Zitate: Lebenskunst

Tell them I’ve had a wonderful life!
(Die letzten Worte Ludwig Wittgensteins, kurz vor seinem Tod 1951 in Cambridge.)

Um in der großen Welt zur Geltung zu gelangen, gibt man sich auf alle mögliche Art den Anschein, als habe man sie bereits erlangt.
La Rochefoucauld

Die Hoffnung, so trügerisch sie ist, dient wenigstens dazu, uns auf angenehmem Wege zum Ende unseres Lebens zu führen.
La Rochefoucauld

Die sittlichen Werte gewinnen wir erst, indem wir uns tätig bemühen. Bei Kunst und Handwerk ist es genauso. Denn was man erst lernen muss, bevor man es ausführen kann, das lernt man, indem man es ausführt: Baumeister wird man, indem man baut, und Kitharakünstler, indem man das Instrument spielt. So werden wir auch gerecht, indem wir gerecht handeln, besonnen, indem wir besonnen, und tapfer, indem wir tapfer handeln.
Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch II

Durch das Verhalten in den Alltagsbeziehungen zu den Mitmenschen werden die einen gerecht, die anderen ungerecht. Und durch unser Verhalten in gefährlicher Lage, Gewöhnung an Angst oder Zuversicht, werden wir entweder tapfer oder feige. Dasselbe trifft zu bei den Regungen der Begierde und des Zorns: die einen werden besonnen und gelassen, die anderen hemmungslos und jähzornig, je nachdem sie sich so oder so in der entsprechenden Lage benehmen. Mit einem Wort: aus gleichen Einzelhandlungen erwächst schließlich die gefestigte Haltung. Darum müssen wir unseren Handlungen einen festen Wertcharakter erteilen, denn je nachdem sie sich gestalten, ergibt sich die entsprechende feste Grundhaltung.
Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch II

Ein guter Gladiator legt erst in der Arena seine Kampftaktik fest.
Altes römisches Sprichwort

Der Ritter machte zu allem eine gute Miene und sprach: „Warum sollte ich zurückschrecken? Was kann der Mensch in schwierigen und widrigen Situationen tun als den Versuch zu wagen?"
Sir Gawain and the Green Knight (562-565)
(14. Jahrhundert)

Balthasar Gracian
Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647):

Leidenschaftslos sein.
Eine Eigenschaft der höchsten Geistesgröße, deren Überlegenheit selbst sie loskauft vom Joche gemeiner äußerer Eindrücke. Keine höhere Herrschaft, als die über sich selbst und über seine Affekte, sie wird zum Triumph des freien Willens. Sollte aber jemals die Leidenschaft sich der Person bemächtigen, so darf sie doch nie sich an das Amt wagen, und um so weniger, je höher solches ist. Dies ist eine edle Art, sich Verdrießlichkeiten zu ersparen, ja sogar auf dem kürzesten Wege zu Ansehen zu gelangen.

Beobachtung seiner selbst ist eine Schule der Weisheit, Man kenne seine gegenwärtige Stimmung und baue ihr vor; ja, man werfe sich aufs entgegengesetzte Extrem, um zwischen dem Natürlichen und Künstlichen den Punkt zu treffen, wo auf der Waage der Vernunft die Zunge einsteht. Der Anfang der Selbstbesserung ist die Selbsterkenntnis.

Keiner kann Herr über sich sein, wenn er sich nicht zuvor begriffen hat. Spiegel gibt es für das Antlitz, aber keine für die Seele; daher sei ein solcher das verständige Nachdenken über sich; allenfalls vergesse man sein äußeres Bild, aber erhalte sich das innere gegenwärtig, um es zu verbessern, zu vervollkommnen. Man lerne die Kräfte seines Verstandes und seine Feinheit zu Unternehmungen kennen; man untersuche seine Tapferkeit, zum Einlassen in Händel; man ergründe seine ganze Tiefe und wäge seine sämtlichen Fähigkeiten zu allem.

---

Die Vernunft eines Menschen kann wohl niemand zutreffender beurteilen als einer, der sich selbst den augenblicklichen Begierden seines Herzens verschließt und in der Lage ist, sich selbst zu beherrschen und zu überwinden. Wer aber dem Verlangen augenblicklich nachgeben will, der wählt das Schlechtere statt des Besseren.
Antiphon (5. Jahrhundert v. Chr.)

Man erzählt auch Folgendes von den Pythagoreern, dass keiner von ihnen einen Sklaven strafte oder einen Freien zurechtwies, solange der Zorn ihn beherrschte. Jeder wartete vielmehr, bis sich der Normalzustand des Verstandes wiederhergestellt hatte. Das Zurechtweisen nannten sie „umordnen“.
Nach Jamblichos (4. Jahrhundert n. Chr.)

Wer beginnt, besitzt bereits die Hälfte des ganzen Werkes – wage es, weise zu sein, fange an! Wer des rechten Lebens Stunde hinausschiebt, wartet wie jener Landmann darauf, dass des Flusses Wasser versiege; der aber gleitet dahin und wird weiter dahingleiten, mit seinen Fluten wirbelnd in alle Ewigkeit.
(Horaz, Briefe, 1,2.)

Zorn ist ein flüchtiger Wahn, zügle deinen Sinn: Wenn der nicht pariert, herrscht er. Mit Zügeln, mit der Kette halt ihn im Zaume! Solange das Pferd noch belehrbar ist und biegsam sein Nacken, bringt sein Meister ihm bei, den Weg zu nehmen, den der Reiter ihm weist.
(Horaz, Briefe, 1.2.)

Wer nach keinem bestimmten Hafen steuert, dem ist kein Wind günstig.
Montaigne

Schließlich und endlich: Es geb’ einen Schluss im Erwerb, und wenn mehr du hast, so fühle die Armut weniger, fang an, Strapazen nun zu beenden, nachdem du geschafft, was du wolltest.
(…)
Denn es gibt ein Maß in den Dingen, es gibt doch bestimmte Grenzen schließlich, in denen allein das Richtige sein kann.
(Horaz, Satiren 1, 1.)

