das Ungeheure aufgestoßen und das bislang geheuer Scheinende umgestoßen. (67) --- Womit kennzeichnet sich jede literarische décadence? Damit, dass das Leben nicht mehr im Ganzen wohnt. Das Wort wird souverän und springt aus dem Satz heraus, der Satz greift über und verdunkelt den Sinn der Seite, die Seite gewinnt Leben auf Unkosten des Ganzen - das Ganze ist kein Ganzes mehr. Aber das ist das Gleichnis für jeden Stil der décadence: jedes Mal Anarchie der Atome, Disgregation des Willens, "Freiheit des Individuums", moralisch geredet - zu einer politischen Theorie erweitert "gleiche Rechte für alle". Das Leben, die gleiche Lebendigkeit, die Vibration und Exuberanz des Lebens in die kleinsten Gebilde zurückgedrängt, der Rest arm an Leben. Überall Lähmung, Mühsal, Erstarrung oder Feindschaft und Chaos: beides immer mehr in die Augen springend, in je höhere Formen der Organisation man aufsteigt.. Das Ganze lebt überhaupt nicht mehr: es ist zusammengesetzt, gerechnet, künstlich, ein Artefakt. Die Poesie darf nicht der Ausdruck des Jammers sein, ein Goldglanz der Versöhnung muss schon über den Dingen liegen, da sie diese behandelt. Die Kunst hat nicht die Aufgabe, die Menschen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit zu belehren, sondern sie hat die einzige Aufgabe, ihnen das Schöne vorzuführen. Niemand muss nüchterner in die Welt hineinsehen als ein ernster Romanschreiber. Das Wesen des Essay besteht darin, in knappster Form, zugleich unter Geltendmachen allgemeiner Gesichtspunkte, eine Gestalt oder eine Frage nicht losgelöst von ihrer Umgebung, sondern im Zusammenhang mit dieser zu betrachten, mit anderen Worten: bei Behandlung des Teiles zugleich einen Blick auf das Ganze zu werfen ... Der Essay, wie er die Gabe erheischt, die Einzelheiten im Zusammenhange mit dem Ganzen zu erblicken, erheischt vor allem auch Esprit und Stil. Ein Werk ist um so stilvoller, je objektiver es ist, das heißt je mehr nur der Gegenstand selbst spricht, je freier es ist von zufälligen oder wohl gar der darzustellenden Idee widersprechender Eigenheiten und Angewöhnungen des Künstlers. Wenn es nämlich einerseits auch wahr ist, dass "nur zum Herzen geht, was vom Herzen kommt", so gibt es doch auch glückliche Einfälle, gute Griffe und Würfe, auf denen man ein Goldstück gewinnt, auch wenn der Herzenseinsatz keinen Kupferdreier Wert hatte. Aber gerade das relativ Vollkommene gibt uns das traurige heidnische Gefühl der wie ein Ring sich in sich selbst schließenden Menschheit, während ein realistisch behandeltes Werk, das, jener lächelnden und selbstgenügsamen Idealität ermangelnd, leidende Körper und ringende Geister zeigt, uns, durch den Gegensatz unserer Gebrechen auf die erlösende himmlische Vollkommenheit hinweist. Wo die Kunst die Leidenschaft reinigt, das heißt der Mensch sich selbst beruhigt und begnügt, entsteht die Vorstellung einer trügerischen Einheit, während wir (und so photographiert uns auch die realistische Kunst) doch so gründlich zwiespältig und nur durch ein Andres als wir, durch Gott, zu heilen sind. Die Kämpfe des Geistes, des Gewissens, die tiefen Krisen der Überzeugung, der Weltanschauung, die das bedeutende Individuum durchläuft, vereinigt mit den Kämpfen des Gefühlslebens: dies sind die Konflikte, die Schlachten des Romans. --- Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken (1990): Coolness - diese neue Tugend der achtziger Jahre - ist ein Signum der neuen Ästhetik: Es geht um Unbetreffbarkeit, um Empfindungslosigkeit auf drogenhaft hohem Anregungsniveau. Ästhetische Animation geschieht als Narkose - im doppelten Sinn von Berauschung wie Betäubung. Ästhetisierung - ich wiederhole diese Formel - erfolgt als Anästhetisierung. Wiederum sind die Effekte sozialer Desensibilisierung unübersehbar. In einer Welt zunehmender Medialität existiert Mitleid vornehmlich als zeichenhaftes Gefühl von Bildschirmpersonen, wird Ethik zum telegenen Zitat und gibt es Solidarität primär als gemeinsames Benutzerverhalten einer televisionären Solidargemeinschaft. Übertreibung ist ein Prinzip der Wirklichkeit selbst: Die morgige Wirklichkeit wird die Übertreibung der heutigen sein - das ist es. Was man Entwicklung nennt. Die Gestaltpsychologie hat uns gelehrt, dass zu jedem Wahrnehmen nicht nur ein Nicht-Wahrnehmen gehört, sondern dass solcher Ausschluss, solche Slektivität für das Wahrnehmenkönnen konstitutiv ist. Neurophysiologische Untersuchungen haben diesen Zusammenhang inzwischen besser verständlich gemacht: Kognitive