Zitate: Genie

Wer erhält und fortsetzt, hat nichts anderes so sehr zu fürchten wie das Ungefähr. Um aber erst zu gestalten, was dauern soll, muss einer pünktlich und genau sein. Es gibt kein Genie außerhalb der Geschäftsstunden. Die feierlichsten Größen der Vergangenheit haben mit ihren Freunden gelacht und Unsinn geschwatzt. Man halte seine Stunden ein. In unserer Macht steht übrigens nicht das Genie: nur die Vollendung, gesetzt, wir wären stark und zuverlässig.
Heinrich Mann, Ein Zeitalter wird besichtigt (1944)

Denn was ist Genie anders als jene produktive Kraft, wodurch Taten entstehen die vor Gott und der Natur sich zeigen können und die eben deswegen Folge haben und von Dauer sind. Alle Werke Mozarts sind dieser Art; es liegt in ihnen eine zeugende Kraft, die von Geschlecht zu Geschlecht fortwirket und so bald nicht erschöpft und verzehrt sein dürfte. Von anderen großen Komponisten und Künstlern gilt dasselbe. Wie haben nicht Phidias und Raffael auf nachfolgende Jahrhunderte gewirkt und wie nicht Dürer und Holbein! – Derjenige der zuerst die Formen und Verhältnisse der altdeutschen Baukunst erfand, so dass im Laufe der Zeit ein Straßburger Münster und ein Kölner Dom möglich wurde, war auch ein Genie, denn seine Gedanken haben fortwährend produktive Kraft behalten und wirken bis auf die heutige Stunde. (…) Denn, wie gesagt, es gibt kein Genie ohne produktiv fortwirkende Kraft; und ferner: es kommt dabei gar nicht auf das Geschäft, die Kunst und das Metier an das einer treibt, es ist alles dasselbige.
Goethe (Eckermann)

Das Genie ist sein eigener Lohn: denn das Beste was einer ist, muss er notwendig für sich selbst sein. (…) Wenn wir zu einem großen Mann der Vorzeit hinaufblicken, denken wir nicht: „Wie glücklich ist er, von uns allen noch jetzt bewundert zu werden“; sondern: „Wie glücklich muss er gewesen sein im unmittelbaren Genuss eines Geistes, an dessen zurückgelassene Spuren Jahrhunderte sich erquicken.“ Nicht im Ruhme, sondern in dem, wodurch man ihn erlangt, liegt der Wert, und in der Zeugung unsterblicher Kinder der Genuss. Daher sind die, welche die Nichtigkeit des Nachruhmes daraus zu erweisen suchen, dass wer ihn erlangt, nichts davon erfährt, dem Klügling zu vergleichen, der einem Manne, welcher auf einen Haufen Austernschalen im Hofe seines Nachbarn neidische Blicke würfe, sehr weise die gänzliche Unbrauchbarkeit derselben demonstrieren wollte.
Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung

Im Leben des Menschen kommt der Moment, in dem er sich plötzlich seiner selbst bewusst wird und seine Kräfte frei werden; von diesem Moment an können wir uns als uns selbst betrachten, in diesem Moment werden wir geboren. Der Keim des Genies steckt in jedem Menschen. Aber nicht jeder Mensch ist fähig dazu, aus seinem Leben sein eigenes Leben zu machen. Die wahre Genialität ist die existenzielle Genialität. Ich wage zu behaupten: Nahezu alles Wissen, das nicht unmittelbar Wissen über uns selbst ist, ist umsonst.
Imre Kertész, Galeerentagebuch (1992)

Vielleicht macht nicht irgendeine Begabung den Menschen zum Schriftsteller, sondern die Tatsache, dass er die Sprache und die fertigen Begriffe nicht akzeptiert. Am Anfang ist er, glaube ich, einfach nur dumm, dümmer als alle anderen, die alles sofort verstehen. Dann beginnt er zu schreiben, wie jemand, der von einer schweren Krankheit genesen und seinen Wahnsinn bezwingen will – wenigstens so lange, wie er schreibt.
Imre Kertész, Galeerentagebuch (1992)