Viktor Emil Frankl, Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (1945)

Wer von denen, die das Konzentrationslager erlebt haben, wüsste nicht von jenen Menschengestalten zu erzählen, die da über die Appellplätze oder durch die Baracken des Lagers gewandelt sind, hier ein gutes Wort, dort den letzten Bissen Brot spendend? Und mögen es auch nur wenige gewesen sein – sie haben Beweiskraft dafür, dass man dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen kann, nur nicht: die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Und es gab ein "So oder so"! Und jeder Tag und jede Stunde im Lager gab tausendfältige Gelegenheit, diese innere Entscheidung zu vollziehen, die eine Entscheidung des Menschen für oder gegen den Verfall an jene Mächte der Umwelt darstellt, die dem Menschen sein Eigentliches zu rauben drohen – seine innere Freiheit – und ihn dazu verführen, unter Verzicht auf Freiheit und Würde zum bloßen Spielball und Objekt der äußeren Bedingungen zu werden und sich von ihnen zum "typischen" Lagerhäftling umprägen zu lassen. (S. 108)

Die meisten hatten etwas, das sie aufrecht hielt, und meistens handelte es sich hierbei um ein Stück Zukunft. Dem Menschen ist es nun einmal eigen, nur unter dem Gesichtswinkel einer Zukunft, also irgendwie sub specie aeternitatis, eigentlich existieren zu können. Zu diesem Gesichtspunkt der Zukunft nimmt er daher in schwierigen Augenblicken seines Daseins auch immer wieder Zuflucht. Oft mag dies in Form eines Tricks geschehen. Was mich selbst anlangt, erinnere ich mich an folgendes Erlebnis: Fast weinend vor Schmerzen in den wunden Füßen, die in offenen Schuhen staken, im grimmigen Frost und eisigen Gegenwind, humpelte ich in langer Kolonne die paar Kilometer vom Lager zum Arbeitsplatz. Mein Geist beschäftigte sich unablässig mit den tausendfältigen kleinen Problemen unseres armseligen Lagerlebens: Was wird es heute Abend zu essen geben? Soll ich die Scheibe Wurst, die es vielleicht als Zubuße geben wird, nicht lieber für ein Stück Brot eintauschen? Soll ich die letzte Zigarette, die mir von der "Prämie" vor vierzehn Tagen verblieben ist, gegen eine Schüssel Suppe einhandeln? Wie komme ich zu einem Stück Draht, um den gebrochenen zu ersetzen, der mir als Schuhriemenersatz dient? Werde ich jetzt an der Baustelle rechtzeitig den Anschluss an die gewohnte Arbeitsgruppe finden oder aber in eine andere, zu irgendeinem wüsten und prügelnden Vorarbeiter verschlagen werden? Und was könnte ich unternehmen, um mich mit einem bestimmten Capo gut zu stellen, der mir zur Verwirklichung eines unwahrscheinlichen Glücks verhelfen könnte, nämlich – als Lagerarbeiter im Lager selbst verwendet zu werden und nicht mehr diesen furchtbaren täglichen Marsch mitmachen zu müssen? Schon ekelt mich dieser grausame Zwang an, unter dem all mein Denken sich täglich und stündlich nur mit solchen Fragen abplagen muss. Da gebrauche ich einen Trick: plötzlich sehe ich mich selber in einem hell erleuchteten, schönen und warmen, großen Vortragssaal am Rednerpult stehen, vor mir ein interessiert lauschendes Publikum in gemütlichen Polstersitzen – und ich spreche; spreche und halte einen Vortrag über die Psychologie des Konzentrationslagers! Und all das, was mich so quält und bedrückt, all das wird objektiviert und von einer höheren Warte der Wissenschaftlichkeit aus gesehen und geschildert ...
Und mit diesem Trick gelingt es mir, mich irgendwie über die Situation, über die Gegenwart und über ihr Leid zu stellen, und sie so zu schauen, als ob sie schon Vergangenheit darstellte und ich selbst, mitsamt all meinem Leiden, Objekt einer interessanten psychologisch-wissenschaftlichen Untersuchung wäre, die ich selber vornehme. Wie sagt doch Spinoza in seiner Ethik? "Affectus, qui passio est, desinit esse passio simulatque eius claram et distinctam formamus ideam." (Eine Gemütsregung, die ein Leiden ist, hört auf, ein Leiden zu sein, sobald wir uns von ihr eine klare und deutliche Vorstellung bilden. – Ethik, 5. Teil, "Über die Macht des Geistes oder die menschliche Freiheit", Satz III.)
Wer an eine Zukunft, wer an seine Zukunft nicht mehr zu glauben vermag, ist hingegen im Lager verloren. Mit der Zukunft verliert er den geistigen Halt, lässt sich innerlich fallen und verfällt sowohl körperlich als auch seelisch.

---

Wie kann man sich selbst kennen lernen? Durch Betrachten niemals, wohl aber durch Handeln. Versuche, deine Pflicht zu tun, und du weißt gleich, was an dir ist.
Was aber ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages.
Goethe, Maximen und Reflexionen

Der lebendige begabte Geist, sich in praktischer Absicht ans Allernächste haltend, ist das Vorzüglichste auf Erden.
Goethe, Maximen und Reflexionen

Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden;
Es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun.
Goethe, Maximen und Reflexionen

Mit Gedanken, die nicht aus der tätigen Natur entsprungen sind und nicht wieder aufs tätige Leben wohltätig hinwirken und so in einem mit dem jedesmaligen Lebenszustand übereinstimmenden mannigfaltigen Wechsel unaufhörlich entstehen und sich auflösen, ist der Welt wenig geholfen.
Goethe, Maximen und Reflexionen

Eine tätige Skepsis: welche unablässig bemüht ist, sich selbst zu überwinden, um durch geregelte Erfahrung zu einer Art von bedingter Zuverlässigkeit zu gelangen.
Goethe, Maximen und Reflexionen

Man sollte nur Rat geben in Dingen, in denen man selber mitwirken will.
Goethe (Eckermann)

In der Idee leben heißt, das Unmögliche behandeln, als wenn es möglich wäre. Mit dem Charakter hat es dieselbe Bewandtnis: treffen beide zusammen, so entstehen Ereignisse, worüber die Welt vom Erstaunen sich Jahrtausende nicht erholen kann.
Goethe, Maximen und Reflexionen

Kismet:
Ich will nicht untersuchen, was an dieser Lehre Wahres oder Falsches, Nützliches oder Schädliches sein mag; aber im Grunde liegt von diesem Glauben doch etwas in uns allen, auch ohne dass es uns gelehrt worden. Die Kugel, auf der mein Name nicht geschrieben steht, wird mich nicht treffen, sagt der Soldat in der Schlacht, und wie sollte er ohne diese Zuversicht in den dringendsten Gefahren Mut und Heiterkeit behalten!
Goethe (Eckermann)

