Zitate: Heinrich Heine

Der 150. Todestag von Heinrich Heine ist es wert, im Rahmen meiner Zitat-Sammlung einen gesonderten und ausgewiesenen Platz für diesen Dichter einzuräumen. Mit den Texten Heines lebe ich seit meinem 14. Lebensjahr – bis heute. Es scheint, dass er vor allem zu der Gattung von Schriftstellern gehört, die wir als Jugendliebe bezeichnen – wie etwa auch Hermann Hesse. Aber so wenig alles falsch ist, was wir in der Jugend gedacht und gefühlt haben – mitunter ist es auch richtiger als alles, was wir heute denken -, so lohnend ist es auch, im Laufe des Lebens immer wieder zu Heine zurückzukehren. Er ist weit mehr als der große Ironiker, der die romantische Lyrik mit ihren eigenen Sprachmitteln überboten, modernisiert und erneuert hat. Er ist, ein seltener Fall, auch ein deutscher Schriftsteller, dessen Sprachkunst die restaurative, enge Kleinstaaterei weit überschritten hatte. Das war die zwangsläufige Folge seines Exils in Paris ab 1831. Insbesondere in der kulturellen Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland gebührt ihm ein bleibendes Verdienst. Heine ist also ein europäischer Schriftsteller. Darüber hinaus ist er ein begnadeter Feuilletonist – eine Schreibart, die er mit seinen Reisebildern selbst erst geschaffen hat. Und ein versierter Intellektueller, dessen Auseinandersetzung mit der deutschen Philosophie und Literatur längst noch nicht ausgelotet ist. Denn Heine ist nicht nur voller Witz und Esprit, er ist auch ein brillanter Vermittler von geistigen Ideen, dessen klare, verspielte und treffende Sprache auch schwierige Sachverhalte unnachahmlich auf den Punkt bringt.
Damit gehört er freilich zu den als schöngeistig verrufenen Schriftstellern, die durch populärwissenschaftlichen Sprachgestus für den ernsthaften Gelehrten angeblich nicht in Frage kommen. – In seiner herausragenden Arbeit Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834) hat Heine selbst mit diesem elitären Dünkel ein für allemal aufgeräumt:

Große deutsche Philosophen, die etwa zufällig einen Blick in diese Blätter werfen, werden vornehm die Achseln zucken über den dürftigen Zuschnitt alles dessen, was ich hier vorbringe. Aber sie mögen gefälligst bedenken, dass das wenige, was ich sage, ganz klar und deutlich ausgedrückt ist, während ihre eigenen Werke zwar sehr gründlich, unermessbar gründlich, sehr tiefsinnig, stupend tiefsinnig, aber ebenso unverständlich sind. Was helfen dem Volke die verschlossenen Kornkammern, wozu es keinen Schlüssel hat? Das Volk hungert nach Wissen und dankt mir für das Stückchen Geistesbrot, was ich ehrlich mit ihm teile.
Ich glaube, es ist nicht Talentlosigkeit, was die meisten deutschen Gelehrten davon abhält, über Religion und Philosophie sich populär auszusprechen. Ich glaube, es ist Scheu vor den Resultaten ihres eigenen Denkens, die sie nicht wagen dem Volke mitzuteilen. Ich, ich habe nicht diese Scheu, denn ich bin kein Gelehrter, ich selber bin Volk. (S. 3f.)

Diese Sätze sollte man so manchem elitären Intellektuellen ins Stammbuch schreiben. Denn was bedeutet sprachliche Kompetenz denn anderes, als auch das Verwickelte und Schwierige in klaren und allgemein verständlichen Worten sagen zu können? Das wusste schon die antike Rhetorik, dass klares, deutliches und angemessenes Sprechen die Visitenkarte guten Stils ist – und zwar in Konfrontation gerade mit dem Laienpublikum, dessen Urteil man durch Glaubwürdigkeit und Überzeugung zu seinen Gunsten wenden muss. Die spezielle Sprachkompetenz des Gelehrten ist allenfalls die, dass er über Schwieriges schwierig sprechen kann, das heißt differenziert und unverkürzt bis ins Detail, gerüstet mit den entsprechenden Methoden und Fachwörtern seiner Disziplin. Sobald jedoch das Wissen der Allgemeinheit zu vermitteln ist, kommt es eben darauf an, die Grundgedanken anschaulich und eindringlich auf den Begriff zu bringen. Sonst wird Wissen schlicht asozial und bleibt ohne Realität und Auswirkung in der Gesellschaft. Einen Satz von Wittgenstein variierend, ließe sich also sagen: Worüber man nicht klar und einfach sprechen kann, darüber sollte man besser schweigen.
Bei einer Zitat-Präsentation Heines ist man im Übrigen gut beraten, sich derselben assoziativen Sprunghaftigkeit und feuilletonistischen Flatterhaftigkeit zu bedienen, wie es der Meister selbst liebte. Nur so bewahrt man sich den Blick auf die Brüche und Widersprüche in seinem Schreiben. Nehmen wir nur einmal die historische Entwicklung des Christentums: Laut Heine wurden in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten alle rivalisierenden Gedankengebäude für die Dogmatik perfekt genutzt. Der Trick: Integrieren und bis zur Unkenntlichkeit als Eigenes ausgeben. So resultiert der schroffe Gegensatz zwischen Gott und Welt, zwischen Geist und Materie nicht zuletzt aus der Überwindung von Sekten wie dem Manichäismus und der Gnosis:

Die Lehre von den beiden Prinzipien, dem guten und dem bösen, die sich bekämpfen, ist beiden eigen. Die einen, die Manichäer, erhielten diese Lehre aus der altpersischen Religion, wo Ormuzd, das Licht, dem Ahriman, der Finsternis feindlich entgegengesetzt ist. Die anderen, die eigentlichen Gnostiker, glaubten vielmehr an die Präexistenz des guten Prinzips und erklärten die Entstehung des bösen Prinzips durch Emanation, durch Generationen von Äonen, die, je mehr sie von ihrem Ursprung entfernt sind, sich desto trüber verschlechtern. Nach Cerinthus war der Erschaffer unserer Welt keineswegs der höchste Gott, sondern nur eine Emanaion derselben, einer von den Äonen, der eigentliche Demiurgos, der allmählich ausgeartet ist, und jetzt als böses Prinzip dem aus dem höchsten Gott unmittelbar entsprungenen Logos, dem guten Prinzip, feindlich gegenüberstehe. Diese gnostische Weltsicht ist urindisch, und sie führte mit sich die Lehre von der Inkarnation Gottes, von der Abtötung des Fleisches, vom geistigen Insichselbstversenken, sie gebar das asketisch beschauliche Mönchsleben, welches die reinste Blüte der christlichen Idee. (…) Dem guten Christus steht der böse Satan entgegen; die Welt des Geistes wird durch Christus, die Welt der Materie durch Satan repräsentiert; jenem gehört unsere Seele, diesem unser Leib; und die ganze Erscheinungswelt, die Natur, ist demnach ursprünglich böse, und Satan, der Fürst der Finsternis, will uns damit ins Verderben locken, und es gilt allen sinnlichen Freuden des Lebens zu entsagen, unsern Leib, das Lehn Satans, zu peinigen, damit die Seele sich desto herrlicher emporschwinge in den lichten Himmel, in das strahlende Reich Christi.
(Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, S. 6f.)