"Genie ist weniger eine Gabe denn aus blanker Not geborener Erfindungsreichtum."
Sartre

"Alle genialen Menschen sind Melancholiker."
Aristoteles

"Zart Gedicht, wie Regenbogen,
Wird nur auf dunkeln Grund gezogen:
Darum behagt dem Dichtergenie
Das Element der Melancholie."
Goethe

"Der Künstler, wie der Gott der Schöpfung, bleibt in oder hinter oder jenseits oder über dem Werk seiner Hände, unsichtbar, aus der Existenz hinaussublimiert, gleichgültig, und manikürt sich die Fingernägel."
James Joyce

... wo die vorstellende Kraft des Gehirns einen solchen Überschuss hat, dass ein reines, deutliches, objektives Bild der Außenwelt sich zwecklos darstellt, als welches für die Absichten des Willens unnütz, in den höheren Graden sogar störend ist, und selbst ihnen schädlich werden kann; - da ist schon wenigstens die Anlage zu jener Abnormität vorhanden, die der Name des Genies bezeichnet, welcher andeutet, dass hier ein dem Willen, d.i. dem eigentlichen Ich, Fremdes, gleichsam ein von außen hinzukommender Genius, tätig zu werden scheint. Aber ohne Bild zu reden: das Genie besteht darin, dass die erkennende Fähigkeit bedeutend stärkere Entwicklung erhalten hat, als der Dienst des Willens, zu welchem allein sie ursprünglich entstanden ist, erfordert. (...) Das Genie besteht also in einem abnormen Übermaß des Intellekts, welches seine Benutzung nur dadurch finden kann, dass es auf das Allgemeine des Daseins verwendet wird; wodurch es alsdann dem Dienste des ganzen Menschengeschlechts obliegt, wie der normale Intellekt dem des Einzelnen. (...) Der Stempel der Gewöhnlichkeit, der Ausdruck von Vulgarität, welcher den allermeisten Gesichtern aufgedrückt ist, besteht eigentlich darin, dass die strenge Unterordnung ihres Erkennens unter ihr Wollen, die feste Kette, welche beide zusammenschließt, und die daraus folgende Unmöglichkeit, die Dinge anders als in Beziehung auf den Willen und seine Zwecke aufzufassen, darin sichtbar ist.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung

Alle großen theoretischen Leistungen, worin es auch sei, werden dadurch zustande gebracht, dass ihr Urheber alle Kräfte seines Geistes auf einen Punkt richtet, in welchen er sie zusammenschießen lässt und konzentriert, so stark, fest und ausschließlich, dass die ganze übrige Welt ihm jetzt verschwindet und sein Gegenstand ihm alle Realität ausfüllt. Eben diese große und gewaltsame Konzentration, die zu den Privilegien des Genies gehört, tritt nun für dasselbe bisweilen auch bei den Gegenständen der Wirklichkeit und den Angelegenheiten des täglichen Lebens ein, welche alsdann, unter einen solchen Fokus gebracht, eine so monströse Vergrößerung erhalten, dass sie sich darstellen wie der im Sonnenmikroskop die Statur des Elefanten annehmende Floh. Hieraus entsteht es, dass hochbegabte Individuen bisweilen über Kleinigkeiten in heftige Affekte der verschiedensten Art geraten, die den andern unbegreiflich sind, als welche sie in Trauer, Freude, Sorge, Furcht, Zorn usw. versetzt sehn, durch Dinge, bei welchen ein Alltagsmensch ganz gelassen bliebe. Darum also fehlt dem Genie die Nüchternheit, als welche gerade darin besteht, dass man in den Dingen nichts weiter sieht, als was ihnen, besonders in Hinsicht auf unsere möglichen Zwecke, wirklich zukommt: daher kann kein nüchterner Mensch ein Genie sein.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung

Was ersetzt bei Homer die Unwissenheit der Kunstregeln, die ein Aristoteles nach ihm erdacht, und was bei einem Shakespeare die Unwissenheit oder Übertretung jener kritischen Gesetze? Das Genie ist die einmütige Antwort.
Johann Georg Hamann, Sokratische Denkwürdigkeiten