Der Mensch, wenn er sich getreu bleibt, findet zu jedem Zustande eine hilfreiche Maxime; mir stellte sich, sobald die Gefahr groß ward, der blindeste Fatalismus zur Hand, und ich habe bemerkt, dass Menschen, die ein durchaus gefährliches Metier treiben, sich durch denselben Glauben gestählt und gestärkt finden. Die mohammedanische Religion gibt hiervon den besten Beweis.
Goethe, Campagne in Frankreich

Ich lese im Neuen Testament, und gedenke eines Bildes, das Goethe mir in diesen Tagen zeigte, wo Christus auf dem Meere wandelt, und Petrus, ihm auf den Wellen entgegenkommend, in einem Augenblick anwandelnder Mutlosigkeit sogleich einzusinken anfängt.
"Es ist dies eine der schönsten Legenden", sagte Goethe, "die ich vor allen lieb habe. Es ist darin die hohe Lehre ausgesprochen, dass der Mensch durch Glauben und frischen Mut im schwierigsten Unternehmen siegen werde; dagegen bei anwandelndem geringsten Zweifel sogleich verloren sei."
Goethe (Eckermann)

Schiller erscheint (...), wie immer, im absoluten Besitz seiner erhabenen Natur; er ist so groß am Teetisch, wie er es im Staatsrat gewesen sein würde. Nichts geniert ihn, nichts engt ihn ein, nichts zieht den Flug seiner Gedanken herab; was in ihm von großen Ansichten lebt, geht immer frei heraus ohne Rücksicht und ohne Bedenken. Das war ein rechter Mensch, und so sollte man auch sein! – Wir andern dagegen fühlen uns immer bedingt; die Personen, die Gegenstände, die uns umgeben, haben auf uns ihren Einfluss; der Teelöffel geniert uns, wenn er von Gold ist, da er von Silber sein sollte, und so, durch tausend Rücksichten paralysiert, kommen wir nicht dazu, was etwa Großes in unserer Natur sein möchte, frei auszulassen. Wir sind die Sklaven der Gegenstände, und erscheinen geringe oder bedeutend, je nachdem uns diese zusammenziehen oder zu freier Ausdehnung Raum geben.
Goethe (Eckermann)

Nicht das macht frei, dass wir nichts über uns anerkennen wollen, sondern eben dass wir etwas verehren, das über uns ist. Denn indem wir es verehren, heben wir uns zu ihm hinauf und legen durch unsere Anerkennung an den Tag, dass wir selber das Höhere in uns tragen und wert sind, seinesgleichen zu sein.
Goethe (Eckermann)

Ich habe vor dem kategorischen Imperativ allen Respekt, ich weiß, wie viel Gutes aus ihm hervorgehen kann, allein man muss es damit nicht zu weit treiben, denn sonst führet diese Idee der ideellen Freiheit sicher zu nichts Gutem.
Goethe (Eckermann)

Alles, was wir tun, hat eine Folge. Aber das Kluge und Rechte bringt nicht immer etwas Günstiges, und das Verkehrte nicht immer etwas Ungünstiges hervor, vielmehr wirkt es oftmals ganz im Gegenteil. (...) Dergleichen wiederholt sich im Leben häufig, und Weltmenschen, welche dieses wissen, sieht man daher mit einer großen Frechheit und Dreistigkeit zu Werke gehen.
Goethe (Eckermann)

Bei meiner Art zu empfinden und zu denken kostete es mich gar nichts, einen jeden gelten zu lassen für das, was er war, ja sogar für das, was er gelten wollte (...).
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 9. Buch

Und dann, fuhr ich fort, trage ich in die Gesellschaft gewöhnlich meine persönlichen Neigungen und Abneigungen, und ein gewisses Bedürfnis zu lieben und geliebt zu werden. Ich suche eine Persönlichkeit, die meiner eigenen Natur gemäß sei; dieser möchte ich mich gerne hingeben und mit den andern nichts zu tun haben.
"Diese Ihre Natur-Tendenz", erwiderte Goethe, "ist freilich nicht geselliger Art; allein was wäre alle Bildung, wenn wir unsere natürlichen Richtungen nicht wollten zu überwinden suchen. Es ist eine große Torheit, zu verlangen, dass die Menschen zu uns harmonieren sollen. Ich habe es nie getan. Ich habe einen Menschen immer nur als ein für sich bestehendes Individuum angesehen, das ich zu erforschen und das ich in seiner Eigentümlichkeit kennen zu lernen trachtete, wovon ich aber durchaus keine weitere Sympathie verlangte. Dadurch habe ich es nun dahin gebracht, mit jedem Menschen umgehen zu können, und dadurch allein entsteht die Kenntnis mannigfaltiger Charaktere, sowie die nötige Gewandtheit im Leben. Denn gerade bei widerstrebenden Naturen muss man sich zusammennehmen, um mit ihnen durchzukommen, und dadurch werden alle die verschiedenen Seiten in uns angeregt und zur Entwickelung und Ausbildung gebracht, so dass man sich denn bald jedem Vis-à-vis gewachsen fühlt. So sollen Sie es auch machen. Sie haben dazu mehr Anlage als Sie selber glauben; und das hilft nun einmal nichts, Sie müssen in die große Welt hinein, Sie mögen sich stellen wie sie wollen".
Goethe zu Eckermann

Die Hauptsache ist, dass man lerne sich selbst zu beherrschen. Wollte ich mich ungehindert gehen lassen, so läge es wohl in mir, mich selbst und meine Umgebung zugrunde zu richten.
Goethe (Eckermann)

Überall ist es das Individuum, das sich herrlich zeigen will, und nirgends trifft man auf ein redliches Streben, das dem Ganzen und der Sache zuliebe sein eigenes Selbst zurücksetzte.
Goethe (Eckermann)

Man sagt mit Recht, dass die gemeinsame Ausbildung menschlicher Kräfte zu wünschen und auch das Vorzüglichste sei. Der Mensch aber ist dazu nicht geboren, jeder muss sich eigentlich als ein besonderes Wesen bilden, aber den Begriff zu erlangen suchen, was alle zusammen sind.
Goethe (Eckermann)