Die Konsequenzen, die Heine aus dieser radikalen und unversöhnlichen Aufspaltung des Lebens in sündige Materie und unbefleckten Geist zieht, sind klar: Von der Spätantike über das Mittelalter bis weit in die Neuzeit hinein sind wir zutiefst verstörte, unharmonische, seelisch gequälte, ja innerlich erkrankte Menschen geworden. Schon lange vor der modernen Psychologie und Psychoanalyse stellt er fest:

Diese Weltansicht, die eigentliche Idee des Christentums, hatte sich unglaublich schnell über das ganze römische Reich verbreitet, wie eine ansteckende Krankheit, das ganze Mittelalter hindurch dauerten die Leiden, manchmal Fieberwut, manchmal Abspannung, und wir Modernen fühlen noch immer Krämpfe und Schwäche in den Gliedern. Ist auch mancher von uns schon genesen, so kann er doch der allgemeinen Lazarettluft nicht entrinnen, und er fühlt sich unglücklich als der einzig Gesunde unter lauter Siechen. Einst, wenn die Menschheit ihre völlige Gesundheit wieder erlangt, wenn der Friede zwischen Leib und Seele wieder hergestellt und sie wieder in ursprünglicher Harmonie sich durchdringen, dann wird man den künstlichen Hader, den das Christentum zwischen beiden gestiftet, kaum begreifen können. (Ebd., S. 7)

Heine lässt es bei dieser Analyse nicht bewenden. Er entwickelt ein utopisches Gegenmodell voll irdischen Glücks, das er dem seelischen Flurschaden entgegenhält, den das Christentum angerichtet hat:

Die glücklicheren und schöneren Generationen, die, gezeugt durch freie Wahlumarmung, in einer Religion der Freude emporblühen, werden wehmütig lächeln über ihre armen Vorfahren, die sich aller Genüsse dieser schönen Erde trübsinnig enthielten, und durch Abtötung der warmen, farbigen Sinnlichkeit fast zu kalten Gespenstern verblichen sind! Ja, ich sage es bestimmt, unsere Nachkommen werden schöner und glücklicher sein als wir. Denn ich glaube an der Fortschritt, ich glaube, die Menschheit ist zur Glückseligkeit bestimmt, und ich hege also eine größere Meinung von der Gottheit als jene frommen Leute, die da wähnen, sie habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen. Schon hier auf Erden möchte ich durch die Segnungen freier politischer und industrieller Institutionen jene Seligkeit etablieren, die nach der Meinung der Frommen erst am jüngsten Tage im Himmel stattfinden soll. (Ebd., S. 7f.)

Was ist das? Platter Fortschrittsoptimismus der Aufklärung, der aus dem 18. Jahrhundert noch nachwirkt? Säkularisierte Heilserwartung, die so töricht ist, die geistige Substanz der Metaphysik mit dem Erwerbstrieb der Industrie und materieller Wohlfahrt zu verwechseln? – Für derlei Festlegungen ist Heine einfach zu multiperspektivisch. Wer um eine Erfassung seiner komplexen intellektuellen Signatur bemüht ist, stellt fest, dass Heine nicht frei von der pessimistischen Variante des Humanismus und selbst des Christentums ist. Die Welt könnte auch leicht vom alten Adam so weit beherrscht werden, dass die moralische Verderbnis des Menschengeschlechts eine ewige Konstante in der Geschichte bleibt. Dass sie technisch zwar fortschreiten kann, moralisch aber ewig auf der Stelle tritt. Denn obiges Zitat setzt er unmittelbar fort wie folgt:

Jenes ist vielleicht ebenso wie dieses eine törichte Hoffnung, und es gibt keine Auferstehung der Menschheit, weder im politisch moralischen, noch im apostolisch katholischen Sinne. Die Menschheit ist vielleicht zu ewigem Elend bestimmt, die Völker sind vielleicht auf ewig verdammt, von Despoten zertreten, von den Spielgesellen derselben exploitiert, und von den Lakaien verhöhnt zu werden. Ach! In diesem Falle müsste man das Christentum, selbst wenn man es als Irrtum erkannt, dennoch zu erhalten suchen, man müsste in der Mönchskutte und barfuß durch Europa laufen, und die Nichtigkeit aller irdischen Güter und Entsagung predigen, und den gegeißelten und verspotteten Menschen das tröstende Kruzifix vorhalten und ihnen nach dem Tode dort oben alle sieben Himmel versprechen. (Ebd. S. 8)

Ein aufgeklärter Geist ist Heine schon. Aber die heilsgeschichtliche Erwartung auf Erden macht ihn nicht blind für den Wahrheitsgehalt des Christentums: Das womöglich unrettbar verderbte Geschlecht der Sterblichen braucht ein Trost- und Heilmittel. Eine höhere Welt, die Erlösung verspricht. Und schon aus pragmatischen Gründen kann man auf das Christentum nicht verzichten. Heine ist alles Mögliche, nur kein Glaubender: Weder politische Utopie noch religiöse Erlösung machen ihn zum Parteigänger. Er ist ein skeptischer Humanist. Und ein zupackender Utopist. Zur gleichen Zeit. Außerdem natürlich ein Ästhetizist – und dies weit stärker als alle anderen Momente zusammengenommen. Das beweist gerade sein Verhältnis zum Christentum:

Ewiger Ruhm gebührt dem Symbol jenes leidenden Gottes, des Heilands mit der Dornenkrone, des gekreuzigten Christus, dessen Blut gleichsam der lindernde Balsam war, der in die Wunden der Menschheit herabrann. Besonders der Dichter wird die schauerliche Erhabenheit dieses Symbols mit Ehrfurcht anerkennen. Das ganze System von Symbolen, die sich ausgesprochen in der Kunst und im Leben des Mittelalters, wird zu allen Zeiten die Bewunderung der Dichter erregen. (Ebd. S. 8)

Skeptischer Humanist, wozu auch Christentum und Judentum zählen, politischer Utopist, radikaler Aufklärer und Ästhetizist. – Was noch alles ist Heine? Natürlich ein großartiger Ironiker. Kaum hat sich der Leser daran gewöhnt, das Christentum sehr differenziert zu sehen, erfolgt schon wieder ein Gedankensprung:

Vielleicht eben weil die Großen dieser Erde ihrer Obermacht gewiss sind, und im Herzen beschlossen haben, sie ewig zu unserem Unglück zu missbrauchen, sind sie von der Notwendigkeit des Christentums für ihre Völker überzeugt, und es ist im Grunde ein zartes Menschlichkeitsgefühl, dass sie sich für die Erhaltung dieser Religion so viele Mühe geben! (Ebd., S. 8)

Mit dieser Wendung betritt Heine das Feld der politischen Satire. Der marxistische Satz, die Religion sei das Opium des Volkes, das man besser ausbeuten kann, wenn es narkotisiert ist, hat Heine sicher zugesagt.
Verlassen wir die Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland für einen Moment und sehen zu, dass wir die bis hierher erschlossene geistige Signatur des Heinrich Heine vielleicht auch anderswo bestätigt finden. Zum Beispiel in Deutschland. Ein Wintermärchen (1844). Als Erstes begegnet der Reisende einem kleinen singenden Harfenmädchen:

Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew’gen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.
(Caput I)

Hier spielen zwei Elemente virtuos ineinander: Einmal die von Heine kritisierte Spaltung von Leib und Seele, Materie und Geist, das alte Entsagungslied des Christentums. – Und gleichzeitig dessen Instrumentalisierung als einschläferndes Eiapopeia vom Himmel durch die Mächtigen. Politische Ironie und Satire blitzen auf. Heimlich Wein trinken und öffentlich Wasser predigen – wie vieles andere von Heine erlangte dieses Bild einen volkstümlichen Rang und ging in den allgemeinen deutschen Sprachschatz ein.
Auch das Moment der Ästhetik fehlt nicht. Dem wirklich Ersten, dem er begegnet, ist eigentlich nicht das Harfenmädchen. Es ist die deutsche Sprache. Sie, wenn überhaupt etwas, ist die eigentliche Heimat von Heine gewesen:

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
recht angenehm verblute.
(Caput I)

Auch versäumt Heine nicht, entgegen dem Entsagungslied des Christentums, seine utopischen Hoffnungen auf ein glückliches Diesseits aufrechtzuerhalten:

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
(Caput I)

Der mit dem utopischen Frühsozialismus (St. Simon) weit mehr als mit dem Kommunismus sympathisierende Heine legt ein Glaubensbekenntnis ab, das materielle Gerechtigkeit und Sicherheit mit kulturellen Grundbedürfnissen verbindet. Letztere sind hier nicht einfach nur „Überbau“. Sie bilden zusammen mit den materiellen Gegebenheiten erst die gemeinsame und untrennbare Basis eines ganzen Mensch: Brot, Rosen, Myrten, Schönheit und Lust.
Wir sehen also, dass im ersten Kapitel des Wintermärchens alle intellektuellen Eigenheiten sichtbar werden, die Heine in seiner Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland geistesgeschichtlich zu begründen bemüht ist.
Heines Ironie ist auch eine lachende, beileibe nicht immer bloß sozialkritische Ironie. Ein schönes Beispiel findet sich in Caput II. Der Reisende schildert wie folgt die deutsche Zollkontrolle:

Beschnüffelten alles, kramten herum
In Hemden, Hosen, Schnupftüchern;
Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,
Auch nach verbotenen Büchern.

Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!
Hier werdet ihr nichts entdecken!
Die Contrebande, die mit mir reist,
Die hab ich im Kopfe stecken.
(…)
Und viele Bücher trag ich im Kopf!
Ich darf es euch versichern,
Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest
Von konfiszierlichen Büchern.

Auch vor dem Kalauer und politischen Witz schreckte Heine nicht zurück. Der militaristische preußische Schnurrbart zum Beispiel ist das feudalistische Zopftum von vorgestern:

Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur
Des Zopftums neuere Phase:
Der Zopf, der ehemals hinten hing,
Der hängt jetzt unter der Nase.
(Caput III)

Doch seine ironisch geschärfte Klinge kann auch angriffslustig sein, kann persönlich und polemisch werden, scheut keinen verbalen Zweikampf. So lässt er über den einflussreichen Literaturkritiker Wolfgang Menzel, einen völkisch-patriotischen Spätromantiker, folgende Bemerkung fallen:

Fatal ist mir das Lumpenpack,
Das, um die Herzen zu rühren,
Den Patriotismus trägt zur Schau
Mit allen seinen Geschwüren.

Schamlose schäbige Bettler sind’s,
Almosen wollen sie haben –
Ein’n Pfennig Popularität
Für Menzel und seine Schwaben!
(Caput XXIV)

Aber weit gefehlt, dass Heine etwa nur im Versmaß eine politische Waffe besaß. Seine Prosa ist meisterhaft in ihrer Steigerung und Verdichtung, wo er sich grundlegend zum Patriotismus äußert. Hier eine Passage aus dem Vorwort zum Wintermärchen, in dem der Dichter über die mögliche Aufnahme des Büchleins beim deutschen Publikum nachdenkt:

Ich höre schon ihre Bierstimmen Du lästerst sogar unsere Farben, Verächter des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den freien Rhein abtreten willst! Beruhigt euch. Ich werde eure Fahnen achten und ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine müßige oder knechtische Spielerei sind. Pflanzt die schwarz-rot-goldene Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschentums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben.

Dieses Zitat ist ein Musterbeispiel für den kulturellen Begriff von Heimat, an dem Heine festhält – die deutsche Sprache, Literatur und Philosophie. Und eben in dieser drückt sich ein Humanismus aus, der universell ist. Und in dieser universellen Vermittlung eines allgemeinen und freien Menschseins, eben darin müsste vor allem der deutsche Patriotismus bestehen:

Ich bin der Freund der Franzosen, wie ich der Freund aller Menschen bin, wenn sie vernünftig und gut sind.

Und von hier aus, von diesem großen deutschen Idealismus, soll der Deutsche sein Land in der Welt vertreten. Um den Rhein, so Heine, brauche man sich keine Sorgen zu machen. Der gehöre ihm und der deutschen Dichtung und den Rheinländern. Aber Elsaß Lothringen, jetzt französisch, müsse man mit eben diesem humanistischen, nicht nationalstaatlich beengten Patriotismus erobern:

Indessen, die Elsasser und Lothringer werden sich wieder an Deutschland anschließen, wenn wir das vollenden, was die Franzosen begonnen haben, wenn wir diese überflügeln in der Tat, wie wir es schon getan im Gedanken, wenn wir uns bis zu den letzten Folgerungen desselben emporschwingen, wenn wir die Dienstbarkeit bis in ihrem letzten Schlupfwinkel, dem Himmel, zerstören, wenn wir den Gott, der auf Erden im Menschen wohnt, aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöser Gottes werden, wenn wir das arme, glückenterbte Volk und den verhöhnten Genius und die geschändete Schönheit wieder in ihre Würde einsetzen, wie unsere großen Meister gesagt und gesungen, und wie wir es wollen, wir, die Jünger – ja, nicht bloß Elsass und Lothringen, sondern ganz Frankreich wird uns alsdann zufallen, ganz Europa, die ganze Welt – die ganze Welt wird deutsch werden! Von dieser Sendung und Universalherrschaft Deutschlands träume ich oft, wenn ich unter Eichen wandle. Das ist mein Patriotismus.

Kehren wir zurück zur „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“. Der Keil, den das Christentum zwischen Sinnesfreuden und geistige Seligkeit getrieben hat, sitzt tief und fest. Heine hat sich intensiv mit dem Christentum befasst und führt alles ins Feld, was die ästhetischen, politischen und psychologischen Folgen dieser großen Spaltung aufzeigt. So zum Beispiel auch volkstümliches Erzählgut:

Im Mai 1433, zur Zeit des Konzils, ging eine Gesellschaft Geistlicher in einem Gehölze bei Basel spazieren, Prälaten und Doktoren, Mönche von allen Farben, und sie disputierten über theologische Streitigkeiten und distinguierten und argumentierten, oder stritten über Annaten, Expectativen und Reservationen, oder untersuchten, ob Thomas von Aquino ein größerer Philosoph sei als Bonaventura, was weiß ich! Aber plötzlich, mitten in ihren dogmatischen und abstrakten Diskussionen, hielten sie inne, und blieben wie angewurzelt stehen vor einem blühenden Lindenbaum, worauf eine Nachtigall saß, die in den weichsten und zärtlichsten Melodien jauchzte und schuchzte. Es war den gelehrten Herren dabei so wunderselig zumute, die warmen Frühlingstöne drangen ihnen in die scholastisch verklausulierten Herzen, ihre Gefühle erwachten aus dem dumpfen Winterschlaf, sie sahen sich an mit staunendem Entzücken; - als endlich einer von ihnen die scharfsinnige Bemerkung machte, dass solches nicht mit rechten Dingen zugehe, dass diese Nachtigall wohl ein Teufel sein könne, dass dieser Teufel sie mit seinen holdseligen Lauten von ihren christlichen Gesprächen abziehen und zu Wollust und sonstig süßen Sünden verlocken wolle, und er hub an zu exorzieren. (…) Bei dieser Beschwörung, sagt man, habe der Vogel geantwortet „Ja, ich bin ein böser Geist!“, und sei lachend davon geflogen; diejenigen aber, die seinen Gesang gehört, sollen noch selbigen Tages erkrankt und bald darauf gestorben sein.
Diese Geschichte bedarf wohl keines Kommentars. Sie trägt ganz das grauenhafte Gepräge einer Zeit, die alles, was süß und lieblich war, als Teufel verschrie. Die Nachtigall sogar wurde verleumdet, und man schlug ein Kreuz, wenn sie sang. Der wahre Christ spazierte mit ängstlich verschlossenen Sinnen, wie ein abstraktes Gespenst, in der blühenden Natur umher. (S. 9)