Systeme können generell nur, weil sie selbstreferenziell geschlossen sind, umweltoffen operieren. Wir sehen nicht, weil wir nicht blind sind, sondern wir sehen, weil wir für das meiste blind sind; entsprechend heißt, etwas sichtbar zu machen, im gleichen Akt etwas anderes unsichtbar zu machen. - Keine aisthesis ohne anaisthesis - nicht einmal im einfachsten Wahrnehmen. Das bedeutet freilich, dass dem Wahrnehmen selbst eine Art Anästhetik eingeschrieben ist. Seine eigene Spezifität - seine Schemata und Prägungen einschließlich der damit gesetzten Beschränkungen - bleiben ihm eigentümlich verborgen. (...) Gerade den Grundbildern, die unseren Wirklichkeitszugang leiten (...) ist in drastischer Weise eine immanente Anästhetik gesellt. (...) Denn wer diese Bilder, die unsere individuelle und gesellschaftliche Wirklichkeit durchherrschen, nicht irgendwann in ihrer Spezifität und Massivität vor Augen bekommen hat, der wird, in ihrem undurchschauten Glanz sich sonnend, ein Leben lang nach ihrer Pfeife tanzen müssen. Meine These lautet, dass ästhetisches Denken gegenwärtig das eigentlich realistische ist. Denn es allein vermag einer Wirklichkeit, die - wie die unsrige - wesentlich ästhetisch konstituiert ist, noch einigermaßen beizukommen. Begriffliches Denken reicht hier nicht aus, eigentlich kompetent ist - diagnostisch wie orientierend - ästhetisches Denken. Daher ist ja auch das beste Mittel, fremde Länder kennen zu lernen, zunehmend nicht mehr die Reise, sondern das Studium ihrer Fernsehprogramme. Wo - wie heute - neue Werkstoffe industriell bis zum Endprodukt hin rein simulatorisch erprobt werden, wo also die Simulation nicht mehr mimetisch, sondern produktiv zu verstehen ist, da greifen die alten Kategorien von Sein und Schein und die entsprechenden Denkformen von Realismus und Fiktionalismus nicht mehr. --- Die heutige Novelle ist die Schwester des Dramas und die strengste Form der Prosadichtung. Gleich dem Drama behandelt sie die tiefsten Probleme des Menschenlebens; gleich diesem verlangt sie zu ihrer Vollendung einen im Mittelpunkte stehenden Konflikt, von welchem aus das Ganze sich organisiert, und demzufolge die geschlossenste Form und die Ausscheidung alles Unwesentlichen; sie duldet nicht nur, sie stellt auch die höchsten Forderungen der Kunst. Theodor Storm Die Novelle verhält sich zum Romane wie ein Strahl zu einer Lichtmasse. Sie gibt nicht das umfassende Bild der Weltzustände, aber einen Ausschnitt daraus, der mit intensiver, momentaner Stärke auf das größere Ganze als Perspektive hinausweist, nicht die vollständige Entwicklung einer Persönlichkeit, aber ein Stück aus einem Menschenleben, das eine Spannung, eine Krise hat und uns durch eine Gemüts- und Schicksalswendung mit scharfem Akzente zeigt, was Menschenleben überhaupt ist. Man hat sie einfach und richtig als eine Situation im Unterschied von der Entwicklung durch eine Reihe von Situationen im Romane bezeichnet. Die Novelle hat dem Roman den Boden bereitet, das Erfahrungsbild der Welt erobert; das Mittelalter kannte Mensch und Welt nicht, träumte überall von Exemptionen, Boccacio plauderte das Geheimnis aus, dass Menschen Menschen, "sterbliche Menschen" sind. Dieselbe Bedeutung hat die große Beliebtheit des Schwankes, wie er im 16. Jahrhundert in Deutschland herrscht. Friedrich Theodor Vischer Die Rose duftet - doch ob sie empfindet Ich weiß es nicht. Doch macht uns gar verdrießlich Der Ursprung der Dichtkunst in der nordischen Mythologie Der Anfang davon war, dass die Götter Krieg mit dem Volk hatten, das Wanen hieß. Aber sie führten Friedensverhandlungen und schlossen den Frieden auf die Weise, dass jeder von ihnen zu einem Gefäß ging und seinen Speichel hineinspuckte. Als man sich trennte, nahmen ihn die Götter. Sie wollten dieses Friedenszeichen nicht verlieren und schufen daraus einen Mann. Der hieß Kwasir und war so klug, dass niemand ihn nach Dingen fragte, die er nicht beantworten konnte. Er zog weit in der Welt herum, um die Menschen sein Wissen zu lehren. Als er auf deren Einladung zu den Zwergen Fjalarr und Galarr kam, luden sie ihn zu einem geheimen Gespräch und erschlugen ihn. Sie ließen sein Blut in zwei Gefäße und einen Kessel rinnen, und der heißt Odrörir, die Gefäße aber Son und Bodn. Sie mischten Honig mit dem Blut, und daraus wurde der Met, der jeden, der davon trinkt, zum Dichter oder Gelehrten macht. Die Zwerge erzählten den Asen, Kwasir sei an seiner Weisheit erstickt; denn niemand war so klug, dass er sein Wissen erfragen konnte. |