Ein Mann wie Lessing täte uns not. Denn wodurch ist dieser so groß als durch seinen Charakter, durch sein Festhalten! – So kluge, so gebildete Menschen gibt es viele, aber wo ist ein solcher Charakter!
Goethe (Eckermann)

Das wirkliche Leben verliert oft dergestalt seinen Glanz, dass man es manchmal mit dem Firnis der Fiktion wieder auffrischen muss.
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 9. Buch

Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden. Was wir können und möchten, stellt sich unserer Einbildungskraft außer uns und in der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im Stillen besitzen. So verwandelt ein leidenschaftliches Vorausergreifen das wahrhaft Mögliche in ein erträumtes Wirkliche. Liegt nun eine solche Richtung entschieden in unserer Natur, so wird mit jedem Schritt unserer Entwicklung ein Teil des ersten Wunsches erfüllt, bei günstigen Umständen auf dem geraden Wege, bei ungünstigen auf einem Umwege, von dem wir immer wieder nach jenem einlenken.
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 9. Buch

Doch das ist unser schönster und süßester Wahn, den wir nicht aufgeben dürfen, ob er uns gleich viel Pein im Leben verursacht, dass wir das, was wir schätzen und verehren, uns auch womöglich zueignen, ja aus uns selbst hervorbringen und darstellen möchten.
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 13. Buch

Schreiben ist ein Missbrauch der Sprache, stille für sich lesen ein trauriges Surrogat der Rede. Der Mensch wirkt alles, was er vermag, auf den Menschen durch seine Persönlichkeit (...) und hier entspringen auch die reinsten Wirkungen. Diese sind es, welche die Welt beleben und weder moralisch noch physisch aussterben lassen.
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 10. Buch

Das gemeine Menschenschicksal, an welchem wir alle zu tragen haben, muss denjenigen am schwersten aufliegen, deren Geisteskräfte sich früher und breiter entwickeln. Wir mögen unter dem Schutz von Eltern und Verwandten emporkommen, wir mögen uns an Geschwister und Freunde anlehnen, durch Bekannte unterhalten, durch geliebte Personen beglückt werden; so ist doch immer das Final, dass der Mensch auf sich zurückgewiesen wird, und es scheint, es habe sogar die Gottheit sich so zu dem Menschen gestellt, dass sie dessen Ehrfurcht, Zutrauen und Liebe nicht immer, wenigstens nicht gerade im dringenden Augenblick, erwidern kann. Ich hatte jung genug gar oft erfahren, dass in den hilfsbedürftigsten Momenten uns zugerufen wird: "Arzt, hilf dir selber!", und wie oft hatte ich nicht schmerzlich ausseufzen müssen: "Ich trete die Kelter allein." Indem ich mich also nach Bestätigung der Selbstständigkeit umsah, fand ich als die sicherste Base derselben mein produktives Talent.
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 15. Buch

Unser physisches sowohl als geselliges Leben, Sitten, Gewohnheiten, Weltklugheit, Philosophie, Religion, ja so manches zufälliges Ereignis, alles ruft uns zu, dass wir entsagen sollen. So manches, was uns innerlich eigenst angehört, sollen wir nicht nach außen hervorbilden, was wir von außen zu Ergänzung unsres Wesens bedürfen, wird uns entzogen, dagegen aber so Vieles aufgedrungen, das uns so fremd als lästig ist. Man beraubt uns des mühsam Erworbenen, des freundlich Gestatteten, und ehe wir hierüber recht ins Klare sind, finden wir uns genötigt, unsere Persönlichkeit erst stückweis und dann völlig aufzugeben. Dabei ist es aber hergebracht, dass man denjenigen nicht achtet, der sich deshalb ungebärdig stellt, vielmehr soll man, je bittrer der Kelch ist, eine desto süßere Miene machen, damit ja der gelassene Zuschauer nicht durch irgendeine Grimasse beleidigt werde.
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 16. Buch

Ein rühriger Geist fasst überall Fuß; Fähigkeiten, Talente erregen Vertrauen; jedermann denkt, es komme ja nur auf eine veränderte Richtung an. Zudringliche Jugend findet Gunst, dem Genie traut man alles zu, da es doch nur ein Gewisses vermag.
Goethe, Dichtung und Wahrheit, 17. Buch

Die Natur (...) macht es wie Shakespeare und Goethe, in deren Werken jede Person, und wäre sie der Teufel selbst, während sie dasteht und redet, Recht behält; weil sie so objektiv aufgefasst ist, dass wir in ihr Interesse gezogen und zur Teilnahme an ihr gezwungen werden: denn sie ist, eben wie die Werke der Natur, aus einem innern Prinzip entwickelt, vermöge dessen ihr Sagen und Tun als natürlich, mithin als notwenig auftritt. – Also, wer erwartet, dass in der Welt die Teufel mit Hörnern und die Narren mit Schellen einhergehn, wird stets ihre Beute, oder ihr Spiel sein. Hierzu kommt aber noch, dass im Umgange die Leute es machen, wie der Mond und die Buckligen, nämlich stets nur eine Seite zeigen, und sogar jeder ein angeborenes Talent hat, auf mimischem Wege seine Physiognomie zu einer Maske umzuarbeiten, welche genau darstellt, was er eigentlich sein sollte, und die, weil sie ausschließlich auf seine Individualität berechnet ist, ihm so genau anliegt und anpasst, dass die Wirkung überaus täuschend ausfällt. Er legt sie an, so oft es darauf ankommt, sich einzuschmeicheln. Man soll auf dieselbe so viel geben, als wäre sie aus Wachstuch, eingedenk des vortrefflichen italienischen Sprichworts: So böse ist kein Hund, dass er nicht mit dem Schwanz wedelte.
Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit

Willst du ins Unendliche schreiten,
Geh nur im Endlichen nach allen Seiten.
Goethe, Sprüche

Nichts vom Vergänglichen,
Wie's auch geschah!
Uns zu verewigen
Sind wir ja da.
Goethe, Sprüche

Es ist gut, dass der Mensch, der erst in die Welt tritt, viel von sich halte, dass er sich viele Vorzüge zu erwerben denke, dass er alles möglich zu machen suche; aber wenn seine Bildung auf einem gewissen Grade steht, dann ist es vorteilhaft, wenn er sich in einer größeren Masse verlieren lernt, wenn er lernt, um anderer willen zu leben und seiner selbst in einer pflichtmäßigen Tätigkeit zu vergessen. Da lernt er erst sich selbst kennen; denn das Handeln eigentlich vergleicht uns mit andern.
Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre

Ich wenigstens weiß nicht, was als Gutes noch denkbar bleibt, wenn ich die Lust des Gaumens, der Liebe, des Gehörs und der schönen Form abziehe.
Epikur

Man muss immer daran denken, dass die Zukunft weder völlig von uns selbst abhängt noch ganz unabhängig von uns ist, damit wir in der Erwartung des Künftigen nicht absolut sicher sind, aber auch nicht in der ständigen Verzweiflung leben, dass es grundsätzlich anders kommen wird.
Epikur

Einige Begierden sind natürlich und notwendig, andere natürlich und nicht notwendig, wieder andere weder natürlich noch notwendig, sondern entstehen aus Wahnvorstellungen.
Epikur

Das bei weitem Wertvollste, was die Weisheit zur Glückseligkeit des ganzen Lebens beitragen kann, ist der Gewinn von Freundschaft.
Epikur

Casanova

Eine tröstliche Philosophie behauptet im Einklang mit der Religion, die Abhängigkeit der Seele von den Sinnen und den Organen des Körpers sei nur zufällig und vorübergehend, und sie werde frei und glücklich sein, wenn der Tod des Leibes sie aus deren tyrannischer Herrschaft entlässt. Das klingt sehr schön, aber es ist, wenn man von der Religion absieht, keineswegs sicher. Da ich mich also erst nach meinem Lebensende in der vollkommenen Gewissheit wiegen darf, unsterblich zu sein, wird man mir verzeihen, wenn ich es nicht eilig habe, zur Erkenntnis dieser Wahrheit zu gelangen. Eine Erkenntnis, die das Leben kostet, ist zu teuer erkauft. Bis dahin verehre ich Gott, indem ich mir jede unrechte Tat untersage und die ungerechten Menschen verabscheue, ohne ihnen indessen Böses zu tun. Mir genügt es, wenn ich unterlasse, ihnen Gutes zu tun. Schlangen soll man nicht auch noch füttern.

Wir können feststellen, dass Menschen mit unausgeprägten Gesichtszügen – und deren Zahl ist sehr groß – auch nicht das besitzen, was man Charakter nennt. Folglich muss der physiognomischen Verschiedenheit die Verschiedenheit der Charaktere entsprechen.

Den Freuden meiner Sinne galt mein Leben lang mein Hauptstreben; etwas Wichtigeres gab es für mich niemals. Da ich mich für das andere Geschlecht geboren fühlte, habe ich es stets geliebt und habe alles darangesetzt, seine Liebe zu gewinnen. Ich liebte auch mit Hingabe eine gute Tafel, und überhaupt leidenschaftlich alles, was meine Neugier erregte.

Ich habe immer daran geglaubt, dass ein Mensch, der es sich in den Kopf setzt, irgendeinen Plan auszuführen, und sich mit nichts anderem beschäftigt, trotz aller Schwierigkeiten zum Ziel kommen muss; ein solcher Mensch wird Großwesir, er wird Papst, er stürzt einen Monarchen, vorausgesetzt, dass er sich beizeiten damit befasst; denn ein Mensch in vorgerücktem Alter kommt zu nichts mehr, weil das Glück ihn übersieht. Ohne dessen Hilfe aber hat man nichts zu erhoffen. Es ist nötig, auf das Glück zu bauen, aber gleichzeitig Rückschlägen Trotz zu bieten. Das ist einer der schwierigsten politischen Leitsätze.

Die Freigeister, die behaupten, das Gebet sei zu nichts nütze, bedenken nicht, was sie sagen. Ich weiß, dass ich mich immer viel stärker fühlte, wenn ich zu Gott gebetet hatte, und das genügt, die Nützlichkeit des Betens zu beweisen, ob nun die Vermehrung meiner Kraft unmittelbar von Gott stammte, oder ob sie eine physische Folge des Vertrauens in ihn war.

Liebe zum Vaterland wird für einen Menschen, der von ihm unterdrückt wird, zu einem leeren Schemen.

Wer sich vollkommenen Gleichmutes rühmt, lügt, und ich bitte Sokrates tausendmal um Entschuldigung. Ich werde Zenon alles glauben, wenn er mir beweisen kann, dass er das Geheimnis gelöst hat, ein natürliches Erbleichen, Erröten, Lachen und Weinen zu unterdrücken.

Ich hatte in dem großen Buch der Erfahrung gelesen und gelernt, dass es nicht genügt, große Unternehmungen zu beraten; man muss sie ausführen, ohne der Glücksgöttin die Herrschaft abzuerkennen, die sie über alle Taten der Menschen ausübt.

Der Mensch hat viel mehr Recht, alles der Selbsterhaltung zu opfern, als ein Herrscher für die Erhaltung des Staates.

Bei großen Wagnissen gibt es Punkte, die alles entscheiden und in denen sich ein Führer, der Erfolg verdient, auf niemand andern verlässt.

Der Mensch ist ein dummes Tier, das nur durch bittere Erfahrung belehrt werden kann. Dieses Gesetz hat zur Folge, dass die Welt immer in Unordnung und Unwissenheit bleiben wird, denn auf hundert Leute kommt höchstens ein Kluger.

Ich schreibe, um mich nicht zu langweilen, und ich freue und beglückwünsche mich, dass ich daran Gefallen finde. Wenn es nur Geschwätz ist, so kümmert mich das nicht; mir genügt das Bewusstsein, dass ich mich dabei unterhalte.