Interessant ist auch der Hinweis, wie sehr es das Christentum verstand, sich regional völlig unterschiedliche Varianten des Volksglaubens anzueignen und einzuverleiben. Also nicht nur rivalisierende Sekten (Manichäer und Gnostiker), sondern auch rivalisierende Mythen und Götter konnte der große, mit scholastischer Bedächtigkeit verdauende Magen der christlichen Kirche spielend in sich aufnehmen:

Nur über das gute Prinzip, über das Reich Christi, hegte man in ganz Europa dieselben Ansichten; dafür sorgte die römische Kirche, und wer hier von der vorgeschriebenen Meinung abwich, war ein Ketzer. Aber über das böse Prinzip, über das Reich Satans, herrschten verschiedene Ansichten in den verschiedenen Ländern, und im germanischen Norden hatte man ganz andere Vorstellungen davon wie im romanischen Süden. Dieses entstand dadurch, dass die christliche Priesterschaft die vorgefundenen alten Nationalgötter nicht als leere Hirngespinste verwarf, sondern ihnen eine wirkliche Existenz einräumte, aber dabei behauptete, alle die Götter seien lauter Teufel und Teufelinnen gewesen, die durch den Sieg Christi ihre Macht über die Menschen verloren und sie jetzt durch Lust und List zur Sünde verlocken wollen. (S. 10)

Laut Heine ist der Teufel also die multikulturelle Integrationsfigur für das einfache Volk. Darauf folgt ein kulturgeschichtlicher Vergleich, der das Nord-Süd-Gefälle der europäischen Mentalität beschreibt:

Der Nationalglaube in Europa, im Norden noch viel mehr als im Süden, war pantheistisch, seine Mysterien und Symbole bezogen sich auf einen Naturdienst, in jedem Elemente verehrte man wunderbare Wesen, in jedem Baume atmete eine Gottheit, die ganze Erscheinungswelt war durchgöttert; das Christentum verkehrte diese Ansicht, und an die Stelle einer durchgötterten Natur trat eine durchteufelte. (S.10)

Es ist also unser nordischer Urglaube, der uns noch instinktiv beherrscht, wenn wir vor „teuflischer“ Sinnlichkeit zurückschrecken. Für das Christentum war nur das Zurückschrecken an sich wichtig. Wir dagegen rufen vielleicht mit dem armen Tannhäuser im Venusberg, den Heine sofort als Zeugen aufbietet:

O Venus, schöne Frauen mein,
Ihr seid ein’ Teufelinne!
(Von Heine zitiert, S. 10)

Die Identifikation des sinnlichen Prinzips mit dem teuflischen, vollends mit dem weiblichen, erklärt sehr deutlich, warum die Psychoanalytiker bis heute so viel zu tun haben.
Wie steht es nun mit der südlichen Mentalität?

Die heiteren, durch die Kunst verschönerten Gebilde der griechischen Mythologie, die mit der römischen Zivilisation im Süden herrschte, hat man jedoch nicht so leicht in hässliche, schauerliche Satanslarven verwandeln können wie die germanischen Göttergestalten, woran freilich kein besonderer Kunstsinn gemodelt hatte, und die schon vorher so missmutig und trübe waren wie der Norden selbst. (S. 10f.)

All das zeigt, wie ernsthaft der an sich areligiöse Heine die Rolle des Christentums gewürdigt hat. Und er zögert nicht, diese Analyse auch auf literarhistorische Themen anzuwenden:

Ihr habt (Heine spricht die Franzosen an, für die er ursprünglich die „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ verfasst hat), ebenso wie wir, mehrere Sorten von Elementargeistern, aber die unsrigen sind von den eurigen so verschieden wie ein Deutscher von einem Franzosen. Die Dämonen in euren Fabliaux und Zauberromanen, wie hellfarbig und besonders wie reinlich sind sie in Vergleichung mit unserer grauen und sehr oft unflätigen Geisterkanaille. (…) Eure Nixen, z. B. die Melusine, sind von den unsrigen ebenso verschieden wie eine Prinzessin von einer Wäscherin. (S. 11)

Der Rest von Harmonie zwischen Geist und Materie, den das Christentum nicht gänzlich vertilgen konnte, lebt fort in der Griechisch-Römischen Antike, deren Kunst und Mythologie das Diesseits verschönerte und bejahte. Wo diese Kräfte die Kultur in Europa nicht nachhaltig geprägt haben, entsteht in der volkstümlichen Literatur das Düstere, Hässliche, Trübe und Abstoßende.
Der Bruch zwischen Geist und Materie, den das Christentum verursacht hat, bleibt Heines Leitmotiv bei seiner Interpretation der Geistesgeschichte. Das Motiv kehrt prompt wieder, und zwar in einer ironischen Rechtfertigung der katholischen Kirche gegenüber dem Unverstand der Protestanten. Schon Luther habe nicht eingesehen, dass der Ablass-Handel und überhaupt das ganze Beichtsystem ein kluges pragmatisches Instrument der Kirchenpolitik war: Die absolute Trennung in Geist und Körper ist in der Praxis nicht aufrechtzuerhalten. Die sinnlichen Freuden sind als Sünde immer schon Teil des Systems, das einsichtig genug ist, die Lebensrealität zu berücksichtigen und anzuerkennen:

Denn Luther hatte nicht begriffen, dass die Idee des Christentums, die Vernichtung der Sinnlichkeit, gar zu sehr in Widerspruch war mit der menschlichen Natur, als dass sie jemals im Leben ganz ausführbar gewesen sei; er hatte nicht begriffen, dass der Katholizismus gleichsam ein Konkordat war zwischen Gott und dem Teufel, d.h. zwischen dem Geist und der Materie, wodurch die Alleinherrschaft des Geistes in der Theorie ausgesprochen wird, aber die Materie in den Stand gesetzt wird, alle ihre annullierten Rechte in der Praxis auszuüben. Daher ein kluges System von Zugeständnissen, welche die Kirche zum Besten der Sinnlichkeit gemacht hat, obgleich immer unter Formen, welche jeden Akt der Sinnlichkeit fletrieren (fletrir (fr.) = niederschmettern) und dem Geiste seine höhnischen Usurpationen verwahren. Du darfst den zusätzlichen Neigungen des Herzens Gehör geben und ein schönes Mädchen umarmen, aber du musst eingestehen, dass es eine schändliche Sünde war, und für diese Sünde musst du Abbuße tun. Dass diese Abbuße durch Geld geschehen konnte, war ebenso wohltätig für die Menschheit, wie nützlich für die Kirche. Die Kirche ließ, sozusagen, Wehrgeld bezahlen für jeden fleischlichen Genuss, und da entstand eine Taxe für alle Sorten von Sünden, und es gab heilige Kolporteurs, welche im Namen der römischen Kirche die Ablasszettel für jede taxierte Sünde im Lande feilboten, und ein solcher war jener Tetzel, wogegen Luther zuerst auftrat. Unsere Historiker meinen, dieses Protestieren gegen den Ablasshandel sei ein geringfügiges Ereignis gewesen, und erst durch römischen Starrsinn sei Luther, der anfangs nur gegen einen Missbrauch der Kirche geeifert, dahin getrieben worden, die ganze Kirchenautorität in ihrer höchsten Spitze anzugreifen. Aber das ist eben ein Irrtum, der Ablasshandel war kein Missbrauch, er war eine Konsequenz des ganzen Kirchensystems, und indem Luther ihn angriff, hatte er die Kirche selbst angegriffen, und diese musste ihn als Ketzer verdammen. Leo X., der feine Florentiner, der Schüler des Politian, der Freund des Raphael, der griechische Philosoph mit der dreifachen Krone, die ihm das Konklave vielleicht deshalb erteilte, weil er an einer Krankheit litt, die keineswegs durch christliche Abstinenz entsteht und damals noch sehr gefährlich war … Leo von Medicis, wie musste er lächeln über den armen, keuschen, einfältigen Mönch, der da wähnte, das Evangelium sei die Charte des Christentums, und diese Charte müsse eine Wahrheit sein! Er hat vielleicht gar nicht gemerkt, was Luther wollte, indem er damals viel zu sehr beschäftigt war mit dem Bau der Peterskirche, dessen Kosten eben mit den Ablassgeldern bestritten wurde, so dass die Sünde ganz eigentlich das Geld hergab zum Bau dieser Kirche, die dadurch gleichsam ein Monument sinnlicher Lust wurde, wie jene Pyramide, die ein ägyptisches Freudenmädchen für das Geld erbaute, das sie durch Prostitution erworben. (…) Dieses begriff man nicht im deutschen Norden. Denn hier, weit eher als unter dem glühenden Himmel Italiens, war es möglich, ein Christentum auszuüben, das der Sinnlichkeit die allerwenigsten Zugeständnisse macht. Wir Nordländer sind kälteren Blutes, und wir bedurften nicht so viel Ablasszettel für fleischliche Sünden, als uns der väterlich besorgte Leo zugeschickt hatte. Das Klima erleichterte uns die Ausübung der christlichen Tugenden, und am 31. Oktober 1517, als Luther seine Thesen gegen den Ablass an die Türe der Augustinerkirche anschlug, war der Stadtgraben von Wittenberg vielleicht schon zugefroren, und man konnte dort Schlittschuhe laufen, welches ein sehr kaltes Vergnügen und also keine Sünde ist. (S. 17f.)

Reiner Geist und materielle Sinnlichkeit, verstanden als moralische Lebenshaltung, sind für Heine erneut der Kompass, mit dem er durch die Geschichte navigiert. Er erkennt an, dass das Christentum eine geistig notwendige und wohltuende Gegenreaktion gegen die Dekadenz der spätrömischen Kultur war. Und als diese geistige Bewegung in Form des Ablass-Katholizismus selbst dekadent wurde, kam das Richtschwert des Protestantismus über sie, das seinerseits wohltuende moralische Wirkungen hervorrief und die Gegenpartei zur Läuterung nötigte.
Und natürlich hat Heine nicht die entscheidende Folge des Protestantismus verkannt: Denkfreiheit und Philosophie:

Von dem Reichstage an, wo Luther die Autorität des Papstes leugnet und öffentlich erklärt, „dass man seine Lehre durch die Aussprüche der Bibel selbst oder durch vernünftige Gründe widerlegen müsse“, da beginnt ein neues Zeitalter in Deutschland. (S. 24)

In der Folge beschreibt Heine die gedanklichen Entwicklungen, die zur deutschen Philosophie geführt haben. Er schildert die Bewusstseinsphilosophie und den Rationalismus des Descartes, erläutert den Empirismus anhand von Bacon und Locke und schwelgt im Pantheismus des Spinoza, der das Göttliche in Welt und Mensch selbst erkennen und wiedererwecken will. – Sehr innig ist seine Würdigung dieses jüdischen Philosophen:

Konstatiert ist es, dass der Lebenswandel des Spinoza frei von allem Tadel war, und rein und makellos wie das Leben seines göttlichen Vetters, Jesu Christi. Auch wie dieser litt er für seine Lehre, wie dieser trug er die Dornenkrone. Überall, wo ein großer Geist seinen Gedanken ausspricht, ist Golgatha. (S. 42)

Heine bekennt sich zwar gern zum Pantheismus, der durch Spinoza starken Einfluss auf die deutsche Literatur gewann, gehört seinem Empfinden nach aber am ehesten noch in eine Denkrichtung, wie sie Ludwig Feuerbach beschritten hat: Es geht ihm um den Gott, der auf Erden im Menschen wohnt (siehe oben das Vorwort zum „Wintermärchen“). Mit anderen Worten: Das Geheimnis der Theologie ist die Anthropologie. Von daher auch Heines politisch-utopischer Glaube an ein weltliches Evangelium:

Es ist eine irrige Meinung, dass diese Religion, der Pantheismus, die Menschen zum Indifferentismus führe. Im Gegenteil, das Bewusstsein seiner Göttlichkeit wird den Menschen auch zur Kundgebung derselben begeistern, und jetzt erst werden die wahren Großtaten des wahren Heroentums diese Erde verherrlichen. (S. 48)

Wie wenig dieses Bekenntnis im eigentlichen Sinne als religiös zu verstehen ist, zeigt Heines klare Analyse der Moderne: In der Philosophie und wissenschaftlichen Theorie sind Gott und alle Restbestände des Deismus seit Immanuel Kant für immer erledigt. Davon ist Heine fest überzeugt. Denn was in der Idee passiert ist, was als Gedanke einmal gedacht und ausgesprochen wurde, das ist für Heine (hierin ein Schüler Hegels) nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Mehr noch: Der Gedanke drängt zur Tat. Die Geistesgeschichte schreibt das Drehbuch für die politische Geschichte:

Der Gedanke will Tat, das Wort will Fleisch werden. Und, wunderbar! Der Mensch, wie der Gott der Bibel, braucht nur seinen Gedanken auszusprechen, und es gestaltet sich die Welt, es wird Licht oder es wird Finsternis, die Wasser sondern sich von dem Festland, oder gar wilde Bestien kommen zum Vorschein. Die Welt ist die Signatur des Wortes.
Dieses merkt euch, ihr stolzen Männer der Tat. Ihr seid nichts als unbewusste Handlanger der Gedankenmänner, die oft in demütigster Stille euch all euer Tun aufs bestimmteste vorgezeichnet haben. Maximilian Robespierre war nichts als die Hand von Jean Jacques Rousseau (...). (S. 67)

Deshalb hat auch „Die Kritik der reinen Vernunft“ (1781) in Heines Augen den Deismus zu Grabe getragen:

Man sagt, die Nachtgeister erschrecken, wenn sie das Schwert eines Scharfrichters erblicken. – Wie müssen sie erst erschrecken, wenn man ihnen Kants „Kritik der reinen Vernunft“ entgegenhält! Dieses Buch ist das Schwert, womit der Deismus hingerichtet worden in Deutschland. (S. 68)
Kant bewies uns, dass wir von den Dingen, wie sie an und für sich selber sind, nichts wissen, sondern dass wir nur insofern etwas von ihnen wissen, als sie sich in unserem Geiste reflektieren. (S. 72)
In Folge seiner Argumentation ist jenes transzendentale Idealwesen, welches wir bisher Gott genannt, nichts anders als eine Erdichtung. Es ist durch eine natürliche Illusion entstanden. Ja, Kant zeigt, wie wir von jenem Noumen, von Gott, gar nichts wissen können, und wie sogar jede künftige Beweisführung seiner Existenz unmöglich sei. Die Dante’schen Worte „Lasst die Hoffnung zurück!“ schreiben wir über diese Abteilung der Kritik der reinen Vernunft. (S. 73)