---

Was ist förderlicher: - fragte ich mich – dass man die Welt klein oder dass man sie groß sehe? Und dies war so gemeint: Große Männer, dachte ich, Feldherren, überlegene Staatsköpfe, Eroberer- und Herrschernaturen jeder Art, welche sich gewaltig über die Menschen erheben, müssen wohl so beschaffen sein, dass die Welt ihnen klein wie ein Schachbrett erscheint, da sie sonst die Rücksichtslosigkeit und Kälte nicht hätten, keck und unbekümmert um das Einzelwohl und –wehe nach ihren übersichtlichen Plänen damit zu schalten. Andererseits aber kann eine solche verringernde Ansicht unzweifelhaft leicht bewirken, dass man es im Leben zu gar nichts bringe; denn wer Welt und Menschen für wenig oder nichts achtet und sich früh mit ihrer Belanglosigkeit durchdringt, wird geneigt sein, in Gleichgültigkeit und Trägheit zu versinken und einen vollkommenen Ruhestand jeder Wirkung auf die Gemüter verachtungsvoll vorzuziehen – abgesehen davon, dass er durch seine Fühllosigkeit, seinen Mangel an Teilnahme und Bemühung überall anstoßen, die selbstbewusste Welt auf Schritt und Tritt beleidigen und sich so die Wege auch zu unwillkürlichen Erfolgen abschneiden wird. Ist es, fragte ich mich, also ratsamer, dass man in Welt- und Menschenwesen etwas Großes, Herrliches und Wichtiges erblicke, das jedes Eifers, jeder dienenden Anstrengung wert ist, um ein wenig Ansehen und Wertschätzung darin zu erlangen? Dagegen spricht, dass man mit dieser vergrößernden und respektvollen Sehart leicht der Selbstunterschätzung und Verlegenheit anheimfällt, so dass die Welt über den ehrfürchtig blöden Knaben mit Lächeln hinweggeht, um sich männlichere Liebhaber zu suchen. Allein auf der anderen Seite bietet eine solche Gläubigkeit und Weltfrömmigkeit doch auch große Vorteile. Denn wer alle Dinge und Menschen für voll und wichtig nimmt, wird ihnen nicht nur dadurch schmeicheln und sich somit mancher Förderung versichern, sondern er wird auch sein ganzes Denken und Gebaren mit einem Ernst, einer Leidenschaft, einer Verantwortlichkeit erfüllen, die, indem sie ihn zugleich liebenswürdig und bedeutend macht, zu den höchsten Erfolgen und Wirkungen führen kann.
Thomas Mann (Felix Krull)

Nach meiner Theorie wird jede Täuschung, der keinerlei höhere Wahrheit zugrunde liegt und die nichts ist als bare Lüge, plump, unvollkommen und für den Erstbesten durchschaubar sein. Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg und lebensvolle Wirkung unter den Menschen, der den Namen des Betrugs nicht durchaus verdient, sondern nichts ist als die Ausstattung einer lebendigen, aber nicht völlig ins Reich des Wirklichen eingetretenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, deren sie bedarf, um von der Welt erkannt und gewürdigt zu werden.
Thomas Mann (Felix Krull)

Wer mit einem Talente zu einem Talente geboren ist, findet in demselben sein schönstes Dasein! Nichts ist auf der Erde ohne Beschwerlichkeit! Nur der innere Trieb, die Lust, die Liebe helfen uns Hindernisse überwinden, Wege bahnen und uns aus dem engen Kreise, worin sich andere kümmerlich abängstigen, emporheben.
Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96), Buch 1, Kap. 14.

Nicht Glückes bar sind deine Lenze,
Du forderst nur des Glücks zuviel;
Gib deinem Wunsche Maß und Grenze,
Und dir entgegen kommt das Ziel.

Wie dumpfes Unkraut laß vermodern,
Was in dir noch des Glaubens ist:
Du hättest doppelt einzufordern
Des Lebens Glück – weil du es bist.

Das Glück – kein Reiter wird’s erjagen,
Es ist nicht dort, es ist nicht hier –
Lern überwinden, lern entsagen,
Und, ungeahnt, erblüht es dir.
Theodor Fontane (Briefe)

"In Traurigkeit heiter, in Heiterkeit traurig."
Giordano Bruno

"Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht
Und die Gewohnheit nennt er seine Amme."
Schiller

"Ich kenne nur ein Geheimnis, den Menschen vor Verschlimmerung zu bewahren, und dieses ist – sein Herz gegen Schwächen zu schützen."
Schiller

"Mit anspannendem Fleiße müssen wir die Vergnügungen des Verstandes, mit schmerzhaften Opfern die Billigung der Vernunft, die Freuden der Sinne durch harte Entbehrungen oder das Übermaß derselben durch eine Kette von Leiden büßen; die Kunst allein gewährt uns Genüsse, die nicht erst abverdient werden dürfen, die kein Opfer kosten, die durch keine Reue erkauft werden."
Schiller

Vom Unglück erst
Zieh ab die Schuld;
Was übrig ist,
trag in Geduld!
Theodor Storm

Wer sich nicht auf der Schwelle des Augenblicks, alle Vergangenheiten vergessend, niederlassen kann, wer nicht auf einem Punkte wie eine Siegesgöttin ohne Schwindel und Furcht zu stehen vermag, der wird nie wissen, was Glück ist, und noch schlimmer: er wird nie etwas tun, was andere glücklich macht.
Friedrich Nietzsche (Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben)

---

Anna Seghers, Das siebte Kreuz, Frankfurt a.M. 1962, Luchterhand Verl., ursprünglich publiziert in Mexiko (1942)

Nicht nur was von anderen gleichzeitig durchgelitten wird, kann einen trösten, sondern auch was von anderen früher durchlitten wurde. (90)

Jeder Mensch, vor dem die Möglichkeit eines Unglücks aufgetaucht, besinnt sich sofort auf den eisernen Bestand, den er bei sich trägt. Dieser eiserne Bestand kann für den einen seine Idee sein, für den anderen sein Glaube, ein dritter gedenkt allein seiner Familie. Manche haben überhaupt nichts. Sie haben keinen eisernen Bestand, sie sind leer. Das ganze äußere Leben mit all seinen Schrecken kann in sie einströmen und sie füllen bis zum Platzen. (98)

Der Zufall, wenn man ihn wirklich walten lässt, ist gar nicht blind, wie man ihm nachsagt, sondern schlau und witzig. Man muss ihm nur wirklich ganz vertrauen. Pfuscht man ihm ins Handwerk und hilft selbst nach, dann kommt Stümperhaftes heraus, woran man ihm fälschlich schuld gibt. Wenn man ihm ruhig alle Macht lässt und ihm vollkommen gehorcht, dann erreicht er meistens das Richtige, und zwar rasch und wild und ohne Umwege. (139)

Wenn du den Menschen nicht mehr ausweichen kannst (...), musst du ihnen erst recht entgegengehen, mitten in sie hinein. (171)

So gelassen strömt das gewöhnliche Leben, dass es den mitnimmt, der seinen Fuß hineinsetzt. (175)