Heine selbst bedauert nicht, dass der Gott der Deisten, dieser abstrakte Mechanikus, der angeblich die rationale Weltmaschine im Gange hält, nach Kants Erscheinen in der Versenkung verschwindet und nur noch als geschichtliches Kuriosum vorwissenschaftlicher Intelligenz gehandelt wird. Für ihn befreit Kant die Menschheit von lebensfeindlichen, gespenstisch-scholastischen Abstraktionen; und der Blick wird frei dafür, wie sich das Göttliche gerade uns Menschen im Hier und Jetzt offenbaren könnte. Heine versteht sich durchaus als Prophet des geschichtlichen Weltgeistes, eine Denkweise, die alle befällt, die (wie Heine) zu sehr unter dem Einfluss Hegels stehen. Das Fazit: Die Ideen der deutschen Philosophie werden sich in der Geschichte durch ihre untergründige Eigenbewegung und dialektische Triebkraft zwangsläufig verwirklichen. Das demonstriert er nicht nur am Beispiel des Kritizismus eines Kant:

Die große Geisterbewegung hat Kant nicht sowohl durch den Inhalt seiner Schriften hervorgebracht, als vielmehr mit dem kritischen Geist, der darin waltete, und der sich jetzt in alle Wissenschaften eindrängte. Alle Disziplinen wurden davon ergriffen.
(...)
Deutschland war durch Kant in die philosophische Bahn hineingezogen, und die Philosophie ward eine Nationalsache. (S. 77)

Sondern auch für die gesamte, vom Deutschen Idealismus angestoßene philosophische Entwicklung:

Die deutsche Philosophie ist eine wichtige, das ganze Menschengeschlecht betreffende Angelegenheit, und erst die spätesten Enkel werden darüber entscheiden können, ob wir dafür zu tadeln oder zu loben sind, dass wir erst unsere Philosophie und hernach unsere Revolution ausarbeiteten. Mich dünkt, ein methodisches Volk wie wir musste mit der Reformation beginnen, konnte erst hierauf sich mit der Philosophie beschäftigen und durfte nur nach deren Vollendung zur politischen Revolution übergehen. (...) Lasst euch aber nicht bange sein, ihr deutschen Republikaner; die deutsche Revolution wird darum nicht milder und sanfter ausfallen, weil ihr die Kant’sche Kritik, der Fichtesche Transzendentalidealismus und gar die Naturphilosophie vorausging. Durch diese Doktrinen haben sich revolutionäre Kräfte entwickelt, die nur des Tages harren, wo sie hervorbrechen und die Welt mit Entsetzen und Bewunderung erfüllen können. Es werden Kantianer zum Vorschein kommen, die auch in der Erscheinungswelt von keiner Peität etwas wissen wollen, und erbarmungslos mit Schwert und Beil den Boden unseres europäischen Lebens durchwühlen, um auch die letzten Wurzeln der Vergangenheit auszurotten. Es werden bewaffnete Fichteaner auf den Schauplatz treten, die in ihrem Willensfanatismus weder durch Furcht noch durch Eigennutz zu bändigen sind; denn sie leben im Geist, sie trotzen der Materie, gleich den ersten Christen, die man ebenfalls weder durch leibliche Qualen noch durch leibliche Genüsse bezwingen konnte; (...) so wird der Naturphilosoph dadurch furchtbar sein, dass er mit den ursprünglichen Gewalten der Natur in Verbindung tritt, dass er die dämonischen Kräfte des altgermanischen Pantheismus beschwören kann, und dass alsdann in ihm jene Kampflust erwacht, die wir bei den alten Deutschen finden, und die nicht kämpft, um zu zernichten, noch um zu siegen, sondern bloß um zu kämpfen. (S. 101f.)

Heines Prognose der politischen Konsequenzen philosophischer Gedanken ist erstaunlich. Willensfanatiker und germanische Kampfeswut, die nur um des Kampfes willen kämpft - die haben wir in Gestalt des Nationalsozialismus zur Genüge erlebt. Heine hat vor dieser Gefahr entfesselter Barbarei gewarnt und das Christentum insbesondere dafür gelobt, dass es sie in Grenzen hielt. Oft scheint deshalb gar nicht sicher, welche Idee für Heine das abdankende Christentum ersetzen könnte. Einen dogmatischen Ansatz wird man in seinem Denken vergeblich suchen. Alle Reaktionsweisen auf die Zukunft sind bei ihm möglich: Skeptische Distanz genauso wie utopische Hoffnung. Die deutsche Revolution ist einerseits Befreiung, andererseits Gefährdung. Von Heines ästhetischen Bedenklichkeiten gegenüber der Moderne ganz zu schweigen. Was denn passieren würde, so meinte er einmal, wenn schwielige Arbeiterhände nach Kunstschätzen greifen? In manchen seiner Äußerungen ist er gar nicht so weit entfernt vom erst viel späteren Dandy-Wesen eines Oscar Wilde: Seit die Atheisten, so Heine, nach Käse und Branntwein stänken, habe er sich von ihnen abgewandt. – Andererseits wieder hat Heine zu viel politischen und historischen Sinn, um irgendwelche Fluchten ins Rückwärts anzutreten. Er ist ein genauer und brillanter Analytiker der modernen Welt. Und seine Lyrik ist ein artistisches Sprachspiel mit dem Repertoire der Romantik, das er als Letzter beherrschte, ja so vollendet beherrschte, dass seine Sprache noch teilweise volkstümlich werden konnte. Die „Loreley“ konnten noch nicht einmal die Nazis aus den deutschen Schulbüchern entfernen. „Autor unbekannt“ hatten sie darunter geschrieben. Denn Heine war Jude. Aber loswerden konnten sie die Loreley nicht. Heines lyrische Stimme ist in ihrem romantischen Ton absolut authentisch, nur die Ironie verrät, dass moderne Reflexion mitschwingt, ein Standpunkt, der über die Romantik historisch hinaus ist. Und dennoch: Der volksnahe musikalische Zauber seiner hoch artistischen Gedichte ist vielleicht nur mit dem Besten vergleichbar, was Eichendorff gedichtet hat. Und vielleicht noch Mörike.
Heine also war nicht zuletzt ein Denker der Moderne, der den flach werdenden Puls der alten Welt noch so lebendig in sich schlagen fühlte, dass er umso besser die Tragweite ihres endgültigen Verlustes begriff.
Hier seine Beschreibung der Eigenart aller modernen Literatur:

Der allgemeine Charakter der modernen Literatur besteht darin, dass jetzt die Individualität und die Skepsis vorherrschen. Die Autoritäten sind niedergebrochen; nur die Vernunft ist jetzt des Menschen einzige Lampe, und sein Gewissen ist sein einziger Stab in den dunklen Irrgängen dieses Lebens. Der Mensch steht jetzt allein seinem Schöpfer gegenüber, und singt ihm sein Lied. Daher beginnt diese Literatur mit geistlichen Gesängen. Aber auch später, wo sie weltlich wird, herrscht darin das innigste Selbstbewusstsein, das Gefühl der Persönlichkeit. Die Poesie ist jetzt nicht mehr objektiv, episch und naiv, sondern subjektiv, lyrisch und reflektierend. (S. 34)

Ich bin deshalb näher auf die „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ eingegangen, um gerade die Widersprüchlichkeit und assoziative Sprunghaftigkeit von Heines Denken zu dokumentieren. Wir haben jetzt ein leidliches Koordinatensystem erarbeitet, um etwas isolierter und impressionistischer mit Heines Zitaten umzugehen.
Als Pantheisten haben wir den labyrinthischen Heine schon kennen gelernt. Noch nicht aber als stahlharten Atheisten, der die älteste theologische Streitfrage der Welt, die so genannte „Theodizee“ aufwirft, das heißt: Wie steht es um die Rechtfertigung eines allweisen und allgütigen Gottes angesichts der zahllosen Übel in seiner Schöpfung? Heine antwortet mit folgendem Gedicht:

Lass die heil’gen Parabolen,
Lass die frommen Hypothesen –
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.

Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Ross der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Ist etwa
Unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig.

Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler –
Aber ist das eine Antwort?

Dieses Gedicht aus den 50er Jahren – es trägt die Überschrift „Lazarus“ – stammt vom gleichen Autor, der in der „Geschichte der Religion und Philosophie“ wiederum versicherte:

„Gott ist alles, was da ist“, und Zweifel an ihm ist Zweifel an dem Leben selbst, es ist der Tod. (S. 74)

Auch in der Frage nach seiner jüdischen Herkunft findet sich ein breites Spektrum von Widersprüchen. Einerseits konvertierte Heine zum Christentum, denn er betrachtete die Taufe als „Entréebillet zur europäischen Kultur“, womit er, etwa durch eine akademische Anstellung, einen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft finden wollte. Übrigens vergeblich. Andererseits war er von 1822 bis 1824 ein engagiertes Mitglied im „Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden“ in Berlin. Zudem trug er sich mit dem Gedanken eines großen Romans über das Judentum, von dem er aber nur das Fragment Der Rabbi von Bacherach (publiziert 1840) verwirklichte. Heine setzte sich also durchaus für die Emanzipation der Juden ein. Und er hatte immerhin versucht, seine jüdische Herkunft auch literarisch zu verarbeiten. Doch Emanzipation war für Heine nicht weniger als für Marx stets die Emanzipation der Menschheit, nicht nur der Juden, der Frauen oder was immer. Soziale Unfreiheit und Unterdrückung der Denkfähigkeit wollte er auf allen Ebenen bekämpfen; und nicht sein Herz parteigängerisch nur an eine Sache knüpfen. Und eben im „Rabbi von Bacherach“ macht er aus seiner eigentlichen Einstellung dem religiösen Glauben gegenüber keinen Hehl. Der jüdische spanische Ritter Don Isaak, der dem verfolgten Rabbi begegnet, dürfte als sein persönliches Sprachrohr zu betrachten sein. Ihn locken die Wohlgerüche der Garküchen und die Blicke schöner Frauen zu seinen Glaubensbrüdern. Und er schäumt über vor Galanterie, Sprachscherz und sinnlich-ästhetischer Lust:

„Der Verkehr mit dem Volke Gottes ist sonst nicht meine Liebhaberei, und wahrlich nicht, um hier zu beten, sondern um zu essen besuche ich die Judengasse.“
„Du hast uns nie geliebt, Don Isaak …“
„Ja“ – fuhr der Spanier fort – „ich liebe eure Küche weit mehr als euren Glauben; es fehlt ihm die rechte Sauce. Euch selber habe ich nie ordentlich verdauen können. Selbst in euren besten Zeiten, selbst unter der Regierung meines Ahnherrn Davids, welcher König war über Juda und Israel, hätte ich es nicht unter euch aushalten können, und ich wäre gewiss eines frühen Morgens aus der Burg Sion entsprungen und nach Phönizien emigriert, oder nach Babylon, wo die Lebenslust schäumte im Tempel der Götter …“
„Du lästerst, Isaak, den einzigen Gott“ – murmelte finster der Rabbi – „du bist weit schlimmer als ein Christ, du bist ein Heide, ein Götzendiener …“
„Ja, ich bin ein Heide, und ebenso zuwider wie die dürren, freudlosen Hebräer sind mir die trüben, qualsüchtigen Nazarener. … mein Herz blieb treu dem Leben!“ (S. 43f.)

Doch nicht nur Sinnenfreude, sondern natürlich auch ästhetische Wahrnehmung ist eine Erfüllung, die Heine der Leibfeindlichkeit, dem Nazarenertum und dem Hebräertum entgegenstellt. In der Schönheit findet er, nicht anders als die Ästheten im Fin de Siecle, isolierte Augenblicke, die er zum Moment der Zeitlosigkeit und Ewigkeit vertieft:

Jedes Weib ist mir eine geschenkte Welt, ich schwelge in den Melodien ihres Antlitzes, und mit einem einzigen Blick meines Auges kann ich mehr genießen als andre, mit ihren sämtlichen Gliedmaßen, zeit ihres Lebens. Jeder Augenblick ist mir ja eine Unendlichkeit (…); und ich brauche mir von keinem Priester ein zweites Leben versprechen zu lassen, da ich schon in diesem Leben genug erleben kann, wenn ich rückwärts lebe, im Leben der Vorfahren, und mir die Ewigkeit erobere im Reiche der Vergangenheit. (Ideen. Das Buch Le Grand (1827), S. 11)

Wein, Weib, Gesang vertiefen die Zeit. Aber auch das Leben in der geistigen Überlieferung kann unser individuelles Dasein über Jahrhunderte und Jahrtausende ausdehnen.
Zu seinem geistigen Erbe ernennt Heine natürlich auch die Antike:

Ich hatte meine liebe Freude an dem Göttergesindel, das so lustig nackt die Welt regierte. (Ebd., S. 26)

Und auch dies ist aus ästhetischem Interesse zu verstehen, weil Heine sich der Vergänglichkeit stets wechselnder Epochen stets bewusst war:

Ich hab euch niemals geliebt, ihr Götter!
Denn widerwärtig sind mir die Griechen,
Und gar die Römer sind mir verhasst.
Doch heil’ges Erbarmen und schauriges Mitleid
Durchströmt mir das Herz,
Wenn ich euch jetzt da droben schaue,
Verlassene Götter,
Tote, nachtwandelnde Schatten,
Nebelschwache, die der Wind verscheucht –
Und wenn ich bedenke, wie feig und windig
Die Götter sind, die euch besiegten,
Die neuen, herrschenden, tristen Götter,
Die schadenfrohen im Schafspelz der Demut –
Oh, da fasst mich ein düsterer Groll,
Und brechen möchte ich die neuen Tempel,
Und kämpfen für euch, ihr alten Götter,
Für euch und euer gutes ambrosisches Recht (…).

Wie Heine die Ablösung der antiken Götter betrachtet, ist nach allen bisherigen Ausführungen sonnenklar:

Die Frage war, ob der trübsinnige, magere, sinnenfeindliche, übergeistige Judäismus der Nazarener, oder ob hellenische Heiterkeit, Schönheitsliebe und blühende Lebenslust in der Welt herrschen solle? (Die Götter im Exil (1836), S. 372)

Wenden wir uns also abschließend Heines ästhetischem Denken zu.
Den isolierten Augenblick bis zur Ewigkeit zu vertiefen ist, wie angedeutet, das eine. Das andere ist der moderne Existenzialismus, der mit dieser ästhetizistischen Wahrnehmung einhergeht. Das Schöne hat seine Rechtfertigung wie sein einziges Sein in sich selbst, in der Intensität, die es ausstrahlt. Nicht in einer wie immer gearteten theoretischen oder gar religiösen Begründung:

Die Rose duftet – doch ob sie empfindet
Das, was sie duftet, ob die Nachtigall
Selbst fühlt, was sich durch unsre Seele windet
Bei ihres Liedes süßem Widerhall; -

Ich weiß es nicht. Doch macht uns gar verdrießlich
Die Wahrheit oft! Und Ros’ und Nachtigall,
Erlögen sie auch das Gefühl, ersprießlich
Wär’ solche Lüge, wie in manchem Fall -

Die radikale Trennung des Ästhetischen vom Wahrheitsgehalt einer Transzendenz setzt erst seine große Bedeutung frei: Als diesseitige Schönheit, die selbst auf der Grundlage möglicher Erdichtung und Illusion als überwältigend und sinnstiftend erfahren wird.
Nicht anders hält es Heine mit der Moral. Ich erinnere mich an einen lapidaren Satz aus den „Reisebildern“, wonach er das Gute liebe, eben weil es gut sei. Einer weiteren Begründung bedürfe es nicht. In der „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ zitiert er ausdrücklich den Philosophen Johann Gottlieb Fichte, der diese existenzielle, aus sich selbst begründete Moral wie folgt zusammenfasst:

Die lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines andern Gottes und können keinen anderen fassen. Es liegt kein Grund in der Vernunft, aus jener moralischen Weltordnung herauszugehen und vermittelst eines Schlusses vom Begründeten auf den Grund noch ein besonderes Wesen als die Ursache desselben anzunehmen; der ursprüngliche Verstand macht sonach diesen Schluss sicher nicht und kennt kein solches besonderes Wesen; nur eine sich selbst missverstehende Philosophie macht einen solchen. (S. 88)

Heine bewegt sich, im ästhetischen Kontext, sicher an der Grenze zum modernen Existenzialismus, hält aber prinzipiell an der Göttlichkeit des Diesseits fest, am Kult des Schönen und am verabsolutierten Augenblick, der zur Dauer verewigt wird.
Ich wiederhole meine These: Heine gehört wohl noch am wahrscheinlichsten zu jener Fraktion der „frommen Atheisten“ (Max Stirner), die wie Ludwig Feuerbach am Humanen festhalten. In diesem Humanen selbst findet sich das Göttliche, das in der Religion zum Überirdischen sublimiert und projiziert wird.
Kommen wir zur Praxis, zum ästhetischen Gehalt des Schriftstellers Heine. Hier ein Beispiel für seine überragende Fähigkeit, das Groteske und das Satirische miteinander zu verbinden. Das Opfer sind zwei Damen, die er auf seiner „Harzreise“ (1826) in einem Gasthof trifft und wie folgt porträtiert:

Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große weitläuftige Dame, ein rotes Quadratmeilen-Gesicht mit Grübchen in den Wangen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen, ein langfleischig herabhängendes Unterkinn, das eine schlechte Fortsetzung des Gesichtes zu sein schien, und ein hochaufgestapelter Busen, der mit steifen Spitzen und vielzackig festonierten Krägen, wie mit Türmchen und Bastionen umbaut war und einer Festung glich, die gewiss ebenso wenig wie jene anderen Festungen, von denen Philip von Mazedonien spricht, einem mit Gold beladenen Esel widerstehen würde. Die andere Dame, die Frau Schwester, bildete ganz den Gegensatz der eben beschriebenen. Stammte jene von Pharaos fetten Kühen, so stammte diese von den magern. Das Gesicht nur ein Mund zwischen zwei Ohren, die Brust trostlos öde wie die Lüneburger Heide; die ganze ausgekochte Gestalt glich einem Freitisch für arme Theologen. (S.11)

Kann man das besser machen? Nein, man kann es nicht besser machen. Hier sehen Sie eine Versammlung von Juristen:

Jeder von den übrigen Herren trat jetzt ebenfalls näher und hatte etwas hin zu bemerken und hin zu lächeln, etwa ein neu ergrübeltes Systemchen oder Hypotheschen oder ähnliches Missgebürtchen des eigenen Köpfchens. (Ebd., S. 13)

So benutzt man den Diminutiv.
Und so das Zeugma:

Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört dem Könige von Hannover und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut ist. (S. 9)

Und ist Folgendes nicht ein schöner Vergleich? -

Die Deutschen werden nicht besser im Ausland, wie das exportierte Bier.

Oder auch:

Die Musik beim Hochzeitsgeleite erinnert mich immer an die Musik bei in die Schlacht ziehenden Soldaten.

Da das Zitieren, eben weil es unendlich ist, irgendwann einmal ein Ende haben muss, schließe ich mit diesen Sentenzen aus Heines „Gedanken und Einfällen“. – Vollkommene Geschlossenheit der Form wird niemand von einer Zitat-Präsentation erwarten. Ich habe beim Kommentieren nur den leitenden Gesichtspunkt zugrunde gelegt, der für diesmal meine Lektüre von Heine bestimmt hat: Die Auseinandersetzung mit der historischen Rolle des Christentums, d.h. die Spaltung zwischen Leib und Seele, die durch ein utopisches Diesseits bekämpft werden soll. Dass Heine wesentliche Einsichten der Psychoanalyse Freuds in seiner Interpretation vorweggenommen hat, ist offensichtlich. Ebenso die Tatsache einer sozialistisch motivierten Kritik an der Instrumentalisierung der Religion durch die Besitzenden und Mächtigen. Und schließlich die humanistische Skepsis dieses Schriftstellers, der vor allem im Ästhetischen und in der geistigen Überlieferung die Ewigkeit suchte und sein Inneres zum Universellen zu erweitern bemüht war: Unter genauer und sachkundiger Berücksichtigung auch der religiösen Quellen.
Eine schöne Zusammenfassung des diesseitigen, utopistisch und ästhetisch getönten Lebensgefühls Heines findet sich in dem Prosa-Fragment „Aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski“ (1834). Im Kapitel XI, anlässlich einer Kurz-Besprechung des niederländischen Genre-Malers Jan Steen (1626-1679):

Das Haus, worin ich zu Leiden logierte, bewohnte einst Jan Steen, der große Jan Steen, den ich für ebenso groß halte wie Raffael. Auch als religiöser Maler war er ebenso groß, und das wird man einst ganz klar einsehen, wenn die Religion des Schmerzes erloschen ist und die Religion der Freude den trüben Flor von den Rosenbüschen dieser Erde fortreißt und die Nachtigallen endlich ihre lang verheimlichten Entzückungen hervorjauchzen dürfen.
Aber keine Nachtigall wird je so heiter und jubelnd singen, wie Jan Steen gemalt hat. Keiner hat so tief wie er begriffen, dass auf dieser Erde ewig Kirmes sein sollte; er begriff, dass unser Leben nur ein farbiger Kuss Gottes sei, und er wusste, dass der Heilige Geist sich am herrlichsten offenbart im Licht und Lachen.

Das Leben eine ewige Kirmes und ein farbiger Kuss Gottes (welch schöne Synästhesie) und das ästhetisch wie moralisch existenzielle Wahrnehmen des Heiligen Geistes in Licht und Lachen - das vor allem ist Heine. Bei aller Modernität, Ironie und Skepsis bleibt er ein hoffnungsvoller Tagträumer – und zweifellos der allergrößte Frechdachs, den die bisherige deutsche Literaturgeschichte kennt.

Vorliegende kommentierte Zitatsammlung wird zwanglos fortgesetzt, wenn ich wieder zu Heine zurückkehre. Das wird, in schwer bestimmbaren Zyklen, ganz sicher geschehen. Die Zitate sind den handelsüblichen Reclam-Ausgaben entnommen. „Die Götter im Exil“, „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ sowie die „Gedanken und Einfälle“ stammen aus: Heinrich Heine, Sämtliche Werke, Augsburg 1998. Weltbild Verlag GmbH – ein erschwinglicher Nachdruck der Ausgabe von Hoffmann und Campe, Hamburg 1887.
© 2006 Günter Bachmann