Du sollst nicht grübeln um das, was du nicht getan hast (...), - unnützer Kraftverbrauch. Du sollst nicht plötzlich abspringen, bald dies, bald das versuchen. Stell dich ruhig und sicher. (255)

---

Das Gewebe dieser Welt ist aus Notwendigkeit und Zufall gebildet; die Vernunft des Menschen stellt sich zwischen beide und weiß sie zu beherrschen; sie behandelt das Notwendige als den Grund ihres Daseins; das Zufällige weiß sie zu lenken, zu leiten und zu nutzen, und nur, indem sie fest und unerschütterlich steht, verdient der Mensch ein Gott der Erde genannt zu werden. Wehe dem, der sich von Jugend auf gewöhnt, in dem Notwendigen etwas Willkürliches finden zu wollen, der dem Zufälligen eine Art von Vernunft zuschreiben möchte, welcher zu folgen sogar eine Religion sei. Heißt das etwas weiter, als seinem eigenen Verstande entsagen und seinen Neigungen unbedingten Raum geben? Wir bilden uns ein, fromm zu sein, indem wir ohne Überlegung hinschlendern, uns durch angenehme Zufälle determinieren lassen und endlich dem Resultate eines solchen schwankenden Lebens den Namen einer göttlichen Fügung geben.
Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96), Buch 1, Kap. 17.

Ist einer Welt Besitz für dich zerronnen,
Sei nicht in Leid darüber, es ist nichts;
Und hast du einer Welt Besitz gewonnen,
Sei nicht erfreut darüber, es ist nichts.
Vorüber gehen die Schmerzen und die Wonnen,
Geh an der Welt vorüber, es ist nichts.
Anwari Soheili

Ein wahrer Forscher wird nie alt, jeder ewige Trieb ist außer dem Gebiete der Lebenszeit, und je mehr die äußere Hülle verwittert, desto heller und glänzender und mächtiger wird der Kern.
Novalis, Die Lehrlinge zu Sais (1802)

Die Leute verstehen die Dinge nicht, die ihnen begegnen, und wenn diese ihnen erklärt werden, begreifen sie sie nicht und beharren auf ihren privaten Einsichten.
Heraklit

Mit dem sie am meisten ununterbrochen verkehren - dem Logos, der das All verwaltet -, von dem sondern sie sich ab, und was ihnen jeden Tag begegnet, kommt ihnen fremd vor.
Heraklit

Hunde kläffen an, wen sie nicht kennen.
Heraklit

Natur pflegt sich versteckt zu halten.
Heraklit

Wenn das Unerwartete nicht erwartet wird, wird man es nicht entdecken, da es dann unaufspürbar ist und unzugänglich bleibt.
Heraklit

Augen sind schärfere Zeugen als Ohren.
Schlechte Zeugen sind den Menschen Augen und Ohren, wenn sie unverständige Seelen haben.
Heraklit

Nichtoffenkundige Harmonie ist stärker als offenkundige.
Heraklit

Es wird erzählt (...), dass Thales, als er astronomische Beobachtungen anstellte und dabei nach oben blickte, in einen Brunnen gefallen sei und dass eine witzige, reizende thrakische Magd ihn verspottet habe: Er strenge sich an, die Dinge im Himmel zu erkennen, von dem aber, was ihm vor Augen und vor den Füßen liege, habe er keine Ahnung.
Platon, Theitetos

Hermippos berichtet, dass Pythagoras, als er nach Italien gekommen war, eine kleine unterirdische Wohnung bauen ließ und seine Mutter beauftragte, die Geschehnisse für ihn aufzuschreiben, dabei auch die Daten zu verzeichnen und diese Nachrichten zu ihm hinunterzuschicken, bis er wieder nach oben komme. Die Mutter habe dies getan. Nach einiger Zeit sei Pythagoras wieder nach oben gekommen, abgemagert wie ein Skelett. Er ging in die Volksversammlung und erklärte, dass er eben wieder aus der Unterwelt zurückgekommen sei: er las ihnen vor, was passiert war.. Die Leute waren von seinen Worten zutiefst betroffen und weinten und jammerten; und sie waren fest davon überzeugt, dass Pythagoras ein göttlicher Mensch sei. Deshalb hatten sie ihm sogar ihre Frauen anvertraut, damit diese etwas von seiner Lehre vernehmen dürften. Diese seien dann Pythagoreerinnen genannt worden.
Diogenes Lartios

Man erzählt auch Folgendes von den Pythagoreern, dass keiner von ihnen einen Sklaven strafte oder einen Freien zurechtwies, solange der Zorn ihn beherrschte. Jeder wartete vielmehr, bis sich der Normalzustand des Verstandes wiederhergestellt hatte. (Das Zurechweisen nannten sie Umordnen.)
Jamblichos

---

Francis Bacon, Essays (1625)

Eine Beimischung von Lüge erhöht wohl immer das Vergnügen. Weiß nicht jeder, dass, wenn man aus dem menschlichen Herzen Eitelkeit, Hoffart, Überschätzung, Einbildung und dergleichen herausrisse, bei vielen eine armselige, verschrumpfte Seele übrig bliebe, voll von Trübsal und Missmut, sich selbst zum Verdruss?
(Über die Wahrheit)

Wer mitten in vollem Schaffen stirbt, ist gleich dem, der in der Erregung verwundet wird, so dass er im Augenblick kaum die Wunde fühlt. Deshalb wendet der auf etwas Gutes gerichtete Sinn die Schrecken des Todes ab.
(Über den Tod)

Die Tugend des Glückes ist Mäßigung, die Tugend des Unglückes ist Tapferkeit, welche in der Sittenlehre als die heldenhaftere Tugend gilt.
(Über das Unglück)

Wenn aber jemand für verschwiegen gehalten wird, so lädt er zur Mitteilung geradezu ein, so wie die eingeschlossene Luft die Außenluft aufsaugt; und wie bei einer Beichte die Enthüllung nicht weltlicher Zwecke wegen, sondern zur Erleichterung des Herzens geschieht, so gelangen die Verschwiegenen auf diese Weise zur Kenntnis vieler Dinge, da die Menschen sich nicht sowohl untereinander Mitteilungen machen als sich etwas von der Seele reden wollen. Kurz gesagt, wer zu schweigen weiß, wird Geheimnisse hören. Überdies, um die Wahrheit zu gestehen, ist Nacktheit ebenso unziemlich für den Geist wie für den Leib, und es erhöht das Ansehen von Benehmen und Handeln eines Menschen nicht wenig, wenn er sich nicht allzu offenherzig zeigt.
(Über Verstellung und Heuchelei)

...die Menschen sind zu schlau, um zu dulden, dass jemand eine unparteiische Haltung einnimmt und verschwiegen ist, ohne die Waagschale nach einer Seite hin sinken zu lassen. Sie werden ihn so mit Fragen bestürmen und bedrängen und ihn bearbeiten, dass er, falls er nicht in unpassendem Schweigen verharren will, seine Stellung zur Sache verraten muss. Tut er dies aber nicht, so schließen sie aus seinem Schweigen wie aus seinem Reden. Was Doppelsinnigkeit und dunkle Äußerungen angeht, so reichen sie nicht lange aus. Es kann also keiner verschwiegen sein, der sich nicht ein wenig Spielraum zur Verstellung erlaubt, die gleichsam das Gewand oder die Schleppe der Verschwiegenheit ist.
(Über Verstellung und Heuchelei)

Nichts verstärkt nämlich den Neid mehr als unnötiges und ehrgeiziges Ansichreißen von Ämtern; wie nichts die Missgunst wirksamer vertilgt, als wenn eine hochgestellte Persönlichkeit allen untergeordneten Beamten die vollen Rechte und Vorzüge ihrer Ämter lässt. Dadurch stellt sie ebenso viele Schutzwehren zwischen sich und dem Neide her.
(Über den Neid)

Selbst die weisesten Fürsten brauchen es nicht für eine Beeinträchtigung ihrer Größe oder Schmälerung ihrer eigenen Fähigkeiten zu halten, Rat anzunehmen. (...) Jedwede Sache will hin und her erwogen sein; will man sie jedoch nicht in der Beratung sozusagen durchrütteln lassen und schütteln lassen, so wird das Schicksal sie auf seinen Wogen durchschütteln; sie hat dann weder Bestand noch Dauer, sondern schwankt einher wie ein Betrunkener.
(Über das Beraten)

Es ist von besonderem Wert für Fürsten, die Meinungen seiner Räte sowohl getrennt als in der Versammlung entgegenzunehmen. Denn unter vier Augen sind ihre Äußerungen freimütiger, aber vor anderen rücksichtsvoller. Im Privatgespräch geht jeder mehr aus sich heraus, in der Versammlung aber schließt er sich der Stimmung der andern an. Daher ist es nützlich, sich beider Arten zu bedienen. Mit den schlichten Seeelen verhandle man im einzelnen, damit sie frei ihre Meinung sagen, mit den großen Herren lieber in Gemeinschaft, damit sie sich um so bedachtsamer äußern. Es ist übrigens zwecklos, dass Fürsten sich über Sachen Rat holen, ohne es zugleich über Personen zu tun. Denn alle Sachen sind leblosen Bildern gleich, und die Abwicklung der Staatsgeschäfte beruht im wesentlichen auf der guten Auswahl der Personen. Auch genügt es nicht, sich über Personen ganz allgemein wie nach einer Idee oder mathematischen Formel zu erkundigen, um Art und Wesen zu erkennen. Denn in der Wahl von Persönlichkeiten werden sowohl die größten Fehler begangen, wie sich darin der größte Scharfsinn kundgibt.
(Über das Beraten)

Bücher reden ohne Umschweife, wo Ratgeber Ausflüchte machen. Daher ist es gut, sich mit ihnen vertraut zu machen, besonders mit solchen, deren Verfasser selbst am Ruder des Staates gesessen haben.
(Über das Beraten)

---

Dies ganz gemeine Vergehen des Schönsten und Edelsten ist entsetzlich, und wenn man nicht noch grade innerlich so unauslöschlich mit dem Idealen zusammenhinge, man könnte dahin kommen, sich kopfüber in die Materie zu stürzen.
Theodor Storm

Was will das Individuum mit seiner Logik, wenn das Universum verlangt, daß es nach der seinigen lebe und sich richte und halte?
Wilhelm Raabe

Das Leben hat mich gelehrt, daß alles auf die Menschen ankommt, nicht auf die sogenannten Verhältnisse.
Theodor Fontane

O lass nicht ohne Lebensgenuss
Dein Leben verfließen!
Und bist du sicher vor dem Schuss,
So lass sie nur schießen.

Fliegt dir das Glück vorbei einmal,
So fass es am Zipfel.
Auch rat ich dir, baue dein Hüttchen im Tal
Und nicht auf dem Gipfel.
Heinrich Heine

Guter Rat
Lass dein Grämen und dein Schämen!
Werbe keck und fordre laut,
Und man wird sich dir bequemen,
Und du führest heim die Braut.

Wirf dein Gold den Musikanten,
Denn die Fidel macht das Fest;
Küsse deine Schwiegertanten,
Denkst du gleich: Hol euch die Pest!

Rede gut von einem Fürsten,
Und nicht schlecht von einer Frau;
Knickre nicht mit deinen Würsten,
Wenn du schlachtest eine Sau.

Ist die Kirche dir verhasst, Tor,
Desto öfter geh hinein;
Zieh den Hut ab vor dem Pastor,
Schick ihm auch ein Fläschchen Wein.

Fühlst du irgendwo ein Jücken,
Kratze dich als Ehrenmann;
Wenn dich deine Schuhe drücken,
Nun, so zieh Pantoffeln an.

Hat versalzen dir die Suppe
Deine Frau, bezähm die Wut,
Sag ihr lächelnd: Süße Puppe,
Alles was du kochst ist gut.

Trägt nach einem Schal Verlangen
Deine Frau, so kauf ihr zwei;
Kauf ihr Spitzen, goldne Spangen
Und Juwelen noch dabei.

Wirst du diesen Rat erproben,
Dann, mein Freund! Genießest du
Einst das Himmelreich dort oben,
Und du hast auf Erden Ruh.
Heinrich Heine

Narretei
Ich habe verlacht, bei Tag und bei Nacht,
So Männer wie Frauenzimmer,
Ich habe große Dummheiten gemacht -
Die Klugheit bekam mir noch schlimmer.

Die Magd ward schwanger und gebar -
Wozu das viele Gewimmer?
Wer nie im Leben töricht war,
Ein Weiser war er nimmer.
Heine